Seychellen Eine neue Corona-Welle trotz hoher Durchimpfung

Von Gil Bieler

6.6.2021

Die Seychellen spüren gerade die Nachwehen eines heftigen Corona-Ausbruchs.
Die Seychellen spüren gerade die Nachwehen eines heftigen Corona-Ausbruchs.
Bild: Tate Drucker/The Nature Conservancy via AP

Setzt eine hohe Durchimpfung der Bevölkerung der Coronavirus-Pandemie automatisch ein Ende? Nicht unbedingt, wie das Beispiel der Seychellen zeigt.

Von Gil Bieler

6.6.2021

Die Durchimpfung der Schweizer Bevölkerung gegen das Coronavirus kommt zackig voran: Bislang sind 1,9 Millionen Einwohner*innen vollständig geschützt, damit haben 22,1 Prozent der Bevölkerung bereits zwei Dosen erhalten – und mit jeder Spritze wächst die Hoffnung, dass die Pandemie bald nur noch böse Erinnerung ist.

Dass mit einer hohen Durchimpfung nicht automatisch alles vorbei ist, zeigt sich an den Seychellen. Einst war der Inselstaat der Musterknabe der Pandemie: In keinem anderen Land wurden so rasch so viele geimpft wie im Ferienparadies im Indischen Ozean – und dennoch kam es im Mai plötzlich zu einem erneuten Anstieg der Fälle, der Rätsel aufgibt.

Dabei wähnten sich die Seychellen auf einem guten Weg: Bei einer Bevölkerung von knapp 98'000 Personen sanken die Infektionszahlen im April auf knapp 50 Fälle pro Tag. Gleichzeitig kam das Impfprogramm voran: Im Mai waren bereits 61 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, mit den einfach Gepiksten waren es sogar 70 Prozent. Es schien, als sei Corona so gut wie besiegt.

Dennoch kam es zu einem sprunghaften Anstieg – auf 400 neue Fälle pro Tag. Das Beunruhigende ist, dass gut ein Drittel der Infektionen auf geimpfte Personen entfiel, wie die BBC mit Verweis berichtet. Die Regierung sah sich gezwungen, zu reagieren – und zwar massiv.

Rätselhafter Anstieg

So stoppte sie beispielsweise die Einreise aus Indien und Brasilien – aus Angst vor den in diesen Ländern grassierenden Virus-Mutationen. Daneben gab es eine ganze Reihe weiterer Massnahmen, die gerade per 1. Juni für zwei Wochen verlängert worden sind. Unter anderem dürfen sich keine Menschen aus unterschiedlichen Haushalten treffen, die Bewegungsfreiheit zwischen 23 Uhr und 4 Uhr ist eingeschränkt. Hochzeiten, Konferenzen und Veranstaltungen sind verboten, Bars und Läden schliessen um 19 Uhr.

Immerhin, es wirkt, die Fallzahlen sinken seit einiger Zeit wieder. Die Ursachen der neuen Infektionswelle sind indes noch nicht gefunden. Im Verdacht steht der chinesische Impfstoff der Firma Sinopharm, mit dem auf den Seychellen die meisten Menschen geimpft werden.



Laut Weltgesundheitsorganisation WHO schützt Sinopharm zu 79 Prozent vor einer Covid-Infektion. Allerdings kritisierten Fachleute, dass die Datenlage im Vergleich zu anderen Mitteln schwach sei. Unklar ist auch, wie gut das Mittel gegen die südafrikanische Variante des Virus schützt, die auf den Seychellen kursiert.

Grosse Bedenken scheint es gegen das Präparat jedoch nicht zu geben – zumindest erteilte die WHO dem chinesischen Vakzin erst kürzlich eine Notfall-Zulassung. Damit können UNO-Organisationen das Mittel kaufen und verteilen.

Und auch der Präsident der Seychellen, Wavel Ramkalawan, verteidigte die Wirksamkeit von Sinopharm: 80 Prozent jener Covid-Patienten, die ins Spital eingewiesen werden mussten, seien ungeimpft. Das würde tatsächlich zeigen, dass die Impfung immerhin vor einem schweren Krankheitsverlauf schützen würde – aber eben nicht vor einer Ansteckung.

Gegenbeispiel Israel

Eine weitere Hypothese für die Explosion der Fallzahlen ist, dass die Corona-Massnahmen zu rasch gelockert wurden. Bereits im März gingen Restaurants und Bars wieder auf, ebenso die Schulen. Jude Gedeon, der Gesundheitsminister der Seychellen, appelliert an die Bevölkerung, sich weiterhin an die Hygiene- und Schutzmassnahmen zu halten: «Impfungen schützen Sie nicht vollständig davor, das Virus weiterzugeben. Sie können immer noch infizieren.» 

Gedeon äussert im Rückblick zudem die Vermutung, dass die Leute mit fortschreitender Impfkampagne die Vorsicht verloren hätten: «Wir sehen beim Contact Tracing, dass viele Fälle mit den Osterfeierlichkeiten zusammenhängen», sagte er Ende April, als die Situation sich schlagartig verschlechterte, laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur.

Was genau in den Seychellen schiefgelaufen ist, kann noch niemand sagen. Doch trotz dieses Rätsels sollte man sich die Zuversicht nicht nehmen lassen – wie das Gegenbeispiel der Seychellen beweist: Israel hat mittlerweile eine ähnlich hohe Durchimpfung erreicht, und zählte zuletzt nur noch 15 Neuinfektionen pro Tag. Das, wohlgemerkt, bei einer Bevölkerung von 9 Millionen.

Es gibt also Ungewissheit, aber auch Hoffnung. Und wenn man es mit der WHO hält, ist man auf der möglichst sicheren Seite: Es sei noch unklar, wie gut eine Impfung vor der Übertragung des Virus auf andere schütze, warnt die WHO. Man solle sich daher weiterhin an die Sicherheits- und Hygienemassnahmen halten.