Fake-News als Waffe Die russische Propaganda im ersten Kriegsjahr

David Klepper, AP/tpfi

25.2.2023

Zerstörte russische Panzerfahrzeuge stehen am 31. März 2022 am Stadtrand von Kiew. 
Zerstörte russische Panzerfahrzeuge stehen am 31. März 2022 am Stadtrand von Kiew. 
Archivbild: Rodrigo Abd/AP/dpa

Der Angriff Russlands gegen die Ukraine ist auch ein Krieg der Worte. Moskau verfolgt dabei verschiedene Strategien – mit wechselndem Erfolg, wie Fachleute urteilen.

David Klepper, AP/tpfi

25.2.2023

Die russische Invasion der Ukraine hat den blutigsten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg heraufbeschworen - und es ist der erste Krieg, in dem Algorithmen und TikTok-Videos eine ebenso grosse Rolle spielen wie Kampfflugzeuge und Panzer. Der Online-Kampf spielt sich auf Computer-Bildschirmen und Smartphones weltweit ab.

Russland versucht, durch Falschinformationen, Propaganda und Verschwörungstheorien seine Invasion zu rechtfertigen, Kritiker im eigenen Land zum Schweigen zu bringen und Unfrieden zwischen seinen Gegnern zu stiften. Zu Beginn des zweiten Kriegsjahres dürfte das Ausmass an Fehlinformation noch weiter zunehmen, weil Moskau den Willen der Ukraine und ihrer Verbündeten brechen will.

«Wir wissen, dass Russland sich auf einen langwierigen Konflikt vorbereitet», sagt Samantha Lewis, Expertin für Bedrohungsanalyse bei der Cybersicherheitsfirma Recorded Future. «Den Kampfgeist der Ukraine zu schwächen, ist fast sicher ein Hauptziel der psychologischen Taktik Russlands.»

Ein Blick auf die russischen Desinformations-Strategien seit Beginn des Konflikts:

Teile und herrsche

Die Propagandamassnahmen des Kremls gegen die Ukraine haben bereits vor vielen Jahren begonnen und in den Monaten vor der Invasion stark zugenommen, wie die ukrainische Expertin Ksenia Iliuk erklärt, die sich mit der russischen Informationspolitik beschäftigt hat. Russland schnitt dabei die Botschaften auf bestimmte Zielgruppen weltweit zu.

In Osteuropa verbreitete Moskau haltlose Gerüchte über ukrainische Geflüchtete, die angeblich Verbrechen begingen oder Einheimischen die Arbeitsplätze wegnähmen. In Westeuropa lautete die Botschaft, dass die ukrainische Führung korrupt und nicht vertrauenswürdig sei und dass ein langer Krieg eskalieren oder Lebensmittel- und Ölpreise in die Höhe treiben könnte.

Ukrainische Kinder und Jugendliche sowie deren Betreuer im Internationalen Pfadizentrum in Kandersteg. Die Waisenkinder aus Lviv haben im Frühjahr 2022 hier vorübergehend Schutz vor dem Krieg in der Ukraine erhalten. 
Ukrainische Kinder und Jugendliche sowie deren Betreuer im Internationalen Pfadizentrum in Kandersteg. Die Waisenkinder aus Lviv haben im Frühjahr 2022 hier vorübergehend Schutz vor dem Krieg in der Ukraine erhalten. 
Archivbild: Keystone

In Lateinamerika streuten lokale russische Botschaften auf Spanisch die Behauptung, dass es sich bei der Invasion in der Ukraine um einen Kampf gegen westlichen Imperialismus handele. Ähnliche Inhalte wurden in Asien, Afrika und anderen Teilen der Welt mit kolonialer Vergangenheit verbreitet.

