Eine Leihmutter erzählt «Ich hatte mehr Mühe, mich von den Eltern zu trennen als vom Baby»

Von Monique Misteli

26.12.2022

Offizielle Zahlen, wie viele Paare in der Schweiz ein Kind durch eine Leihmutter erhalten, gibt es nicht.
Offizielle Zahlen, wie viele Paare in der Schweiz ein Kind durch eine Leihmutter erhalten, gibt es nicht.
Getty Images

Leihmutterschaft ist ein hoch emotionales Thema und die Meinungen dazu gehen hierzulande auseinander. In den USA hingegen floriert das Geschäft mit der Fortpflanzungsmedizin. Eine Leihmutter erzählt blue News von ihren Erfahrungen.

Von Monique Misteli

26.12.2022

Sara Petersen ist Leihmutter – eine von über 2'800 in den USA. Die 38-Jährige sitzt in ihrem Arbeitszimmer in Asheville, North Carolina. Die Zeitverschiebung zur Schweiz beträgt sechs Stunden. Sara erklärt blue News, warum sie Leihmutter wurde.

Das Beste von 2022

Zum Jahresende bringt blue News die Lieblingsstücke des ablaufenden Jahres noch einmal. Dieser Text erschien zum ersten Mal am 15. Oktober 2021.

Nachdem ihr Sohn geboren wurde, habe sie dieses wunderbare Gefühl Eltern zu sein einem Paar mit unerfülltem Kinderwunsch ermöglichen wollen, sagt sie stolz in die Laptop-Kamera.

Für eine Leihmutterschaft sind die USA ein beliebter Zielort. Auch für Betroffene aus der Schweiz. Eine Umfrage der kantonalen Zivilstandesämter zeigt, dass im Jahr 2019 48 Kinder von Leihmüttern gemeldet wurden. Das sind doppelt so viele wie 2016. Die meisten von ihnen wurden in den USA, in der Ukraine und in Kanada geboren.

Verbot treibt Paare mit unerfülltem Kinderwunsch ins Ausland

Die Schweizer Bundesverfassung und das Fortpflanzungsmedizingesetz (FmedG) verbietet die Leihmutterschaft in der Schweiz. In den USA, Ukraine, Georgien, Indien, Südafrika und Russland hingegen ist die sogenannte kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt. Das heisst, die Leihmutter kriegt eine Entschädigung für das Austragen des Kindes.

Ein weiteres Modell ist die altruistische Leihmutterschaft. Diese basiert darauf, dass nahe Verwandte, etwa die Schwester oder Cousine sowie Freundinnen das Kind austragen können, dafür jedoch kein Geld erhalten.  Lediglich die durch die Schwangerschaft entstandenen Kosten werden von den Wunscheltern übernommen. Diese Art von Leihmutterschaft ist in Australien, Dänemark, Kanada, Irland, Lettland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich legal.

«Es ist falsch, die Leihmutterschaft zu verbieten»

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14.10.2022

Durch Agentur «gematched»

In den USA werden Leihmütter und die Wunscheltern in den meisten Fällen über eine  Vermittlungsagentur «gematched», erklärt Sarah. Dafür muss die Leihmutter im Vorfeld ausführliche Fragen zu ihrer psychologischen Verfassung, dem Gesundheitszustand oder der Familiengeschichte Auskunft geben. Erfüllt die Kandidatin die Kriterien, kann auch die werdende Leihmutter angeben, was ihr an den künftigen Eltern wichtig ist.

Diese Wünsche werden wiederum mit jenen der Wunscheltern verglichen. Etwa ob sich die wünschen, dass die Leihmutter die werdenden Eltern viel oder wenig in die Schwangerschaft einbezieht. Stimmen rund 85 Prozent der Kriterien überein, gibt es einen Match.

Passt der Match auch im persönlichen Austausch, folgt das Vertragliche. Unter anderem geht es um die Entschädigung, den rechtlichen Status des Kindes, oder was geschieht, wenn das Kind nicht gesund ist oder der Leihmutter während der Schwangerschaft etwas passiert.

