Weizenernte in Gefahr Der Krieg treibt die Brotpreise. Und die Ärmsten auf die Strasse?

Von Philipp Dahm

8.3.2022

Ernte in einem russischen Dorf im Juli 2021: Der grösste Weizenexporteur der Welt hat wegen der Sanktionen Mühe, das Getreide abzusetzen.
Ernte in einem russischen Dorf im Juli 2021: Der grösste Weizenexporteur der Welt hat wegen der Sanktionen Mühe, das Getreide abzusetzen.
AP

Russland und die Ukraine bestellen einen Viertel der jährlichen Weizen-Produktion. Was passiert, wenn in Importländern wie Ägypten, Libyen, Jemen oder Bangladesch die Brotpreise steigen?

Von Philipp Dahm

8.3.2022

Hohe Brotpreise haben schon so manche Regierung den Kopf gekostet. Ob Französische Revolution oder Arabischer Frühling: Immer dann, wenn der Kauf von Nahrungsmitteln einen hohen Teil des Budgets verschlingt, können Preissteigerungen wie bei Weizen Menschen in echte Bedrängnis bringen.

Und nun führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Die Zahlen zeigen: Der grösste Weizen-Exporteur des Planeten, der für 18,4 Prozent des Handels verantwortlich ist, gegen die Nummer fünf, die 7 Prozent beiträgt. Somit ist über ein Viertel der weltweiten Weizenproduktion nun gefährdet – sei es durch Sanktionen oder aber Zerstörung.

Weizenfeld in der Ukraine: Die Landesflagge ist der Landschaft nachempfunden.
Weizenfeld in der Ukraine: Die Landesflagge ist der Landschaft nachempfunden.
Commons/Flickr/Dobrych

Die Ernte der Ukraine ist offensichtlich in Gefahr – und jene Länder, die Kiew als Lieferanten haben, müssen sich Sorgen machen. Bangladesch bezieht 21 Prozent seines Weizens von dort, der Jemen 22 Prozent, Libyen 43 Prozent und Tunesien sowie der Libanon gar 50 Prozent – alles arme Staaten, die ohnehin schon mit Inflation und geringer Stabilität zu kämpfen haben. Was werden erhöhte Brotpreise dort anrichten? 

Auch der Blick auf die grössten Importeure weltweit gibt es Sprengstoff: 10,6 Prozent des Weizens landen in Ägypten, 5,2 Prozent in Indonesien, 4,9 Prozent in die Türkei, 3,8 Prozent nach Italien und 3,7 Prozent in die Philippinen. In den bevölkerungsreichen Ländern Ägypten, Indonesien und den Philippinen wird die Preiserhöhung das Gros der Bevölkerung treffen.

Es wären genug Lebensmittel da, aber ...

Und die Türkei kämpft aktuell mit einer Rekordinflation von über 50 Prozent: Mit sozialen Unruhen muss hier genauso gerechnet werden wie etwa in Ägypten, wenn die osteuropäischen Ernten im August und September ausfallen. Der Markt hat keine Hoffnung: Am Montag wurde Weizen an der Terminbörse in Chicago so hoch gehandelt wie noch nie.

Bäckerei in Kairo am 3. März: Ägypten kauft über zehn Prozent der jährlichen Weizenexporte. 
Bäckerei in Kairo am 3. März: Ägypten kauft über zehn Prozent der jährlichen Weizenexporte. 
EPA

Auch andere pflanzliche Rohstoffe sind vom Anstieg betroffen: Mais und Sojabohnen haben seit Jahresbeginn jeweils 26 Prozent zugelegt. «Es wird keine Lebensmittelknappheit geben» erklärt Sal Gilbertie, CEO der Investmentfirma Teuricum bei Yahoo Finance. «Aber leider wird man sehen, wie  weltweit [Millionen] von Menschen vielleicht nicht in der Lage sein werden, es sich leisten zu können, Essen zu kaufen.»

Kiews Beitrag fehlt übrigens nicht nur im Weizenkreislauf: «Die Ukraine dominiert den so genannten Sonnen-Samen-Markt», führt Gilbertie aus. «Sonenblumenöl ist ein wichtiger Bestandteil bei Speiseölen und in der Nahrungsmittelproduktion.» Auch die Preise für Palmöl und Sojaöl stiegen an: «Das ist insbesondere für die Ärmsten der Armen eine grosse Sache.»

«Wir brauchen Brot»

Dabei müssten Sonnenblumen und Korn im April gepflanzt werden, um später eine normale Ernte einzufahren: Die Aussichten sind so schlecht wie beim Weizen. In Tunesien, wo es bereits in den 80ern Brot-Unruhen gab, sind die Preise seit Kriegsbeginn auf ein 14-Jahres-Hoch geklettert. «Am Ende des Monats ist nie mehr Geld da», klagt Khmaes Ammani im britischen «Guardian».

Er ist Tagelöhner in Tunis: «Alles wird immer teurer, ich musste mir sogar etwas leihen. Wenn der Brotpreis hochgeht, muss man woanders sparen: Wir brauchen Brot.» In Ländern wie Bangladesch oder dem Jemen, wo ohnehin schon Hunger herrscht, sind die Folgen noch gravierender: Die UNO schlägt mit Blick auf die Versorgung bereits Alarm.

Markt in Tunis: Die Brotpreise sind so hoch wie seit 14 Jahren nicht mehr.
Markt in Tunis: Die Brotpreise sind so hoch wie seit 14 Jahren nicht mehr.
Archivbild: KEYSTONE

Besonders der Nahe Osten und Nordafrika sind offenbar gefährdet: «Es gibt eine globale Weizen-Überproduktion in diesem Jahr», erläutert Abeer Etefa, Sprecher des Welternährungsprogramms. «Aber wenn man schaut, woher der Weizen kommen wird, bedeutet das lange Lieferzeiten und höhere Transportkosten», sagt er im Vergleich mit der Ukraine.

Das Problem ist, dass es derzeit unrealistisch scheint, dass in Osteuropa doch bald Frieden herrscht: Bei Pflanzen wie Mais wird es wohl zu spät sein, und auch beim Weizen wetten Spekulanten auf steigende Preise. Wladimir Putins Krieg wirkt im Ausland also nicht nur auf die Köpfe und Herzen, sondern auch auf die Bäuche der Weltbevölkerung.