Münchener «Tatort» Die bittere Frage: Warum töten Kinder andere Kinder?

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7.6.2020

Im letzten «Tatort» der Saison 2019/20 tötete ein 13-Jähriger seinen gleichaltrigen Freund. Wer waren die Schauspieler in diesem Drama aus einer verzweifelten Wohlstandsgesellschaft – und gibt es solche Fälle?

Der letzte neue «Tatort» vor einer langen, dreimonatigen Sommerpause war besonders stark. Eine gut situierte, eigentlich intakt wirkende Familie zerbrach, weil ihr Sohn seinen Spielgefährten grundlos erschlug. Das Vertuschen der Tat zeigte auf, was ganz normale Menschen für ihr Fassadenglück zu tun bereit sind. Doch passieren solche Fälle, wie im Film «Lass den Mond am Himmel stehen» vor Augen geführt, tatsächlich – und weiss man, warum?

Worum ging es?

Zwei Familien der gehobenen Mittelschicht leben in einer grünen Münchener Bungalow-Siedlung. Judith (Laura Tonke) ist mit dem Chirurgen David Kovacic (Lenn Kudrjawizki) verheiratet. Mit dem 13-jährigen Sohn Emil (Ben Lehmann) aus einer früheren Beziehung hat man es sich in einer schicken Villa gemütlich gemacht. Eines Morgens ist das Bett des Jungen leer, offenbar ist er abends nicht von seinem Freund Basti (Tim Offerhaus) zurückgekehrt. Dessen Eltern (Victoria Mayer, Hans Löw), die noch die 18-jährige Tochter Hannah (Lea Zoe Voss) haben, sind eng mit den Kovacics befreundet. Doch auch sie wissen nichts über den Verbleib von Emil. Wenig später wird seine Leiche aus der Isar geborgen. Der Junge wurde ermordet.

Worum ging es wirklich?

Dass Emils Handyspur nahe einem Parkplatz für anonymen Sex endete, war nur ein Ablenkungsmanöver – weil sich der Verdächtigenkreis in diesem starken «Tatort» ansonsten rein auf die Mitglieder der beiden Familien beschränkt hätte. Trotzdem hätte man – gefühlt – eher den Stiefvater im Verdacht gehabt. Die denkbar bitterste Variante war es dann: Ein 13-Jähriger ermordet seinen Freund, weil der ein bisschen «uncool» und der jugendliche Täter wohl konsistent «gefühlskalt» unterwegs war. Ebenso bitter war die Erkenntnis, zu was modern und aufgeklärt wirkende Familien für die Wahrung ihres schönen Scheins zu tun bereit sind. Schauspielerin Victoria Mayer – sie spielt die Mutter des Mörders – sagt dazu im Interview: «Die Sehnsucht nach der perfekten Glücksfassade ist so gross geworden, dass sie das reale Leben beschädigt.»

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Warum ermorden Kinder andere Kinder?

Verglichen mit Deutschland, wo eine eingeschränkte Strafmündigkeit erst mit 14 Jahren beginnt, können Kinder in der Schweiz bereits früher zur Verantwortung gezogen werden - laut Jugendstrafgesetz (JStG) und Jugendstrafprozessordnung (JStPO) bereits ab Vollendung des zehnten Lebensjahres. Ein Freiheitsentzug ist jedoch auch hier erst bei 15- bis 18-Jährigen und auch nur maximal für ein Jahr möglich. Taten, wie die im Film, kommen in der Realität so selten vor, dass sie eher anekdotisch denn statistisch erfasst werden. Der renommierte Serienmord-Experte Stephan Harbort veröffentlichte 2018 das Buch «Wenn Kinder töten». Darin erzählt er von einigen Morden – nicht nur an Kindern – die von extrem jungen Tätern begangen wurden.

