«Putin muss scheitern» London macht bei Waffen für Kiew vorwärts – zieht Berlin mit?

Von Philipp Dahm

12.4.2022

Baerbock – Die Ukraine braucht schnell schwere Waffen

Baerbock – Die Ukraine braucht schnell schwere Waffen

STORY: HINWEIS: Dieser Beitrag wird ohne Sprechertext gesendet. O-Ton Annalena Baerbock (Grüne), Bundesaussenministerin: «Es macht mehr als deutlich, diese furchtbaren Bilder, das furchtbare Schrecken, was wir tagtäglich sehen, dass die Ukraine weitere militärische Unterstützung braucht, um sich wehren zu können. Das machen wir gemeinsam mit unseren internationalen Partnern. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern stellen wir weitere Millionen zur Verfügung über die European Peace Facility. Aber was klar ist: Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material, vor allen Dingen auch schwere Waffen. Und jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus. Und gerade mit Blick auf Fragen wie Ersatzmaterialien, Ausbildung, gemeinsam die Ukraine schnellstmöglich zu unterstützen. Wir haben heute mit dem internationalen Chefankläger, mit dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs darüber gesprochen, dass wir alle Beweise sichern müssen, die es in der Ukraine gibt. Wir haben massive Anzeichen auf Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, weswegen die Ermittlungen jetzt auch aufgenommen worden sind. Am Ende müssen Gerichte darüber entscheiden. Aber für uns ist es zentral, alle Beweise jetzt zu sichern, um diese Verbrechen zur Anklage bringen zu können.»

11.04.2022

Nach seinem Überraschungsbesuch in Kiew hat der britische Premier Boris Johnson die Lieferung von Schützenpanzern und Anti-Schiffsraketen an die Ukraine verkündet. Von Berlin will Kiew hochmoderne Artillerie kaufen.

Von Philipp Dahm

12.4.2022

«Waffen kommen in der Ukraine täglich an», sagt Jake Sullivan. Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden steht am 10. April in der «NBC»-Sendung Meet the Press Rede und Antwort – und lässt keinen Zweifel am Willen Washingtons, Kiew im Kampf gegen Russland auf breiter Front zu unterstützen.

Beim Export gebe es kaum rote Linien, so Sullivan: «Die einzige Sache, gegenüber der sich die Vereinigten Staaten reserviert gezeigt haben, ist, Kampfjets von einem amerikanischen Stützpunkt in Deutschland in einen umkämpften Luftraum über der Ukraine zu schicken und sie von A nach B zu fliegen.»

Was die Ukraine nicht im Arsenal habe, soll über andere Länder besorgt werden, erklärt der 45-Jährige. Was damit gemeint ist, zeigt sich am Beispiel der Slowakei, wo die USA kurzfristig Systeme ersetzt, die dafür dann in den Ostern geliefert werden können. Andere Staaten haben zuletzt neue Militärhilfen angekündigt. Hier die Übersicht:

Grossbritannien

«Es gibt noch extrem viel zu tun, um sicherzustellen, dass die Ukraine erfolgreich ist, dass die Ukraine siegt und dass Putin scheitern muss», sagt Boris Johnson am Samstag beim überraschenden Besuch des britischen Premiers in Kiew. Und London lässt seinen Worten Taten folgen: 120 Schützenpanzer und Anti-Schiffsraketen sollen in die Ukraine geliefert werden.

Die neuen Militärhilfen sollen ein Volumen von knapp 122 Millionen Franken haben. Details zu den geplanten wurden zwar nicht genannt, doch bei den Schützenpanzern dürfte es sich um die britischen Typen Mastiff oder Ridgeback handeln, die auf dem US-Modell Cougar aufbauen. Eine Alternative wäre der MXT-MV Husky oder das Aufklärungsfahrzeug Jackal.

Gut geschützt: Im britischen Mastiff, der von zwei Personen gefahren wird, finden zusätzlich sechs Soldaten Platz.
Gut geschützt: Im britischen Mastiff, der von zwei Personen gefahren wird, finden zusätzlich sechs Soldaten Platz.
Royal Army/Cpl Russ Nolan RLC

Spannend ist die Frage der Anti-Schiffsraketen: Grossbritannien hat nur ein Modell im Arsenal, das auch grösseren Schiffen gefährlich werden kann. Die amerikanische Harpoon 1C hätte eigentlich schon 2018 in Pension gehen wollen, doch ihre Laufzeit ist gerade bis 2023 verlängert worden. Das Problem: Die Royal Navy hat nicht viele dieser Raketen.

Die Harpoon wird 1977 in Dienst gestellt – aus diesem Zeitraum stammt auch dieser Werbefilm der US Navy.

Die Sea Venom wird hingegen in Europa vom Hersteller MBDA gebaut und ist erst 2021 in Dienst gestellt worden. Der Nachteil: Sie ist lediglich für Korvetten oder kleinere Schiffe gedacht und wird per Helikopter abgeschossen – die Integration auf ukrainischer Seite wäre deshalb kompliziert. Kiew könnte auch eine Versorgung mit der Sea Spear helfen, deren neueste Version nicht mehr nur aus der Luft, sondern auch vom Boden aus Marine-Ziele treffen kann.

