Experte zum Krieg in der Ukraine «Ich glaube nicht, dass Kiew gewinnen kann»

Von Philipp Dahm

31.3.2022

 Kann man mit einem Wladimir Putin noch verhandeln?

Kann man mit einem Wladimir Putin noch verhandeln?

Nach fünf Wochen Krieg sind die Fronten in der Ukraine verhärtet. Auch diplomatisch? Kann man mit einem Wladimir Putin noch verhandeln? Wie lange schaut er westlichen Waffenlieferungen noch zu? Professor Laurent Goetschel gibt Antworten.

30.03.2022

Die Fronten in der Ukraine sind nach fünf Wochen Krieg verhärtet: Kann Kiew mit Wladimir Putin noch verhandeln? Nimmt er westliche Waffenlieferungen hin? Professor Laurent Goetschel von der Universität Basel gibt Antworten.

Von Philipp Dahm

31.3.2022

Laurent Goetschel ist ein ehrlicher Gelehrter. «Ich bin kein Militärexperte in dem Sinne», pariert er die Frage, ob er geglaubt hätte, dass die Ukraine Russland fünf Wochen standhalten kann.

Dafür hat der Professor der Politikwissenschaften an der Universität Basel eine klare Meinung dazu, ob man mit einem Wladimir Putin noch verhandeln kann und ob der Kreml hinnimmt, wie der Westen Kiew Waffen liefert und gar in Polen ukrainische Soldaten ausbildet – zu sehen im Video oben.

An Wladimir Putin, hier zu sehen am 16. Juni 2020 in Genf, führt kein Weg vorbei, glaubt Politologe Laurent Goetschel.
An Wladimir Putin, hier zu sehen am 16. Juni 2020 in Genf, führt kein Weg vorbei, glaubt Politologe Laurent Goetschel.
KEYSTONE

«Wenn man jetzt davon ausgeht, dass es Putin nicht darum geht, die Ukrainerinnen und Ukrainer systematisch gegen sich aufzubringen, kann er nicht einfach Kiew bombardieren und losmarschieren. Natürlich kann es sein, dass es zu Schwierigkeiten kommt», antwortet der Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung (swisspeace) dann doch auf die Eingangsfrage.

«Es gibt sicher auch Überlegungen, was er mit Kiew eigentlich machen soll», fährt Goetschel fort: «Man sieht jetzt, dass die Stadt nicht einen Stellenwert hat wie Mariupol, das sich auf der Landbrücke zwischen dem Donbas und der Krim befindet.» Ob und wann die derzeit festgefahren wirkendenden Fronten aufbrechen, «entscheiden aus meiner Sicht weitgehend die Russen», erklärt der frühere Mitarbeiter der Schweizer Aussenministerin und Bundesrätin Micheline Calmy-Rey.

Lage von Mariupol in der Ukraine.
Lage von Mariupol in der Ukraine.
Google Earth

«Es kann zu einem Zermürbungskrieg kommen»

Russland habe nun mal die Übermacht: «Sie entscheiden, wo sie hin wollen, wo sie sich festsetzen und wo nicht. Trotz aller Berichte glaube ich nicht, dass die ukrainischen Streitkräfte wirklich Potenzial haben, den Krieg zu gewinnen. Sie können versuchen, zu reagieren, punktuelle Siege zu erreichen, aber dass sie jetzt insgesamt die Dynamik in diesem Konflikt bestimmen könnten, kann ich mir schwerlich vorstellen.»

Der Kreml hat dabei einen grossen Vorteil, glaubt Goetschel: «Demografie spielt schon eine Rolle – auch wenn man jetzt von russischen Soldaten liest, die sich freiwillig dem Gegner anschliessen, sprechen wir hier wohl nur von einigen Tausenden.» Sollte es keinen Frieden, aber stabile Fronten geben, könnte die Ukraine Russlands Truppen jedoch sicher mit Scharmützeln auf Trab halten und «punktuell Verluste zuführen», so der 57-Jährige.

Ein ukrainischer Soldat posiert am 27. März in Stoyanka vor einem ausgebrannten russischen Panzer.
Ein ukrainischer Soldat posiert am 27. März in Stoyanka vor einem ausgebrannten russischen Panzer.
AP

«Das zeigt sich auch in der Ausrüstung, die sie erhalten: Die Ukrainer bekommen ja keine Panzer und Flugzeuge, sondern eher leichte Waffen, die ihnen gestatten, beweglich immer wieder Schaden zu verursachen» erläutert Goetschel. «Es kann zu einem Zermürbungskrieg kommen.»

«Firmen hassen Rechtsunsicherheit»

Er selbst rechnet aber damit, dass sich Moskau eher einen Teil des Gebiets einverleiben will – «ob das jetzt informell, formell, annektiert, unstabil oder besetzt ist, sei dahingestellt». Ob der anvisierte Regimewechsel in Kiew Aussicht auf Erfolg hat, will der Politologe nicht vorhersagen.

Goetschels Fazit: «Rein militärisch hat Russland sicherlich den längeren Atem als die Ukrainer.» An einen möglichen Konflikt mit dem Westen glaubt Goetschel «nach wie vor nicht. Aber mit Putin wird der Westen keinen Frieden mehr machen: Dass es wieder zu einem Grad der Kooperation kommen würde, wie es ihn vorher gab, glaube ich nicht. Es wurde vor allem bei der Wirtschaft zusammengearbeitet.»

Doswidanja für immer? Ein geschlossenes Geschäft der japanischen Firma Uniqlo in Moskau.
Doswidanja für immer? Ein geschlossenes Geschäft der japanischen Firma Uniqlo in Moskau.
EPA

Bei der Sicherheit sei die Kooperation zuletzt ohnehin immer schwächer geworden – «ob bei der globalen Abrüstung oder der OSZE». Auf politsicher Ebene sei die Zusammenarbeit ohnehin «nicht toll gewesen», verdeutlicht Goetschel. «Aber es wird mit Putin auch sicher nichts neu aufgebaut werden. Das wäre wohl doch mit einem zu grossen Gesichtsverlust der westlichen Führungspersönlichkeiten verbunden.»

Goetschel glaubt auch nicht, dass die Unternehmen, die Russland jetzt verlassen, einmal wiederkommen. Dagegen sprechen ihm zufolge auch die angedrohten Verstaatlichungen, die im Falle geleaster Flugzeuge bereits Realität geworden sind. «Die Firmen interessieren sich ja eigentlich nicht so für Politik, aber wenn es eins gibt, was sie hassen, ist es Rechtsunsicherheit.»