Armut Corona drängt Mexikanerinnen zurück in die Prostitution

AP/toko

13.4.2021

Eine Sexarbeiterin wartet in Mexiko-Stadt auf Kunden.
Eine Sexarbeiterin wartet in Mexiko-Stadt auf Kunden.
AP Photo/Alexandre Meneghini/Keystone (Symbolbild)

In der Corona-Pandemie bricht das Einkommen weg, die Kinder haben Hunger: Für viele ehemalige Prostituierte in Mexiko-Stadt, die aus dem Sex-Gewerbe ausgestiegen waren, bleibt als Lösung nur die Rückkehr auf die Strasse.

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13.4.2021

Es war eine Geschichte, wie viele Prostituierte sie sich erträumen: Aus Geschäft wird Liebe, die Hochzeit folgt – zusammen mit dem Abschied aus dem Sex-Gewerbe. So war es auch bei Claudia.

Vor rund zehn Jahren konnte die Mexikanerin aus dem Sex-Geschäft aussteigen, nachdem sie einen ihrer ehemaligen Freier geheiratet hatte. Doch mit Corona hat das frühere Leben Claudia, die ihren vollen Namen nicht nennen will, eingeholt. Der Ehemann verlor seinen Job, das Geld wurde knapp. Nachdem das Paar mit der Miete monatelang im Rückstand geblieben war, sah Claudia nur noch eine Lösung: zurück auf die Strasse zu gehen, um ihren Körper feilzubieten.

«Es ging um Einkommen, damit wir essen können, damit wir die Miete, die wir schulden, bezahlen können», sagt Claudia. Inzwischen liegt sie bei der Miete nur noch eine Monatszahlung zurück. «Es ist hart, zurückzukommen und so viele meiner Kolleginnen von früher zu sehen», beklagt sie, «all die Probleme da draussen zu sehen.»

12'500 Prostituierte

Claudias Schicksal ist kein Einzelfall. Schon im Sommer vergangenen Jahres zählte die Aktivistengruppe Brigada Callejera zur Unterstützung der Frauen auf den Strassen der mexikanischen Hauptstadt rund 12'500 Prostituierte – ungefähr doppelt so viele wie vor Beginn der Pandemie. «Wir waren überrascht, dass es mehr waren», sagt Leiterin Elvira Madrid, «an jeder Strassenecke.»



Madrid schätzt, dass etwa 40 Prozent davon Frauen sind, die wegen Corona zur Sex-Arbeit zurückgekehrt sind. Viele der anderen – weitere rund 40 Prozent - hätten sich aufgrund der Pandemie erstmals zu käuflichem Sex gezwungen gefühlt. Darunter seien beispielsweise Kellnerinnen, die zuvor nie mit dem Sex-Gewerbe in Berührung gekommen waren.

«Ich will das nicht, aber ich muss meine Kinder ernähren»

«Als die Restaurants geschlossen wurde, mussten die Leute trotzdem essen und die Bedürfnisse ihrer Kinder erfüllen», erklärt Madrid. «Und dann die alleinerziehenden Mütter – die meisten von ihnen arbeiteten in Geschäften, Kleiderläden, Bars oder in der Kosmetikbranche.» Nur mit Widerwillen und unter Tränen hätten sich die meisten Frauen zum Verkauf ihres Körpers entschlossen. «Sie weinten und sagten: ‹Ich will das nicht, aber ich muss meine Kinder ernähren›», sagt die Aktivistin.

Dennoch reicht es für viele nicht zum Sattwerden, für die Rückkehrerinnen ebenso wie für die, die seit Jahren oder Jahrzehnten dem Sex-Gewerbe nachgehen. «An manchen Tagen hat man nicht zu essen», sagt Laura. Viele ihrer Kunden hätten in der Corona-Pandemie die Arbeit verloren und könnten sich den Besuch bei ihr nicht mehr leisten, erklärt die 62 Jahre alte Transgender-Frau. Seit 40 Jahren ist sie in ihrem Job, inzwischen muss sie auf der Strasse schlafen, wenn sie keinen zahlenden Klienten findet, um sich ein billiges Hotelzimmer für die Nacht zu leisten.

Die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus muss dabei hintenanstehen. «Ich vertraue auf Gott», sagt Laura. Nur Handdesinfektionsmittel hat sie zur Verfügung.

Elvira Madrid weiss von mindestens 50 Sex-Arbeiterinnen und -Arbeitern in Mexiko-Stadt, die nach einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben sind. Auch sie selbst fing sich das Virus ein, ebenso wie ihr Ehemann und Mitstreiter Jaime Montejo. Er überlebte nicht. Montejo hatte sich nach Überzeugung seiner Schützlinge bei seinem Einsatz für sie und ihre Rechte angesteckt.

Einkommen rutscht in den Keller

Schon immer waren die Bedingungen auf dem Strich in Mexiko-Stadt hart. In der Pandemie hat sich das deutlich verschlimmert. Weil Hotels geschlossen hätten oder die Preise für Zimmer unerschwinglich geworden seien, seien Frauen ihren Klienten häufig überall zu Willen, wo sie einen Platz finden – im Auto oder auf Bürgersteigen, ohne ein Minimum an Schutz und Sicherheit.

Gleichzeitig ist das Einkommen in den Keller gerutscht. Die Sex-Arbeiterinnen hätten in der Pandemie rund 95 Prozent ihrer Einnahmen eingebüsst, schätzt Madrid. Und dennoch sehen die Rückkehrerinnen selbst das als einzigen Ausweg. An vielen Tagen voller stundenlangen Wartens an dunklen Strassenecken kommen sie dann trotzdem ohne einen Peso zu ihren hungrigen Familien nach Hause.