Spielekritik «Death Stranding»: Der beste Kurier-Simulator der Welt

Von Pascal Wengi

14.11.2019

In «Death Stranding» legt man weite Distanzen mit seinem Gepäck zurück.
In «Death Stranding» legt man weite Distanzen mit seinem Gepäck zurück.
Bild: Sony Interactive Entertainment

«Death Stranding» ist ohne Zweifel der herausragendste und heissersehnteste Titel dieses Jahres. Obwohl es auf den ersten Blick mehr Fragen aufwirft als beantwortet, hat das Werk von Kultdirektor Hideo Kojima das Potenzial, die Gameindustrie nachhaltig zu beeinflussen. 

Eines ist sicher: Man kann nicht angemessen über «Death Stranding» sprechen, ohne dessen Schöpfer Hideo Kojima zu erwähnen. Bei kaum einem anderen Titel wird so viel Gewicht auf den Namen des Directors gelegt, wie bei Spielen aus Kojima’s Feder. Er gilt längst als Kultfigur in der Branche und wird von nicht wenigen als Genie bezeichnet. Seine bekannteste Schöpfung ist die «Metal Gear»-Reihe, welche unter seiner Leitung produziert wurde und eine riesige Fanbasis aufweist. 

In der Filmindustrie, an welcher er sich oft orientiert und als Inspiration für seine Werke nutzt, wäre er wohl mit einem Quentin Tarantino zu vergleichen. Beide produzieren Werke, welche sich fast schon in Independent-Manier vom Mainstream abheben und haben ihren klar erkennbaren Stil. Sowohl Tarantino wie auch Kojima erzählen eine Geschichte auf ihre ganz eigene Weise, meist aufgeteilt in Akte, wie ein Theaterstück.

Und genau wie Tarantino polarisiert auch Kojima wie kein zweiter Produzent. Man liebt oder hasst seine Werke. Diese Prämisse galt noch bei keinem Spiel von Kojima so sehr wie bei «Death Stranding». An diesem Spiel scheiden sich nun die Geister. Die einen bezeichnen es als das Meisterwerk der Neuzeit, andere sind enttäuscht und sehen darin ein Paradebeispiel dafür, dass Produzenten keine Carte Blanche für ihre eigenen Werke haben sollten.

Worum geht es hier genau?

Auch nach Stunden im Spiel weiss ich nicht so recht, wie ich die Story zusammenfassen könnte. «Death Stranding» wirft dem Spieler Informationen nur häppchenweise vor und immer nur gerade so viel, dass er mehr erfahren und weiterspielen möchte.

Im Kern geht es um die Welt oder Dimension der Toten, die sich vor einiger Zeit mit unserer Welt verbunden und einen Grossteil des Lebens ausgelöscht hat. Auf dem nordamerikanischen Kontinent leben die Menschen deshalb in autarken Grossstädten oder Bunkern. Es gibt kein Staatenbund mehr und die Regierung ist so gut wie inexistent.

Doch es gibt Hoffnung. Die an Krebs im Endstadium leidende Präsidentin der «Vereinten Städte von America» hat in Auftrag gegeben, dass man die Energie der Toten nutzen könnte, um die Städte des Landes mit einer Art Superinternet zu verbinden und so wieder einen Staat mitsamt Regierung zu formen. Dazu lancierte man eine Expedition, um verschiedene Städte von der Ostküste bis zur Westküste aufzusuchen und ans Netz zu schliessen.



Dieses Vorhaben erweist sich aber als gefährliche Reise, denn das Land wird von sogenannten «gestrandeten Dingen» (GDs) heimgesucht, eine Art unsichtbare Projektion der Toten, welche die Lebenden heimsuchen und wegzerren können. Erschwerend kommt noch der Zeitregen hinzu. Ein Niederschlag, der alles, was er berührt, sofort altern lässt. Wäre das nicht schon eine genug gefährliche Welt, gilt es, Tote innert 48 Stunden zu verbrennen, da sonst ein GD in der Grösse eines Berges erscheint, die Leiche absorbiert und somit eine Art Nuklearexplosion auslöst, welche ganze Städte in einen Krater verwandelt.

