Kolumne Lass die Kinder zurück und freu dich, sie erst später wieder zu sehen

Von Michelle de Oliveira

8.4.2023

«Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich erholte, während mein Mann sich tagelang allein um die Kinder kümmerte»: Michelle de Oliveira, Kolumnistin.
«Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich erholte, während mein Mann sich tagelang allein um die Kinder kümmerte»: Michelle de Oliveira, Kolumnistin.
Bild: Renato de Oliveira

Sie freut sich riesig und gleichzeitig ist ihr ganz schwer ums Herz: Die Kolumnistin ist für sechs Tage verreist – zum ersten Mal seit längerem ohne ihre beiden Kinder.

Von Michelle de Oliveira

8.4.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Michelle de Oliveira verreist zum ersten Mal für längere Zeit ohne ihre Kinder.
  • Das bedeutet für die blue News-Kolumnistin eine Woche ohne Kinder-Hintern abwischen, aber auch eine Woche ohne Umarmungen.
  • Die Kolumnistin war glücklich während der kinderfreien Tage. Aber sie war auch froh, als sie wieder zu Hause war.

Als ich im Taxi sass, schlug mein Herz schneller als üblich. Ich verreiste für sechs Tage beruflich. Ganz allein. Ohne Kinder.

Ich freute mich riesig und gleichzeitig war mir der Abschied äusserst schwergefallen. Die Kleinere hatte vor der Abreise gefragt: «Aber warum kannst du denn nicht hier mit den Leuten reden?»

Der Grössere war ganz gelassen und erklärte: «Weisch, das ist wie damals, als Mama in Barcelona war.» Der grosse Bruder eben. Nur kroch er dann in der Nacht vor der Abreise doch weinend in mein Bett und meinte: «Ich möchte jetzt doch nicht, dass du weggehst.»

Nicht mehr gewohnt, ohne einander zu sein

Tatsächlich war ich schon einige Male verreist, so wie eben vergangenes Jahr nach Barcelona. Das ist aber bereits eine Weile her und wir haben seither als Familie fast jede freie Minute zusammen verbracht. Wir sind es schlicht nicht mehr gewohnt, ohne einander zu sein.

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt sie mit ihrer Familie in Portugal.

Und dabei freute ich mich genau darauf sehr. Einige Tage selbstbestimmt zu verbringen, in meine Arbeit einzutauchen, Freunde zu treffen.

Und für einige Tage nicht kochen, keine Kinder-Hintern abwischen und mir nicht überlegen, ob ich den kleinen, den mittleren oder den Löffel mit dem Krokodil auf den Tisch lege, nur um sowieso den falschen gewählt zu haben.

Einige Tage ohne ständig dreckige Kleider, ohne dauernd gerufen zu werden, ohne zum hundertsten Mal dieselbe Geschichte vorzulesen. Einige Nächte schlafen, ohne dass ich mehrmals geweckt werde, ohne Tritte in die Rippen und ohne dass mir jemand schamlos ins Gesicht hustet.

«Ach komm, wir nehmen noch eins»

Aber eben auch einige Tage ohne Umarmungen, die so sehr aufs Gurgeli drücken, dass ich nicht mehr atmen kann, ohne feuchte Küsse, ohne lustige Wortkreationen und Versprecher, ohne kleine Händchen, die im Schlaf nach mir greifen, ohne Giggeln, bis wir kaum noch atmen können.

Diese Ambivalenz bringt das Muttersein für mich auf den Punkt. Ich wünsche mir Zeit ohne meine Familie und gleichzeitig fällt es mir nicht leicht, diese einzufordern, möglich zu machen und – am schwierigsten – diese auch zu geniessen.

Diesmal ist es mir während meiner Abwesenheit oft gelungen. Ich genoss es, ungestört zu arbeiten und zu essen, zelebrierte die Momente, in denen ich sagte: «Ach komm, wir nehmen noch eins» und bis um vier Uhr morgens tanzte, weil ich wusste, ich würde ungestört schlafen. Ich liebte es, einfach wieder mal mit mir zu sein.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich erholte

Aber genau in einem solchen Moment bin ich ins Straucheln gekommen. Nach sehr anstrengenden, vollen Tagen hatte ich plötzlich einen ganzen Nachmittag lang frei.

Es regnete und ich trank Tee, lag auf dem Sofa, konnte endlich mal nichts tun – und habe es fast nicht ausgehalten! Ich bin es schlicht nicht mehr gewohnt, länger als wenige Minuten nichts zu tun.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich erholte, während mein Mann sich tagelang allein um die Kinder kümmerte. Und ich vermisste meine Familie so sehr, dass es sich anfühlte, als sei ich in der Mitte auseinandergebrochen.

Aber es war auch ein schönes Gefühl, sich nach ihnen zu sehnen und mich so sehr auf das Wiedersehen zu freuen.

Und dann haben mich die Kinder am Flughafen abgeholt, ich habe vor Freude geweint und kurz darauf schrie meine Tochter, weil ich ihr im Auto die Socken mehrfach nicht richtig angezogen habe.

Ich war glücklich. Ich hatte Zeit für mich gehabt. Jetzt war ich wieder zu Hause und es war alles wie immer.


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