Putin im eigenen Land unter Druck «Es regt sich auf allen Seiten Widerstand gegen diesen Krieg»

Von Andreas Fischer

20.9.2022

Kremlchef Wladimir Putin muss immer öfter im eigenen Land Kritik über sich ergehen lassen, zuletzt von der grossen russischen Popsängerin Alla Pugatschowa.
Kremlchef Wladimir Putin muss immer öfter im eigenen Land Kritik über sich ergehen lassen, zuletzt von der grossen russischen Popsängerin Alla Pugatschowa.
Sergei Bobylev/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Wladimir Putin bekommt zunehmend Gegenwind. In Russland werden die kritischen Stimmen gegen den Krieg in der Ukraine lauter, und international gilt der Kremlchef zusehends als «toxische Figur».

Von Andreas Fischer

20.9.2022

Während die Ukraine nach ihrer erfolgreichen Gegenoffensive in der Gegend von Charkiw laut Präsident Wolodymyr Selenskyj den nächsten Sturm im Krieg vorbereitet, wächst in Russland die Unzufriedenheit mit dem Krieg. Wladimir Putin wird immer öfter kritisiert – und zwar ziemlich unverblümt.

Zuletzt gab es für den Kreml vom grössten Musikstar des Landes, der Sängerin Alla Pugatschowa, eine «kräftige Ohrfeige», wie es Putins ehemaliger Redenschreiber Abbas Galljamow ausdrückte. Die Pop-Diva hat überraschend harte Kritik am russischen Angriffskrieg geübt – und ist damit nicht allein.

Russland geht im Krieg in der Ukraine derzeit die Puste aus, und Putin gerät immer mehr in Bedrängnis: innen- wie aussenpolitisch. Zwar beharrt Russlands Herrscher auf einer beschönigenden Rhetorik und spricht nach der chaotischen Flucht der russischen Armee aus Charkiw weiterhin von einer «Umgruppierung» der Armee, doch die Wahrheit bricht sich längst Bahn. Das Wort «Krieg» wird in Russland immer öfter genannt und am Sinn des Angriffs auf die Ukraine öffentlich gezweifelt.

Russen erkennen, dass Krieg Russland schadet

Zur Person
zVg

Ulrich Schmid ist Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen. 

Die Verluste der Armee treffen Putin persönlich. «Putin braucht schnell einen vorzeigbaren Sieg», schätzt Russland-Experte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen auf Nachfrage von blue News ein. «Es regt sich auf allen Seiten Widerstand gegen diesen Krieg – von den Ultrakonservativen und von den Oppositionellen. Es setzt sich immer mehr die Einsicht durch, dass dieser Krieg den Interessen Russlands schadet.»

Seit einigen Wochen lässt sich beobachten, dass die Stimmung im Land kippt: Lokalpolitiker fordern den Rücktritt Putins, mit Alla Pugatschowa stellt sich der grösste Musikstar des Landes offen gegen den Krieg. Prominente Stimmen, aber wie ist die Stimmung in der Bevölkerung? «Wenn man die Verurteilungen von Antikriegsdemonstranten betrachtet», sagt Schmid, «dann sieht man, dass von insgesamt 16'000 Verurteilungen 15'000 im ersten Monat stattfanden.»

Das hiesse nicht, dass der Krieg akzeptiert wird, sondern dass die drakonische Repression einen Effekt habe. «Besonders in den urbanen Zentren ist die Unzufriedenheit hoch», weiss der Russland-Experte.

Eine Mobilmachung kann sich Putin nicht leisten

Für Putin geht es nun darum, seine Macht zu sichern. Ein Erfolg im Krieg käme ihm gelegen, doch danach sieht es derzeit nicht aus. «Es fehlt der russischen Invasionsarmee an ausgebildeten und motivierten Soldaten», sagt Schmid.

Eine Generalmobilmachung, wie sie seit Mai immer wieder erwartet wird, könnte die Stimmung in der russischen Gesellschaft endgültig kippen lassen. «Ein offen deklarierter Krieg gegen die Ukraine würde nicht akzeptiert werden. In fast jeder russischen Familie gibt es eine ukrainische Grossmutter.»

Indien und China gehen auf Distanz

Auch aussenpolitisch steht Wladimir Putin unter Druck: «Russland ist auch international sehr isoliert», erklärt Ulrich Schmid. Verbündete hat der Kreml wenige, und die gehen auch noch zunehmend auf Distanz. Indiens Premier Modi hat öffentlich Kritik am Krieg geäussert, Chinas Präsident Xi Jinping ist freundlich, aber reserviert.

«Indien und China sind sehr selbstbewusste Nationen, die nicht auf ein Bündnis mit Russland angewiesen sind», erklärt Schmid. «Sie können Russlands Vision einer multipolaren Weltordnung teilen, wollen aber ihre eigenen Interessen nicht durch übermässigen Kontakt mit einem Paria-Staat gefährden.»

Putin ist international eine toxische Figur

Derweil flammen an den Grenzen Russlands alte Konflikte zwischen Ex-Sowjetrepubliken wieder auf. Zeugt es von einem allgemeinen Bedeutungsverlust Russlands, dass sich Armenien und Aserbaidschan oder Kirgistan und Tadschikistan kriegerische Auseinandersetzungen liefern?

«Bisher war Russland der wichtigste Sicherheitsgarant im Südkaukasus und in Zentralasien. Heute ist klar, dass Russland selbst geschwächt und ausserhalb der Ukraine nicht mehr handlungsfähig ist», analysiert Schmid und schätzt ein: «Putins Integrationsprojekte wie die CSTO oder die Eurasische Wirtschaftsunion werden weiter an Bedeutung verlieren.»

Putin sei, so Schmid, «international eine toxische Figur. Das muss jeder postsowjetische Staat in Rechnung stellen, der auch mit dem Westen gute Beziehungen pflegen will.» Möglicherweise werde Putin, vermutet der Russland-Experte, «2024 nicht mehr als Präsident kandidieren und einen loyalen Technokraten als Nachfolger vorschlagen.»

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