Wir spielen Sam Porter Bridges, ein postapokalyptischer Lieferbote, der Frachten von A nach B bringt und dabei helfen soll, das Netz zu vollenden. Das ist dann auch das, was wir zu 90 Prozent im Spiel tun. Wir holen an einem Ausgabeschalter ein Paket ab und bringen es an seinen Bestimmungsort. Dabei bewertet der Empfänger den Zustand der Fracht und die Zeit, die wir benötigt haben. Zur Belohnung gibt es Likes, denn das ist in der Postapokalypse die neue Währung. Und habe ich erwähnt, dass man ein ungeborenes Baby in einer Art künstlichen Brutkapsel mit sich rumschleppt? Ja, das ist ein Ding in «Death Stranding» und macht storytechnisch ab einem gewissen Punkt im Spiel sogar Sinn.

Eine Steuerung zum Verlieben

Vom technischen Standpunkt her spielt sich «Death Stranding» einfach grandios. Die Steuerung scheint aus einem «Metal-Gear»-Spiel übernommen worden zu sein und gibt einem das Gefühl, wirklich aktiv eine menschliche Person zu steuern. Es ist schwierig zu erklären, aber wer zum Beispiel «Metal Gear Solid V: Phantom Pain» gespielt hat, weiss, wie «richtig» sich die Steuerung anfühlt.

Zu Beginn des Spiels konzentriert sich dabei die Spielschwierigkeit vor allem auf das Laufen. Einfach den Analogstick nach vorne drücken und geistig abwesend in Richtung Ziel stapfen funktioniert hier nicht. Die Landschaft ist der eigentliche Feind, denn man kann jederzeit über kleine Felsen stolpern, von Flüssen oder Bächen mitgerissen werden oder einen Abhang hinunterrutschen, weil man den Halt verloren hat. So gilt es seinen Pfad stets gut im Auge zu halten und wenn nötig vorsichtig voranzutasten. Je mehr Ladung man dabei auf den Rücken geschnallt hat, desto leichter verliert man das Gleichgewicht oder rutscht ab.



Später erhält man nützliche Ausrüstung wie Exo-Suits oder eine Art Schwebe-Schlitten, welche das bessere Manövrieren mit erhöhter Last erlauben. So lässt sich mehr Fracht in kürzerer Zeit transportieren. Die wahre Kostbarkeit sind dann später aber die Fahrzeuge. Da man während Stunden jede Strecke nur zu Fuss zurückgelegt hat, achtet man später auf sein Bike oder Truck in anderer Weise als in ähnlichen Spielen. Man überlegt sich zweimal, wo man sein kostbares Bike abstellt und kommt sofort ins Schwitzen, wenn das Gefährt Schaden nimmt und kurz vor der Zerstörung steht.

Noch mehr rast der eigene und der digitale Puls in den GD-Gebieten. Sobald sich die unsichtbaren Geistwesen in unserer Nähe befinden, macht sich das mitgeführte Baby bemerkbar und zeigt deren ungefähre Position mittels der LED-Antenne an Sams Schulter an. Kommt ein GD zu nahe, dreht die Antenne wild leuchtend und schlägt Alarm. Dann heisst es Luft anhalten und sich schnellstmöglich ausser Hörweite bewegen. Diese Abschnitte werden zwar etwas leichter, sobald man später auch über entsprechende Waffen verfügt, verlieren aber nie an Spannung. Denn trotz der technischen Möglichkeit sich zu verteidigen, erwischt man sich selber immer wieder dabei, wie man den Atem anhält, wann immer die Antenne anfängt zu leuchten.

Mit fortschreitendem Spielverlauf wird klar: «Death Standing» spielt mit dem Umstand, dass der Einstieg sich eher mühsam und monoton zeigt. Denn so schätzt der Spieler Erleichterungen und neue Ausrüstung um ein Vielfaches mehr, als wenn ihm alles in den ersten paar Stunden vor die Füsse geworfen wird.

