«Tatort: Videobeweis» Wann ist Sex am Arbeitsplatz erlaubt?

tsch

1.1.2022

Im Stuttgarter «Tatort: Videobeweis» drehte sich alles um die Frage, ob der von einer Überwachungskamera gefilmte Büro-Sex eines Chefs mit seiner Mitarbeiterin «einvernehmlich» war. Welche Methoden gibt es, dies zu klären?

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1.1.2022

Die vielleicht noch vom Silvester-Fest gezeichneten «Tatort»-Fans mögen nicht schlecht gestaunt haben: Karaoke, Alkohol, schummriges Licht – und dazu mehr oder weniger offensichtliche Verführungsspiele auf einer Weihnachtsfeier in einem Stuttgarter Versicherungskonzern. Da haben es die schwäbischen Risikoberechner ganz schön krachen lassen.

Dass der Chef mal mit der Mitarbeiterin fremdgeht – ja, das soll vorkommen. Im psychologisch feingliedrigen Fall der Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) ging es jedoch darum, ob der Sex zwischen Chef und Mitarbeiterin einvernehmlich war oder nicht. Er sagt: ja. Sie sagt: nein. Dank der Videoaufzeichnung einer Überwachungskamera konnten die – pikanterweise – männlichen Ermittler Bobachtungsstudien in Endlosschleife führen. War das spannend anzusehen? Und mit welchen Methoden lässt sich herausfinden, ob Sex einvernehmlich war – wenn Aussage gegen Aussage steht?

Worum ging es?

Versicherungsmathematiker Idris Demir (Ulas Kilic) liegt am Morgen nach der Weihnachtsfeier seiner Firma tot im Foyer, heruntergestürzt aus grosser Höhe. Die letzten Partygäste, die etwas gesehen haben könnten, sind Idris' Kollegin Kim Tramell (Ursina Lardi) und der gemeinsame Chef, Oliver Jansen (Oliver Wnuk). Die Intimität zwischen Kim und Oliver sollte niemals rauskommen, denn der Chef ist verheiratet und junger Vater. Während der Vernehmung erfahren die Beischläfer, dass ihr Sex von einer Überwachungskamera gefilmt wurde. Auch das spätere Mordopfer war offensichtlich in der Nähe.



Während der Chef schwört, sein Stelldichein mit der Mitarbeiterin sei einvernehmlich gewesen, zeichnet die erfahrene Kim ein anderes Bild: Ihr Chef habe sie zur Intimität gezwungen, und sie habe letzten Endes nur eingewilligt, um noch Schlimmeres zu verhindern. Auf dem Präsidium schauen sich Lannert und Bootz das «Sexvideo» immer wieder an, um die Zeichen der Akteure im Film zu deuten ...

Worum ging es wirklich?

Um die Frage: was ist «einvernehmlicher Sex», und darum, mit welchen Mitteln man solch widersprüchliche Aussagen wie im Film überprüfen soll. Was in unzähligen Vergewaltigungsprozessen immer wieder eine komplexe, schwer zu klärende Frage ist, wird im «Tatort» zusätzlich dadurch aufgeladen, dass der Geschlechtsakt von einer grobkörnigen Überwachungskamera festgehalten wurde.

Dadurch darf man den «Tatort: Videobeweis» zu einem der spannendsten Thriller-Subgenres der Filmgeschichte hinzuzählen: jene Streifen, in denen durch exzessive Untersuchung einer auf Foto, Tonband oder eben Film festgehaltenen Szene herausgefunden werden soll, was wirklich passiert ist. Im absoluten Klassiker dieses Genres, Michelangelo Antonionis «Blow Up» von 1966, glaubt ein Fotograf, auf seinen entwickelten Fotos zufällig einen Mord festgehalten zu haben. 1966 wie 2022 lautet die Frage: Täuschen sich die Beobachter? Und: Auf welche Weise können Bilder lügen?

Wann ist Sex am Arbeitsplatz verboten?

Grundsätzlich ist laut Schweizer Arbeitsrecht weder Sex unter Kollegen noch der zwischen Chef und Angestellten verboten. Manche Firmen und Institutionen haben aber «interne Regelungen» zu diesem Punkt. So gibt es etwa bei Banken, Versicherungen und Beratungsunternehmen eine Meldepflicht, die Interessenskonflikte verhindern soll. Auch kann der Arbeitgeber Angestellte in andere Abteilungen versetzen, wenn sich die Beziehung negativ auf das Betriebsklima oder die Arbeitsleistung auswirkt.



Sex mit dem Chef oder der Chefin ist natürlich auch nur dann erlaubt, wenn er «einvernehmlich» ist. Heikel wird dieser Punkt vor allem dann, wenn Auszubildende oder Praktikanten in das Verhältnis involviert sind. Juristen und Psychotherapeuten empfehlen, dass der ranghöhere Partner die Personalabteilung über eine solche Beziehung informieren sollte. 

Warum ist der Begriff «einvernehmlicher Sex» so schwierig?

Eigentlich sollte es ja nicht so schwer sein, festzustellen, was einvernehmlicher Sex ist – zumindest, wenn nicht wie im «Tatort» Aussage gegen Aussage steht. Haben also zwei erwachsene und gleichermassen zurechnungsfähige Personen dem Sex zugestimmt, sollte die Sache gesetzlich okay sein. Doch es gibt Ausnahmen: Partner, die in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen (z.B. Chef/Angestellte) – der Film thematisiert dies – müssen eigentlich anders betrachtet werden.

Dies gilt übrigens auch für Sex in Ehe oder Lebensgemeinschaft, wie eine britische Studie von 2013 zu verstehen hilft: Laut der Untersuchung, über die ukmedix.com berichtete, setzen zwei von drei Frauen, aber nur jeder zehnte Mann, Sex zu Belohnungszwecken ein. Das heisst: Frauen haben sehr viel öfter Sex mit ihren männlichen Partnern, weil sie glauben, an dieser Stelle nicht «Nein» sagen zu können, als umgekehrt.

Wie geht es beim Stuttgarter «Tatort» weiter?

Die nächste Episode mit den Kommissaren Lammert und Bootz wird erst nach der Sommerpause 2022 zu sehen sein. Sie trägt den Namen «Tatort: Der Mörder in mir» und stammt aus der Feder des erfahrenen Filmemachers Niki Stein («Rommel»), der sowohl fürs Drehbuch wie auch die Regie verantwortlich zeichnet: Ben Dellien war einen Moment unaufmerksam, überfährt einen Radfahrer – und fährt einfach weiter. Er versucht, die Spuren zu vertuschen. Kommen die Stuttgarter Kommissare ihm trotzdem auf die Spur? Nicholas Reinke, Tatiana Nekrasov und Christina Hecke heissen die Gaststars des Films.

«Tatort: Videobeweis» lief am Samstag, 1. Januar 2022, 20.05 Uhr auf SRFzwei.