Sein Fazit: Die Motive der kindlichen Täter ähneln denen erwachsener Mörder stark. Es geht um Alltags- und Beziehungskonflikte, Macht, Habgier und sexualisierte Gewalt. Manchmal spielen aber auch Neugierde und Langweile eine Rolle, wie im Fall der damals 15-jährigen Amerikanerin Alyssa, die mit ihrer kleinen Schwester eine Neunjährige tötete, indem sie ihr die Kehle in einem Wald durchschnitt. Am selben Abend schrieb sie in ihr Tagebuch: «Ich habe gerade jemanden getötet ... Es war toll. Sobald man über das Gefühl ‹Das kannst du nicht machen› hinweg ist, ist es ziemlich unterhaltsam.»

Wer waren die Mütter?

Mit den bärenstarken Laura Tonke (46) – als Mutter des Opfers – und Victoria Mayer – als Tätermutter – standen zwei gut gebuchte Schauspielerinnen im Zentrum dieses doppelten Familiengeheimnisses. Tonke, die 2016 den Deutschen Filmpreis für ihre Rolle in der Depressions-Tragikomödie «Hedi Schneider steckt fest» gewann, absolvierte ihre jüngsten «Tatort»-Auftritte im Til Schweiger-Fall «Tschill Out» (2020) sowie in der Weimar-Komödie «Der scheidende Schupo» (2017). Auch Victoria Mayer (44) war schon insgesamt fünfmal in dem Krimiformat zu sehen. Zuletzt im ersten Schwarzwald-Fall «Goldbach» (2018), der Münsteraner Folge «Gott ist auch nur ein Mensch» (2018) sowie der Dortmunder Episode «Tod und Spiele» (2017).

Kennt man die jungen Darsteller?

Drei Kinder- und Jugendrollen gab es in diesem «Tatort» zu besetzten. Während die Rolle des Mordopfers Emil (Ben Lehmann) eher klein war, da die Figur nur in Rückblenden ohne Text zu sehen war, hatten Mörder Basti Schellenberg und seine 18-jährige Schwester Hannah deutlich komplexere Rollen zu spielen. Basti wird von Tim Offerhaus, Jahrgang 2005, verkörpert. Bisher spielte der junge Münchener Serienrollen in «Racko – Ein Hund für alle Fälle» (zwei Episoden) und vor allem in «Um Himmels Willen» (als Kevin Meier, neun Episoden). Seine Filmschwester Hannah, geboren 1988 in Bonn, ist mit 22 Jahren dagegen fast ein «alter Hase» im Geschäft. Nach einigen Jahren Ausbildung am «Jungen Theater Bonn», die sie parallel zum Abitur absolvierte, spielte sie bereits in der Web-Jugendserie «Druck» (funk), dem Kinderkanal-Schlachtschiff «Die Pfefferkörner» (2019) sowie der tollen – aber leider nicht verlängerten – Familienserie «Das Wichtigste im Leben» auf VOX (als beste Freundin der Filmtochter von Jürgen Vogel) mit.

Wie geht es beim «Tatort» weiter?

Am kommenden Sonntag gibt es noch einmal einen neuen «Polizeiruf» aus Rostock, danach beginnt eine lange Dürreperiode der Wiederholungen. 13 Wochen, bis zum 6. September, wird sie andauern. Es ist die längste Pause seit dem Jahr 2012 – und wohl auch den langen Drehstopps wegen der Corona-Pandemie geschuldet. Bleibt der Griff in die Retrokiste, der in diesem Jahr aufgrund des 50. «Tatort»-Geburtstags ein wenig bunter ausfällt als sonst.

Für den Primetime-Sendeplatz am Sonntag um 20.15 Uhr können Zuschauer unter besonders quotenstarken «Tatorten» ihren Wunschkrimi wählen: 50 Filme stehen noch bis zum 14 Juni via ARD-«Tatort»-Webseite zur Wahl. Der erste Wunschkrimi wird am 21. Juni gesendet. Zudem kommen redaktionell ausgewählte Klassiker des Krimiflaggschiffes, die auf dem ARD-Freitagabend-Sendeplatz ab 26. Juni, um 22.15 Uhr, zu sehen sind, zum Einsatz.

Der «Tatort: Lass den Mond am Himmel stehen» lief am Sonntag, 7. Juni, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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