Staatsstreich geplant 3000 deutsche Polizisten gehen gegen Reichsbürgerszene vor

dpa

7.12.2022 - 10:30

Umsturzpläne: Festnahmen bei Grossrazzia in Reichsbürgerszene

Umsturzpläne: Festnahmen bei Grossrazzia in Reichsbürgerszene

Die deutsche Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen. Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben. 

07.12.2022

Die deutsche Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen.

DPA

Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen. Rund 3000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe der Deutschen Presse-Agentur.

Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.

22 der Festgenommenen sollen Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Zudem gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte die Sprecherin. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht.

Bei einer Razzia gegen sogenannte «Reichsbürger» sichern Polizisten ein durchsuchtes Objekt in Frankfurt. 
Bei einer Razzia gegen sogenannte «Reichsbürger» sichern Polizisten ein durchsuchtes Objekt in Frankfurt. 
Bild: Boris Roessler/dpa

«Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung», sagte die Sprecherin. Diese begründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines «tiefen Staats», regiert werde, hiess es in einer Mitteilung.

Mitglieder des «Rates» planten Staatsstreich

Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschliesslich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor.

Spätestens Ende November 2021 sollen die Menschen die Gruppierung gegründet haben. Zentrales Gremium sei ein «Rat». Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Aussen und Gesundheit.

«Die Mitglieder des «Rates» haben sich seit November 2021 regelmässig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen», teilte die Bundesanwaltschaft mit.

Ein «militärischer Arm» sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen «beseitigen», hiess es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde.

Beschuldigte versuchten gezielt Polizisten zu gewinnen

«Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten «Systemwechsels auf allen Ebenen» zumindest billigend in Kauf.» Einige mutmassliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.

Auch hätten sie vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmassliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben.

Im Herbst hätten Beschuldigte in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung gewinnen wollen. Angehörige des «militärischen Arms» hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, «um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren».

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD).

Festnahmen auch in Österreich und Italien

Nach Informationen der dpa handelt es sich um einen Unteroffizier. Demnach wurden sein Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw (Baden-Württemberg) durchsucht.

Festgenommen wurden die Menschen den Angaben nach in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien.

Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben. Noch am Mittwoch wollte die Bundesanwaltschaft mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen, wie die Sprecherin sagte.

Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die bundesweite Razzia als «Anti-Terror-Einsatz». «Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein grosser Anti-Terror-Einsatz statt», schrieb der FDP-Politiker am Mittwochmorgen auf Twitter.

Grosser Anteil von Rechtsextremisten

Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe «Vereinte Patrioten» sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.

«Reichsbürger» sind Menschen die die Bundesrepublik Deutschland und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21'000 Anhänger zu.

Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene «Reichsbürger und Selbstverwalter» 1011 extremistische Straftaten zu.

Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein sogenannter Reichsbürger im bayerischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen.