Schutzfrist abgelaufen Bundesarchiv gibt geheime Dokumente des «Schicksalsjahrs» 1992 frei

tl, sda

1.1.2023 - 11:45

Bundesrat Adolf Ogi (Links), Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz und der schwedische Minister Ulf Dinkelspiel bei der Unterzeichnung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) am 2. Mai 1992 in der portugiesischen Hafenstadt Porto. 
Bundesrat Adolf Ogi (Links), Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz und der schwedische Minister Ulf Dinkelspiel bei der Unterzeichnung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) am 2. Mai 1992 in der portugiesischen Hafenstadt Porto. 
Archivbild: Keystone

1992 erlitt der Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum Schiffbruch, nachdem der Bundesrat zuvor überraschend ein Beitrittsgesuch gestellt hatte. Nun veröffentlichte Dokumente geben Einblicke in die Hintergründe des politischen Schicksalsjahrs.

1.1.2023 - 11:45

Ab dem heutigen 1. Januar 2023 haben Forscherinnen und Forscher, Medienschaffende und Geschichtsinteressierte Zugang zu diplomatischen Dokumenten des Jahres 1992 im Bundesarchiv. Eine entsprechende 30-jährige Schutzfrist ist abgelaufen.

Die unabhängige Forschungsstelle Dodis (Diplomatische Dokumente der Schweiz) hat zahlreiche Dokumente zum Schicksalsjahr 1992 ausgewertet und veröffentlicht eine Auswahl davon in einer Datenbank und im neuesten Band der Diplomatischen Dokumente der Schweiz, wie die Forschungsstelle Dodis der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften mit Standort im Bundesarchiv in Bern im Vorfeld mitteilte.

Die rund 1700 neu zugänglichen Dokumente beleuchten unter anderem den negativen Ausgang der Volksabstimmung über den EWR, den Umweltgipfel von Rio de Janeiro, die Entwicklungen in Osteuropa und die Neutralitätsfrage im neuen sicherheitspolitischen Umfeld.

Zeitenwende in der Europapolitik

1992 war in mancher Hinsicht ein politisches Schicksalsjahr: Am 6. Dezember besiegelte das Stimmvolk eine Zeitenwende in der schweizerischen Europapolitik. Der Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erlitt Schiffbruch.

Noch im Frühjahr 1992 entschied der Bundesrat, rasch ein Gesuch zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bei den Europäischen Gemeinschaften (EG) einzureichen, wie die heutige EU damals noch hiess. Dabei wurde Verkehrsminister Adolf Ogi von der SVP zum Zünglein an der Waage, wie Dokumente zeigen.

Bundesrat Adolf Ogi im Europastudio von SF DRS im Jahr 1992: 
Bundesrat Adolf Ogi im Europastudio von SF DRS im Jahr 1992: 
KEYSTONE

Dem Fokus auf Europa wiederum versuchte die schweizerische Handelsdiplomatie entgegenzuwirken. Sie zeigte sich auf globaler Ebene vernetzungsfreudig, wie weitere Dokumente zeigen. Im Zentrum stand der bilaterale Handel mit China, dem aufstrebenden «Tigerstaat» Taiwan sowie Argentinien und Chile.

Erste Schweizer Klima-Versprechen

Eigentliches Hauptereignis der multilateralen Zusammenarbeit war laut Dodis die Uno-Konferenz über Umwelt und Entwicklung. Nach aktiven Vorbereitungsarbeiten der Schweiz verhandelten Delegierte aus 178 Ländern in Rio de Janeiro Lösungsansätze für die globalen Umweltprobleme.

Anlässlich der Unterzeichnung der Klimakonvention verkündete der damalige Umweltminister Flavio Cotti feierlich, dass die Schweiz ihre CO2-Emissionen bis zum Jahr 2000 auf dem Niveau von 1990 stabilisieren werde. Das zeigen weitere Dokumente.

Die veränderte europäische Sicherheitsarchitektur Anfang der 1990er Jahre rüttelte schliesslich an der Essenz der schweizerischen Selbstwahrnehmung. Eine Studiengruppe des Bundesrates forderte die «Neuausrichtung der Aussenpolitik hinsichtlich der Neutralität».

Schutzfristen von 30 und 50 Jahren

Im Bundesarchiv sind die Dossiers zum Jahr 1992 ab 1. Januar 2023 öffentlich zugänglich. Dann läuft die Schutzfrist von 30 Jahren ab, wie sie im Bundesgesetz von 1998 festgeschrieben ist. Für Dokumente mit sensiblen persönlichen Daten gilt eine Sperrfrist von 50 Jahren.

Die Forschungsstelle Dodis arbeitet als unabhängige Instanz die Geschichte der schweizerischen Aussenpolitik und der internationalen Beziehungen seit der Gründung des Bundesstaates 1848 auf und will mit der Veröffentlichung von Schlüsseldokumenten auch neue Studien zur Zeitgeschichte anregen und fördern.

Das Bundesarchiv in Bern ist älter als die Bundesverfassung von 1848. Bereits 1798 hatten die Räte der Helvetischen Republik (1798-1803) die Gründung eines Nationalarchivs beschlossen.

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