Highway 50 Amerikas einsamste Strasse

Stefan Weissenborn/dpa

1.5.2019

Diese Strasse ist perfekt für einen eigentümlichen Roadtrip: Nevada vermarktet den U.S. Highway 50 als einsamste Strasse Amerikas. Nicht ohne Grund. Und wenn man vom Highway abfährt, wird es noch verlassener.

Die Veranda ist voll. Doch dann bringt die Bedienung doch noch den «Monster Burger»: zwei entkernte Oliven in panierten Zwiebelringen als Augen, die Brötchenhälften als grosse Klappe.

Wir sind unterwegs auf dem U.S. Highway 50, der einsamsten Strasse in Amerika, wie es heisst. Wir haben Station gemacht an der Middlegate Station, wo es eher wenig einsam ist.

Die Kneipe drinnen war einst Station des berühmt-berüchtigten Pony Express, dem schnellen Postdienst Mitte des 19. Jahrhunderts. Schnell hiess: Mit dem Pferd auf einer Route von 3000 Kilometern quer durch halb Amerika galoppieren. Auf dem Teilstück durch die gottverlassene Wüste Nevadas konnten sich Ross und Reiter in Middlegate auffrischen.

Eine Landschaft wie auf dem Mond

Mit den vorgeblich so harschen Lebensbedingungen der Gegend spielt heute ein Schild: «Middlegate Station. Residents 17», gefolgt von einer durchgestrichenen 18. Doch eine Geisterstadt, von denen es in Nevada viele gibt, droht der Wild-West-Rasthof nicht zu werden.

«The Loneliest Road in America»: So nannte das «Life»-Magazin den Highway, dessen einsamstes Stück in Nevada über knapp 300 Meilen von Fernley bis Ely führt. Der Artikel sprach damals, 1986, nicht gerade eine Reiseempfehlung aus. Doch Nevada erklärte die Ödnis zur Attraktion.

Unterwegs auf der einsamsten Strasse Amerikas: die Middlegate Station am US 50 in Nevada. Foto: Stefan Weissenborn
Unterwegs auf der einsamsten Strasse Amerikas: die Middlegate Station am US 50 in Nevada. Foto: Stefan Weissenborn
Source: Stefan Weissenborn

Schon im gleichen Jahr konnten sich Reisende einen «Survival Passport» besorgen, ihn an Stationen am Wegesrand abstempeln lassen und dann darauf hinweisen, den Trip überlebt zu haben – ein funktionierendes Marketingkonzept. Bis heute.

Es gibt nicht viele Sehenswürdigkeiten entlang des US 50, doch dort, wo es etwas zu sehen gibt, trifft man Menschen. Zum Beispiel am Sand Mountain. Je näher wir dem Sandhaufen kommen, der sich linkerhand an eine Bergflanke schmiegt, desto mehr entromantisiert sich das Naturwunder aus zerriebenem Stein.

Zeremonie der Motorbetriebenen

Auf der Stichstrasse kommen uns Pick-up-Trucks entgegen, die auf Hängern Quads oder Cross-Motorräder transportieren. Der 3,2 Kilometer lange und 180 Meter hohe Sandhaufen, von den Ureinwohnern als Heiligtum verehrt, wird an Wochenenden von Motorsportlern entweiht.

Das Gefühl des Alleinseins will sich zunächst nicht einstellen, auch wenn man über Dutzende Kilometer nicht viel mehr sieht als das Asphaltband vor sich. Liegt das an den Telefonmasten, die den Pony Express überflüssig machten? Oder daran, dass man schlicht im Auto sitzt, die nächste Tankstelle schon kommen wird und man es so unendlich bequemer hat als die Reiter des Pony Express?

Auch Donna Cossette ist es trotz der Entlegenheit der Gegend manchmal ein bisschen zu viel Betrieb. Ihre Mutter ist Native American vom Stamm der Paiute-Shoshone in Fallon, Cossette wurde vor einigen Jahren als erste Frau zur Vorsitzenden ihres Stammes gewählt. Sie hat uns zum Grimes Point unweit des Highways geführt, einer Ansammlung rötlicher Geröllbrocken. Dort ritzten Ureinwohner vor 5000 Jahren oder noch früher mehr als 1000 Felszeichnungen ins Gestein.

«Das sind die ältesten Kirchen Amerikas», sagt Cossette. «Weil die Leute hier beteten.» Grimes Point wurde vor dem Zweiten Weltkrieg als Müllkippe zweckentfremdet und ist noch heute in staatlichem Besitz.

Die ausgestorbene Wüstenstadt Berlin

Cossette würde aus dem Kulturschatz wieder einen Ort machen, an dem die Paiute ungestört Zeremonien abhalten können. «Aber das geht nicht, wegen der vielen Besucher.»

Hinter Middlegate Station verlassen wir den Highway und biegen Richtung Süden auf die State Route 361 ab. Auf Google Maps hat uns ein Eintrag neugierig gemacht: Berlin. Schotterpiste, auf 80 Kilometern ausser uns kein einziges Auto. Dann eine Ansammlung von windschiefen Bretterbuden an einer Anhöhe, im Silberrausch gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtet und nun eine echte Geisterstadt.

Wo in Berlin einst Minenarbeiter, Schmiede, Mühlenbetreiber und eine Prostituierte wohnten, sind heute die Fenster blind. Auf einer Veranda ein Tisch mit Flaschen, Werkzeugen und Utensilien, vor einer der Hütten das Gerippe eines verrosteten Ford Model T.

In der Abenddämmerung – der Himmel tiefblau und die Wolken dick und orange – biegen wir wieder auf den US 50 ein. Vertrauter Asphalt, Masten und Strassenmarkierungen und dann Austin, einer der vier Orte entlang des einsameren US-50-Teils. Knapp 200 Menschen, eine Kirche und ein Steinturm, der uns rechterhand begrüsst. Es ist dunkel, als wir die Spencer Hot Springs passieren. Das Big Smoky Valley hier ist ein Meer aus Wüstensalbei. Doch es liegt in Finsternis.

Einsame Nacht im Jail House Motel

Die Nacht verbringen wir 130 Kilometer weiter im «Jail House Motel» in Ely, einem in die Jahre gekommenen Vorläufer der Themen-Hotellerie mit Zimmern, die Zellennummern haben. Die Dinner-Option liegt hinter schweren Gittern. Als wir gegen 22.00 Uhr ankommen, zocken noch zwei graugesichtige Alte am Spielautomaten. Die Küche ist kalt.

Am Morgen dann das vielleicht einsamste Gefühl entlang des US 50. Wir spazieren entlang der Hauptstrasse auf der Suche nach einem Kaffee und einem Happen zu essen. Vereinzelt schleichen Gestalten den Bürgersteig entlang, doch die Läden haben zu – auch die Cafés, obwohl sie laut den Öffnungszeiten im Fenster längst Gäste erwarten müssten. Ausgerechnet in einer Stadt fühlt man sich richtig einsam.

Östlich von Ely läuft der U.S. Highway 50 weiter in Richtung Utah, unprätentiös und in aller Einsamkeit teilt er sich hier die Fahrbahn mit dem Highway US 6. Kein touristisches Schild weist darauf hin.

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