Deutschland

Kiew hat Berlin angeblich um die Lieferung von Panzern gebeten. Dabei soll es einerseits um diverse Schützenpanzer vom Typ Marder gehen, die von der Bundeswehr nicht mehr gebraucht werden und «seit Jahren auf dem Hof» des Rüstungskonzerns Rheinmetall stehen, berichtet «Bild am Sonntag».

Soldaten des deutschen Panzergrenadierbataillons 371 zeigen in Marienberg ihre Ausrüstung, die vor einem Schützenpanzer Marder liegt.
Soldaten des deutschen Panzergrenadierbataillons 371 zeigen in Marienberg ihre Ausrüstung, die vor einem Schützenpanzer Marder liegt.
Archivbild: KEYSTONE

Rheinmetall hat vorgeschlagen, die Bundeswehr solle aktuelle Marder abgeben und reparierte als Ersatz bekommen. Doch die Bundeswehr sagt, sie könne nicht auf das funktionstüchtige Material verzichten. Mehr Erfolg könnte die Ukraine mit ihrer Anfrage nach 100 selbstfahrenden Artilleriegeschützen vom Typ Pzh-2000 haben.

Kiew würde für die 155-Millimeter-Kanonen gut 1,7 Milliarden Franken zahlen, berichtet die «Welt am Sonntag». Das Problem: Die Auslieferung neuer Geschütze, die die verkauften Exemplare ersetzen sollen, könnte wohl erst in der zweiten Jahreshälfte 2024 beginnen.

Wie das «Handelsblatt» berichtet, hat Rheinmetall am 11. April noch einmal nachgelegt und die Lieferung von 50 Leopard-1-Panzern aus Altbeständen ins Spiel gebracht. «Der erste Leopard 1 könnte in sechs Wochen geliefert werden», wird Vorstandschef Armin Papperger zitiert.

Ein Leopard 1A5 in Fahrt beim Militärtag 2015 in Uffenheim in Deutschland
Ein Leopard 1A5 in Fahrt beim Militärtag 2015 in Uffenheim in Deutschland
Commons/Rainer Lippert

Slowakei

Auch die Slowakei wird als möglicher Lieferant von Artillerie-Haubitzen genannt: Verteidigungsminister Jaroslav Nad bestätigt am 10. April, Bratislava verhandle mit Kiew über den Verkauf der Zuzana 2. Das slowakische Geschütz hat wie die Pzh-2000 einen Durchmesser von 155 Millimeter. Weitere Details gab Nad nicht berkannt.

In trockenen Tüchern ist dagegen die Schenkung von Flugabwehrsystemen des Typs S-300, die der slowakische Premier Eduard Heger am 8. April bekannt gemacht hat. Die Niederlande und Deutschland haben im Gegenzug das Patriot-System in die Slowakei verlegen, um den Ausfall fürs Erste zu kompensieren – nun sollen auch noch US-Patriot-Batterien dazukommen.

Tschechien

Tschechische Medien berichten unter Berufung auf Regierungskreise, es seien 5 T-72 und 5 BVP-1- oder BMP-1-Schützenanzer auf die Schiene verladen und in die Ukraine geliefert worden. Angeblich sei auch das Flugabwehrsystem SA-13 Gopher geliefert worden, das eine maximale Reichweite von circa fünf Kilometer hat.

Die 9A34 Strela-10 heisst im Nato-Jargon Sa-13 Gopher: hier ein Exemplar der russischen Armee.
Die 9A34 Strela-10 heisst im Nato-Jargon Sa-13 Gopher: hier ein Exemplar der russischen Armee.
Commons/Vitaly V. Kuzmin

Australien

Australien mag weit von der Ukraine entfernt sein, doch trotz der Distanz macht Canberra vorwärts: Ende März hatte Wolodymyr Selenskyj in einer Rede im Parlament um militärische Hilfen gebeten. Als Antwort fliessen knapp 25 Millionen Franken – und ausserdem schickt das Land 20 Bushmaster nach Europa.

Der Bushmaster ist ein geschütztes Fahrzeug für den Truppentransport, wobei zwei Ausführungen für die Rettung von Verletzten vorgesehen sind. Die Vehikel wurden bereits in Australien mit ukrainischen Insignien versehen und die ersten Exemplare sind bereits verladen und ausgeflogen worden.

Neuseeland

Neuseeland – nicht minder weit entfernt von der Ukraine als Australien – sendet zwar keine Waffen. Doch der kleine Inselstaat hilft Kiew dennoch: Wellington hat ein Transportflugzeug vom Typ C-130 Herkules und 50 Soldaten nach Deutschland abkommandiert. Das Kommando soll heute abfliegen und in Europa helfen, ein Koordinierungszentrum für Ukraine-Spenden einzurichten und zu unterhalten.