Corona-Impfung Zahlt der Bund für Impfschäden, ist das aus vielen Gründen heikel

Von Julia Käser und Gil Bieler

11.12.2020

Vertraglich kann sich der Bund dazu verpflichten, Schäden, die einem Hersteller aus dessen Haftpflicht entstehen, auszugleichen.
Vertraglich kann sich der Bund dazu verpflichten, Schäden, die einem Hersteller aus dessen Haftpflicht entstehen, auszugleichen.
Bild: Liam McBurney/AP

Kommt es bei der Corona-Impfung zu Problemen, haften die Hersteller. Der Bund kann sich jedoch dazu verpflichten, deren Haftpflicht-Schaden auszugleichen – ein aussergewöhnlicher Vorgang. 

Die 90-jährige Margaret Keenan ist die erste Person, die in Grossbritannien gegen das Coronavirus geimpft wurde. Vergangene Woche hat das Land dem Impfstoff von Biontech und Pfizer eine Notfallzulassung erteilt. Dabei werden die Hersteller unter anderem von jeglicher Haftung freigesprochen. Kommt es zu Problemen, etwa schwerwiegenden Nebenwirkungen, muss also der Staat dafür aufkommen. 

In der Schweiz dauert die Zulassung länger, die Corona-Impfstoffe werden anhand des sogenannten rollenden Verfahrens geprüft. Laut der Zulassungsstelle Swissmedic werden dabei keine Abstriche bei der Sicherheit gemacht. Aber auch hier stellt sich die Frage, wer für mögliche Impfschäden aufkommt. 

«Haften die Impfstoff-Hersteller, falls nach einer Behandlung Komplikationen auftreten?», wollte SVP-Nationalrat David Zuberbühler kürzlich von SP-Bundesrat Alain Berset wissen. Bereits im September hatten seine Ratskollegen Fabian Molina (SP) und Christian Lohr (CVP) die Frage nach der Haftpflicht bei Corona-Impfstoffen aufgeworfen.

Bundesrat und BAG hüllen sich in Schweigen 

Eine konkrete Antwort hat keiner von ihnen erhalten. Grundsätzlich würden die üblichen Haftungsregelungen gelten wie bei anderen Impfstoffen, so der Bundesrat. Aber: Vertraglich kann sich der Bund dazu verpflichten, Schäden, die einem Hersteller aus dessen Haftpflicht entstehen, auszugleichen.

Ob solche Vereinbarungen getroffen wurden und falls ja, wie genau diese aussehen, will Berset nicht kommentieren: «Eine Bekanntgabe von Vertragsinhalten würde die Verhandlungsposition des Bundes gegenüber anderen Herstellern schwächen.»

Die Verträge seien vertraulich, heisst es auch beim BAG. Auf Anfrage sagt Sprecherin Simone Buchmann: «Verträge, die der Bund mit Impfstoff-Herstellern abschliesst, beseitigen weder die Haftpflicht des Herstellers noch begründen sie eine neue Haftpflicht des Bundes.» 

Umfrage
Würden Sie sich gegen das Coronavirus impfen lassen?

Tatsächlich könne es in den Lieferverträgen jedoch Klauseln geben, wonach sich der Bund bei Impfschäden «subsidiär an den Kosten beteiligt». Das heisst: Der Bund übernähme den Schaden, falls dieser nicht durch Dritte – etwa den Hersteller oder die Sozialversicherung – gedeckt würde. Zusätzlich dazu könnte in gewissen Fällen Schmerzensgeld von bis zu 70'000 Franken bezahlt werden. 

Experte hält möglichen Haftungsdeal für politisch heikel

Die Geheimhaltung lässt es vermuten: Eine solche Kompensationszahlung wäre ein höchst aussergewöhnlicher Vorgang. Das sagt der auf Haftungsrecht spezialisierte Fachanwalt Walter Fellmann auf Anfrage von «blue News».

«Die Herstellerfirmen verfügen sicher selbst über entsprechende Haftpflicht-Versicherungen. Dass aber der Bund die Funktion einer Versicherung übernehmen soll, wäre zweifellos ausserordentlich», so Fellmann, der auch Professor an der Universität Luzern ist. «Versichert wäre dann die Produkthaftung der Herstellerfirma», so Fellmann.  

Auch Christoph Zenger, Professor und langjähriger Direktor des Zentrums für Gesundheitsrecht und Management im Gesundheitswesen der Universität Bern, sagt: «Mir ist kein anderer Fall einer ähnlichen Vereinbarung bekannt.» Mit einer solchen würden die Pharmafirmen de facto eine Null-Risiko-Position erreichen – «was nicht dafür spricht, dass sie volles Vertrauen in ihre Produkte haben».

