Interview Wendy Holdener: «Nichts. Nichts ist sicher»

Markus Wanderl

9.11.2018

Wendy Holdener: «Der Slalom ist meine Disziplin (...), aber alle wissen, dass ich auch schnell fahren kann.»
Wendy Holdener: «Der Slalom ist meine Disziplin (...), aber alle wissen, dass ich auch schnell fahren kann.»
Bild: Keystone

In der Schweiz kann Wendy Holdener derzeit nicht trainieren – deshalb bereitet sie sich in Schweden auf die Fortsetzung der Saison vor. Im Interview mit «Bluewin» spricht die Olympiasiegerin über Furcht, Druck und auch ihre Prioritäten in dieser Saison.

Ihr Sommer, wie war er?

Gut. Es ging extrem schnell – wieder einmal. Ich habe viel trainiert, daneben habe ich viel erledigt, Sponsorentermine und anderes.

War der Sommer anders als sonst?

Nicht wirklich. Er war fast identisch wie ein Jahr zuvor. Ich habe den ganzen Juni zuhause trainiert, war dann drei Wochen im Trainingslager in Magglingen, bevor es dann wieder auf den Schnee zurückging.

Sie wollten in der Schweiz trainieren und weichen nun wegen des Wetters hierzulande nach Schweden aus. Nervt’s?

Nein. Für mich ist es wichtig, dass die Verhältnisse passen, dass der Schnee, das Training super ist. Insofern müssen wir gehen. Ich möchte top vorbereitet sein nächste Woche.

Riesenslalom-Siebente zum Weltcup-Auftakt in Sölden – zufrieden?

Ein sehr guter Start. Ich war nur zweimal besser klassiert im Riesenslalom, insofern: Top für mich. Ich nehme das gern so mit, es macht Mut.

Der Saisonauftakt mache Mut: Wendy Holdener wird in Sölden Siebente.
Der Saisonauftakt mache Mut: Wendy Holdener wird in Sölden Siebente.
Bild: Getty

Im NZZ-Interview – es ging um ihren offenen Umgang mit Emotionen – sagten Sie im Sommer: ‹Vielleicht würde ich besser schweigen.› Muss man sich auf eine gewandelte Wendy Holdener einstellen?

Nein. Was mich nur stört, ist: Wenn ich nur einmal sage, dass es nicht so gut gelaufen ist, ich mir Sorgen mache, dass ich dann die ganze Zeit wieder darauf angesprochen werde – und zu hören bekomme: ‹Sind Sie jetzt wieder labil im Kopf?› Das ist nicht zielführend. Das nervt mich einfach.

Wann fühlen Sie sich ruhig?

Gute Frage (grübelt). Wenn ich an einem Tag alles erledigt habe und ausspannen kann am Rest des Abends. Wenn ich weiss, ich bin bestmöglich vorbereitet, oder: Wenn es gut gelaufen ist und ich für ein paar Tage nach Hause kann.

Je mehr Sie geleistet haben, desto ruhiger werden Sie?

Im Sport sicher. Andere Sachen kann ich gut mal liegen lassen oder nicht so ernst nehmen.


«Ich bin selbst gespannt, wie der Winter wird. Ich bin gesund und hoffe, das bleibt so.»


Wendy Holdeners Erwartungen an den Weltcup-Winter

Beispiel?

Sei es, aufzuräumen. Oder: Wenn das Telefonat nicht heute gemacht wird, dann eben in zwei Tagen.

Ihr Winter, wie wird er?

(Lächelt) Ich bin positiv eingestellt, freue mich. Ich bin selbst gespannt, wie der Winter wird. Ich bin gesund und hoffe, das bleibt so.

Fährt die Furcht stets mit?

Es gibt Trainings, da fühle ich mich perfekt, da fährt sie sicher nicht mit. Es gibt auch Tage, da ist man unsicherer, dann ist auch eine gewisse Handbremse da.

Wann zuletzt?

Vor drei Wochen. Aber ich habe das akzeptiert, dass ich nicht immer Bestzeiten fahren werde.


«Die Erfahrung hilft mir sicher.»


Wendy Holdener über den steigenden Druck

Im vergangenen Winter waren sie eine der grossen Figuren – Gesamtweltcupzweite und olympischer Medaillensatz: Ist der Druck dadurch entschärft oder noch einmal grösser geworden?

Ich glaube: entschärft. Es ist das zweite Jahr gewesen, dass ich so erfolgreich war an einem Grossanlass. Es nimmt mir auch Druck für die Olympischen Spiele in vier Jahren. Die Erfahrung hilft mir jetzt sicher.

Welcher Disziplin räumen Sie in dieser Saison die höchste Priorität ein?