Früher war da nur ein Trampelpfad

Ein faszinierender Aspekt, den Kojima genial umgesetzt hat, ist der asynchrone Multiplayer-Modus des Spiels. Man trifft nie auf andere Spieler und trotzdem interagiert man ständig mit ihnen, ähnlich wie in «Dark Souls». Denn hat man eine Region ans neue Supernetz angeschlossen, ist diese fortan auch mit dem Netz von anderen Spielern verbunden, samt deren Objekten, Lieferungen, Pfaden und aufgestellten Schildern. Wer also eine Leiter aufstellt, um einen Vorsprung zu erklimmen, der hinterlässt diese Leiter auch anderen Spielern. Wird die Leiter dann benutzt, gibt es automatisch Likes und andere Spieler können zusätzlich manuell einige Daumenhochs nachreichen.

Begeht man ein Gebiet zum ersten Mal, dann erwartet einen meist karges Ödland. Hier und da liegt ein verlorenes Paket in der Wildnis, aber sonst fühlt man sich absolut auf sich allein gestellt. Dies ändert sich schlagartig, sobald die Online-Funktion freigeschaltet wird. Nehmen zum Beispiel viele Spieler dieselbe Route für eine Lieferung, wird daraus ein Trampelpfad, später dann ein richtiger Weg und so wird das Vorankommen um einiges einfacher. 

Dieses System ist dermassen gut integriert, sowohl storytechnisch wie auch von der Umsetzung, dass man sich das in anderen Spielen ebenso wünscht oder sogar fragt, wieso das andere Spiele nicht anbieten. Die Onlinefunktion macht zwar die Lieferungen einfacher, aber ohne dabei das Spiel zu simplifizieren. Es mindert nur etwas unnötige Umwege und lange Spaziergänge. Man mag sich ausmalen, wie wohl die Spielerfahrung für Spieler ist, wenn sie erst Monate später das Spiel neu beginnen und überall schon fertige Autobahnen und Brücken das Land zieren.

Hierhin haben sich offenbar noch nicht viele Spieler verirrt.
Hierhin haben sich offenbar noch nicht viele Spieler verirrt.
Bild: Sony Interactive Entertainment

Wunderhübsches Star-Aufgebot

«Death Stranding» durfte sich bei PS4-Exklusivhit «Horizon Zero Dawn’s» Engine bedienen. Dies erlaubt grosse, weite Areale fantastisch darzustellen. Bei näherem Betrachten wirken zwar die Texturen an manchen Stellen etwas verwaschen, aber das Gesamtbild der Umgebung ist immer atemberaubend. Ein weiteres Highlight sind die Charaktermodelle. Alle wirken sie wie lebendige Personen und nicht bloss wie 3D-Scans von Hollywood-Grössen. Die Mimik und Gestik spendieren den Figuren Leben und Glaubhaftigkeit. Dabei kann sich das Staraufgebot absolut sehen lassen und bietet neben Norman Reedus (Walking Dead) als Sam Porter Bridges unter anderem Lea Seydoux (James Bond Spectre), Mads Mikkelsen (Hannibal, Dr Strange) oder Margaret Qualley (Once upon a time in Hollywood) als Hauptfiguren und viele weitere teils ulkige Cameos wie zum Beispiel das von Conan O’Brian.

Ein Spiel, das polarisiert

«Death Stranding» polarisiert, genau wie sein Schöpfer Hideo Kojima. Es wird Spieler geben, die das Game schon nach wenigen Stunden ins Regal stellen und sich um ihr Geld betrogen fühlen. Wiederum andere werden jeden Quadratzentimeter bereisen, jedes noch so kleine Sammelobjekt suchen und das Spiel mehrfach mit verschiedenen Enden durchspielen. Einige geniessen vielleicht einfach die Story und bringen die Lieferaufträge zwecks Weiterkommens hinter sich. 

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