Wie Leihmutterschaft funktioniert

Einigen sich die Vertragsparteien, folgt die Befruchtung. Dabei wird in zwei Modelle unterschieden:

1) Die traditionelle oder partielle Leihmutterschaft: Die Leihmutter stellt ihre Eizellen zur Verfügung. Das macht sie nicht zur zur Leih-sondern auch zur biologischen Mutter.

2) Komplette oder totale Leihmutterschaft: Die Leihmutter hat keine biologische Verbindung mit dem Baby, da die Eizellen von der Wunschmutter oder von einer anonymen Spenderin stammen.

Bei der traditionellen Methode reicht eine künstliche Befruchtung in Form der Insemination meist aus. Im Gegensatz dazu ist in der kompletten Leihmutterschaft eine IVF (In-vitro-Fertilisation) zwingend.

Bei Sarah dauerte der Prozess vom Kennenlernen bis zur Geburt fast 16 Monate.

Leihmutterschaft steht in der Kritik

Doch unabhängig vom Modell bleibt die Leihmutterschaft in der Schweiz umstritten. Kritisiert wird die Ausbeutung der Frau. Die Geburt werde kommerzialisiert und instrumentalisiert, die körperlichen und psychischen Folgen für die Leihmutter würden ausserdem nicht genügend beachtet. Auch eine Verletzung der Menschenwürde wird befürchtet.

«Es gibt sicher Länder, die die Leihmutterschaft nicht gut umsetzen»

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Hinzu kommt die komplizierte Rechtslage. Etwa wenn der Vertrag von einer Partei nicht eingehalten wird. Oder wenn das Kindsverhältnis zu den Wunscheltern nicht anerkannt wird. Das kann in der Schweiz sogar bedeuten, dass ein Kind vorerst rechtlich elternlos ist und keine Nationalität besitzt.

Sarah Petersen findet die Argumente der Kritiker gesucht und fragt rethorisch: «Was ist heute schon nicht kommerzialisiert?». Den Vertrag gelte es gut auszuhandeln. Die Vertragsparteien wüssten genau, worauf sie sich einlassen und dass es zu Komplikationen und allenfalls sogar zu einer Abtreibung kommen kann.

Es bleibt komplex

Zum Schutz des Kindes sowie der Eltern will sie keine weitere Auskunft geben: Sie habe auch eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben, sagt Sarah.

Nur so viel: Das Kind weiss, dass eine Leihmutter es zur Welt gebracht hat. Ungefähr alle vier Wochen haben sie Kontakt. Auch ihren Sohn habe sie bereits vor und während der Schwangerschaft darauf vorbereitet, dass er kein Geschwisterchen haben wird, sagt Sarah: «Für ihn war es völlig normal, dass das Baby nach der Geburt nicht bei uns blieb.»

Doch warum nimmt man die Strapazen auf sich? Vorabklärungen, medizinische Untersuchungen, Schwangerschaft, Geburt und das Abschiednehmen? Ist es wegen des Geldes?

«Das Baby war nie meins»

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Sarah verneint. Sie habe damals zirka 40'000 US-Dollar erhalten. Heute würden Leihmütter besser entschädigt. Zwischen 50'000 bis 60'000 lägen heute schon drin, sagt sie. Die ganze Leihmutterschaft kostet die Wunscheltern je nach Agentur zwischen circa 130'000 und 170'000 US-Dollar.

««An einem schlechten Tag denke ich daran, dass ich etwas Wunderbares gemacht habe – für jemanden ein Kind geboren.»

Sarah räumt auf Nachfragen schliesslich doch ein, dass sie die Leihmutterschaft auch auf sich genommen habe, um sich gut zu fühlen. Einerseits sei sie gerne schwanger gewesen und ergänzt: «An einem schlechten Tag denke ich daran, dass ich was Wunderbares gemacht habe – für jemanden ein Kind geboren zu haben.»

Und trotzdem werde sie es nicht noch mal machen: «Einmal reicht völlig aus», sagt sie. Den Zwiespalt zwischen «sich gut fühlen» und «Einmal ist genug» kann Sarah auch nach kurzem Überlegen nicht in Worte fassen.