Politisch findet Zenger einen solchen Deal heikel: «Der Bund sollte im Gegenzug mindestens verlangen, dass die Pharmafirmen ihre Impfstoffe zum Selbstkostenpreis oder mit einer minimalen Gewinnmarge abgeben.»

Steuerzahler müssten am Ende für die Schäden aufkommen

Denn auch wenn das Risiko, dass es bei einem Covid-Impfstoff zu namhaften Folgeschäden kommen wird, unter Fachleuten als sehr gering gilt: Sollte dem so sein, kann das teuer werden.

Fachanwalt Walter Fellmann rechnet vor: «Verstirbt der Geimpfte und hinterlässt er eine Familie, kann der Schaden in die Millionen gehen. Auch eine dauernde oder vorübergehende Invalidität kann bei einem namhaften Erwerbsausfall sehr teuer werden.» Hinzu könnten ein Rentenschaden, ein Pflege- und Betreuungsschaden und eine Genugtuung kommen. Für diese Summen müsste theoretisch der Bund – und damit die Steuerzahler – aufkommen. 

Fraglich ist weiter, ob die Bestimmung im Epidemiengesetz, die die Möglichkeit solcher Vereinbarungen vorsieht, hier anwendbar ist. Der Teufel steckt laut Zenger im Detail: In der Botschaft zur Änderung des Epidemiengesetzes sei die Bestimmung zwar begründet worden – jedoch nur im Zusammenhang mit Wirkstoffen, die noch keine Zulassung von Swissmedic erhalten haben. «Wenn das auch für Impfstoffe, die im verkürzten Verfahren zugelassen werden, gültig sein soll, ist das eine sehr grosszügige Auslegung dieser Regelung.» Das BAG liess eine Anfrage von «blue News» zu dieser rechtlich heiklen Frage unbeantwortet. 

Glaubwürdigkeit des Impfstoffs leidet

Zudem würde eine wirkungsvolle Impfempfehlung erschwert, wenn die Impfstoffhersteller selber die Risiken der – notabene von der Arzneimittelbehörde  zugelassenen – Impfung als so hoch einschätzen, dass der Bund bezahlen solle, wenn sie für Impfschäden haften müssen: «Wie kann der Bund der Bevölkerung dann noch glaubhaft machen, dass die Impfung tatsächlich sicher und wirksam ist?», fragt Zenger. 

In Grossbritannien wird seit dieser Woche geimpft. Dort sind die Pharmakonzerne von jeder Haftung freigesprochen – auch, weil der Wirkstoff noch nicht definitiv zugelassen ist. 
In Grossbritannien wird seit dieser Woche geimpft. Dort sind die Pharmakonzerne von jeder Haftung freigesprochen – auch, weil der Wirkstoff noch nicht definitiv zugelassen ist. 
Bild: Andrew Milligan

Walter Fellmann gibt zu bedenken, dass der Bund – wenn er eine Impfung im Ausland einkauft und selbst in die Schweiz einführt – unter Umständen  selbst als Hersteller gilt: Nach Artikel 2 des Produkte-Haftpflicht-Gesetzes gilt nämlich «jede Person, die ein Produkt zum Zweck des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit [in die Schweiz] einführt», als Hersteller.

Will heissen: «Der Importeur eines Produkts ist nach unserem Recht immer Hersteller.» Auch für Christoph Zenger steht fest: «Sofern der Bund selber, zum Beispiel über die Armeeapotheke, den Impfstoff direkt importiert, wird er haftbar.» Jedoch würden sich in einem solchen Fall die Klauseln mit den Herstellern erübrigen. Zenger vermutet daher, dass der Bund am Ende Firmen mit dem Kauf beauftragen wird. 

EU legt Karten auf den Tisch

Transparenter als die Schweiz ist die EU. Auch dort liegt die Haftpflicht beim Hersteller. Werden Pharmakonzerne aber für unerwartete Nebenwirkungen ihres Impfstoffs haftbar gemacht, entschädigen sie die EU-Mitgliedstaaten. Das bestätigte ein Sprecher der EU-Kommission. Demnach werden die Hersteller für bestimmte Haftungen entschädigt, «die unter bestimmten und strengen Bedingungen auftreten». 

Bereits im Sommer hatte die EU-Kommission auf diese Möglichkeit verwiesen. Man wolle bestimmte Risiken der Firmen finanziell abdecken, «damit Impfstoffe tatsächlich für EU-Bürger zur Verfügung stehen», hiess es damals. Das sorgte sogleich für Kritik. «Steuerzahler sollen Risiken der Impfstoff-Hersteller mittragen», titelte etwa der «Spiegel».

Zurück zur Startseite