Ganz klar: wieder dem Slalom, das ist meine Disziplin. Super-Kombination und Parallel, da kann ich jeweils zuvorderst mitfahren. Im Riesenslalom hoffe ich, dass ich auch vorne mit dabei bin, besser bin als im letzten Jahr. Und Super-G? Da würde ich gern anknüpfen an Gezeigtes, seit meinem Podestplatz (in Crans-Montana, Anm. d. Red.) wissen alle, dass ich auch schnell fahren kann.

Was geschieht in den Momenten des grössten Drucks – sind dann buchstäblich die Grenzen erreicht?

Wenn es um den Druck beim Wettkampf geht, dann würde ich sagen: Von mir aus muss es ganz klar nicht mehr Druck sein. Ich glaube aber, dass der Körper mehr auszuhalten bereit wäre. Im normalen Leben ziehe ich es vor, nicht immer an die Grenzen zu gehen.

Der Gipfel der Schaffenskraft – wird sich das an einem herausragenden Resultat messen lassen oder vor allem im Kopf spürbar sein?

Wenn ich einmal das Rennen meines Lebens fahren werde, werde ich es vielleicht spüren, ich weiss nicht.


«Im normalen Leben ziehe ich es vor, nicht immer an die Grenzen zu gehen.»


Wendy Holdener

Das Rennen des Lebens – ist das gleichbedeutend mit einem ersten Platz?

Ich hoffe es. Ohne arrogant klingen zu wollen, ich habe, denke ich, wegen meiner Fähigkeiten die Chance auf ein solches Rennen. Mir geht es schon auch darum, dass die Mischung stimmt: Dass ich locker bin, aber auch die Zeit, die ich investiert habe, wieder herausbekomme.

17 zweite Plätze: was macht Sie sicher, dass es heuer mit einem ersten Sieg im Slalom klappt?

Nichts. Nichts ist sicher. Ich glaube einfach, dass ich es schaffen kann in diesem Jahr.

Kein Bild mit Seltenheitswert: Mikaela Shiffrin (Mitte) stand Wendy Holdener (links) in der letzten Saison mehrmals vor der Sonne.
Kein Bild mit Seltenheitswert: Mikaela Shiffrin (Mitte) stand Wendy Holdener (links) in der letzten Saison mehrmals vor der Sonne.
Bild: Getty

Was ist die grösste Schwäche von Mikaela Shiffrin?

Keine Ahnung, ich kenne sie zu wenig persönlich.

Sind Sie in der Lage, Shiffrin das Fürchten zu lehren?

Nicht nur ich. Es sind mehrere Athletinnen, die sie schlagen wollen. Sie ist die Gejagte.

Es ist die letzte Saison von Lindsey Vonn – wird sie Ihnen einmal fehlen?

Es ist sicher schade. Sie hat es immer spannend gemacht, sie ist auch eine wirklich berühmte Person und hat eine Menge erreicht.


«Es ist so traurig, eine solche Nachricht zu bekommen, es ist so tragisch (…) Ich bin immer noch geschockt.»


Wendy Holdener über den Tod ihres Teamkollegen Gian Luca Barandun

Entscheiden Sie sich bitte für eine Schlagzeile: Wendy Holdener mit Doppel-Gold in Are – Wendy Holdener gewinnt Gesamtweltcup – Wendy Holdener mit drittem Slalomerfolg in Folge.

(Grübelt, lächelt, grübelt): Hm, gute Frage. Eins oder zwei … ich nehme: Gesamtweltcup. Ich glaube, es ist am schwierigsten. Doppelgold schon auch, aber: Gesamtweltcup.

Dürfen wir Sie auf den Tod ihres jungen Teamkollegen Gian Luca Barandun ansprechen?

Es ist so traurig, eine solche Nachricht zu bekommen, es ist so tragisch. Im Sommer habe ich gesehen, wie motiviert er war, wie gut und hart er trainiert hat. Und erst neulich habe ich mit den Herren einschliesslich Gian Luca noch ein Riesenslalom-Training bestreiten dürfen. Seine Leidenschaft und der Ehrgeiz, es war so schön, es zu erleben. Es tut mir leid, was seine Familie nun durchmachen muss – ich hatte die letzten Tage Mühe, mich zu konzentrieren. Ich bin immer noch geschockt.


Das Interview mit der dreifachen Medaillengewinnerin von Pyeongchang und Kombinations-Weltmeisterin wurde am Flughafen Zürich vor dem Abflug nach Schweden geführt – dort will sich Holdener den letzten Schliff für die neue Saison holen. Die 25-Jährige steht am 18. November beim Slalom von Levi wieder im Einsatz. Es folgt der traditionelle Abstecher nach Nordamerika. Anfang Dezember wird die Weltcup-Saison dann in Europa mit den ersten Klassikern fortgesetzt.

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