Auch die Ukraine selbst überschwemmten die russischen Behörden mit Propaganda, in der sie die dortigen Streitkräfte als schwach und die Regierung als ineffektiv und korrupt bezeichneten. Dieser Versuch sei jedoch nach hinten losgegangen, sagt Expertin Iliuk: Der Widerstand gegen die Invasoren sei nicht wie beabsichtigt geschwächt, sondern vielmehr gestärkt worden. «Die russische Propaganda ist in der Ukraine fehlgeschlagen», sagt sie. «Russische Propaganda und Desinformation können tatsächlich eine Bedrohung und sehr raffiniert sein. Aber sie funktionieren nicht immer. Sie stossen nicht immer auf offene Ohren.»

Gib dem Opfer die Schuld

Viele der russischen Falschinformationen zielen darauf ab, die Invasion als gerechte Sache darzustellen oder Andere für die Gräueltaten der eigenen Streitkräfte verantwortlich zu machen. Nachdem russische Soldaten im Frühjahr vergangenen Jahres Zivilpersonen in der Stadt Butscha gefoltert und getötet hatten, lösten Bilder von verkohlten Leichen und aus nächster Nähe erschossenen Menschen international Entsetzen aus. Das russische Staatsfernsehen behauptete, Todesfälle und Verwüstung seien gestellt gewesen. Journalisten der AP sahen die Leichname jedoch mit eigenen Augen.

Eine Frau steht während der Exhumierung eines Massengrabes neben Särgen in Butscha.
Eine Frau steht während der Exhumierung eines Massengrabes neben Särgen in Butscha.
Archivbild: Emilio Morenatti/AP/dpa

Einen Raketenangriff auf einen Bahnhof in der ukrainischen Stadt Kramatorsk feierte Russland zunächst als eigenen Erfolg – bis Berichte über zivile Todesopfer aufkamen. Plötzlich hiess es in russischen Medien, es habe sich nicht um eine russische Rakete gehandelt.

Umgehe deine Gegner

Angesichts des Vorgehens von europäischen Regierungen und US-Techkonzernen gegen die Propaganda des Kremls musste sich Russland neue Kommunikationskanäle suchen. Zu Beginn des Kriegs hatte sich Moskau noch vor allem auf Staatsmedien wie RT und Sputnik gestützt, um prorussische Informationen sowie Falschbehauptungen über den Konflikt in die Welt zu bringen. Doch Plattformen wie Facebook und Twitter schränkten die Accounts ein. Als die EU zu einem Verbot russischer Staatsmedien aufrief, blockierten auch YouTube und TikTok die Kanäle von RT und Sputnik.

Daraufhin schwenkte Russland zur Verbreitung von Falschinformationen über den Krieg und russische Gräueltaten auf Twitter- und Facebook-Accounts seiner Diplomaten um. Denn diese geniessen bei vielen Plattformen einen besonderen Schutz. Zudem weitete Moskau sein Netzwerk falscher Nutzerkonten bei Sozialen Medien aus, die auf Webseiten vermeintlicher deutscher und britischer Zeitungen verlinkten. Der Facebook-Mutterkonzern Meta entfernte das Netzwerk im Herbst vergangenen Jahres von seinen Plattformen.

Gegenmassnahmen des Westens

Die Ukraine und ihre Verbündeten verbuchten frühe Erfolge im Informationskrieg, indem sie die nächsten Schritte Russlands vorhersagten und öffentlich machten. So veröffentlichte etwa die US-Regierung Geheimdienstinformationen über einen geplanten Angriff Russlands, für den Moskau die Ukraine verantwortlich machen wollte, um einen Vorwand für die Invasion zu haben.

Auch Techunternehmen testeten neue Strategien: Google etwa startete in Osteuropa ein Pilotprogramm, das Internetnutzerinnen und -nutzern hilft, Fehlinformationen über Kriegsflüchtlinge zu erkennen. Das Projekt war so erfolgreich, dass Google jetzt eine ähnliche Kampagne in Deutschland plant.

Expertin Iliuk sieht ein Jahr nach Kriegsbeginn ein stärkeres Bewusstsein für die Gefahren russischer Propaganda. Zugleich sei der Optimismus gewachsen, dass diese kontrolliert werden könne, sagt sie.