Stichwahl nötig Lula bei Präsidentschaftswahl in Brasilien knapp vor Bolsonaro

dpa

3.10.2022 - 04:19

Schicksalswahl in Brasilien

Schicksalswahl in Brasilien

In Brasilien hat die entscheidende Präsidentschaftswahl begonnen. Beide Spitzenkandidaten haben bereits ihre Stimmen abgegeben: Laut Umfragen sollte der rechtsradikale Staatschef Jair Bolsonaro abgewählt werden.

02.10.2022

Brasilien ist polarisiert, die Stimmung zwischen dem rechten und linken Lager aufgeheizt. Nun hatte die viertgrösste Demokratie der Welt die Wahl: Vier weitere Jahre unter dem rechten Amtsinhaber Bolsonaro – oder zurück zum linken Ex-Staatschef Lula? Letzterer hat knapp die Nase vor, doch wird die Entscheidung vertagt.

DPA

In einem überraschend engen Rennen um das höchste Staatsamt Brasiliens hat der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die erste Wahlrunde knapp für sich entschieden. Der Spitzenkandidat der Arbeiterpartei kam nach Auszählung fast aller Stimmen auf 47,9 Prozent, der rechte Staatschef Jair Bolsonaro auf 43,6 Prozent, wie die Wahlbehörde am Sonntagabend (Ortszeit) mitteilte. Damit fällt die finale Entscheidung am 30. Oktober in einer Stichwahl, da keiner der stärksten Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte.

Mehr als 156 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, über ihren nächsten Staatschef abzustimmen. In vielen Städten bildeten sich am Sonntag lange Schlangen vor den Wahllokalen, die Behörden betonten aber, dass jeder und jede, die zum Zeitpunkt der Schliessung um 17 Uhr (Ortszeit; 22 Uhr MESZ) noch anstünden, ihre Stimme abgeben könnten. In jüngsten Meinungsumfragen hatte der linke Ex-Präsident Lula noch klar vor dem rechten Amtsinhaber Bolsonaro gelegen. Es gab noch neun weitere Bewerber, die jedoch als chancenlos galten.

Luiz Inacio Lula da Silva bei seiner Ankunft vor einem Wahllokal in São Paulo am Sonntag.
Luiz Inacio Lula da Silva bei seiner Ankunft vor einem Wahllokal in São Paulo am Sonntag.
Bild: Keystone/EPA/Fernando Bizerra

Kritiker werfen Bolsonaro vor, die gesellschaftliche Spaltung im Land mit Hetze und Hass befeuert und die demokratische Institutionen infrage gestellt zu haben. Höchst umstritten ist auch sein lockerer Umgang mit der Corona-Krise, in seiner Amtszeit kam es zudem zur massivsten Abholzung im Amazonas-Regenwald seit 15 Jahren. Bei vielen Armen in Brasilien ist die zaghafte wirtschaftliche Erholung bislang nicht angekommen, 33 Millionen Menschen müssen Hilfsorganisationen zufolge in der grössten Volkswirtschaft Lateinamerikas Hunger leiden. Wie in vielen anderen Ländern ächzen die Menschen unter der hohen Inflation.

Von Metallarbeit ins höchste Staatsamt

Seine Fangemeinde hält dem Staatschef hingegen die Treue, der konservative Werte predigt und sich demonstrativ politisch unkorrekt gibt. Bolsonaro betrachtet seine Politik als Bollwerk gegen linke Ideologien, die aus seiner Sicht persönliche Freiheiten beschneiden und wirtschaftliches Unheil anrichten.

Lula verdingte sich einst als Metallarbeiter, war in der linken Gewerkschaftsbewegung aktiv und schaffte es aus bitterer Armut an die Staatsspitze. In seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 legte er auch dank eines Wirtschaftsbooms durch hohe Rohstoffpreise gewaltige Sozialprogramme auf, Millionen Menschen gelang der Aufstieg in die Mittelschicht. Eng verknüpft war Lulas Name allerdings auch mit weitreichenden Korruptionsskandalen, die Politiker und Unternehmer zu Fall brachten.

Seine eigene Verurteilung wegen Korruption und Geldwäsche im Jahr 2017 brachte Lula 19 Monate Haft ein. Bei der Präsidentschaftswahl 2018 durfte er daher nicht antreten, schon damals hätten ihn die Umfragen weit vorne gesehen, am Ende gewann Bolsonaro. Das Oberste Gericht hob die Urteile gegen Lula auf, da der Richter in seinem Prozess voreingenommen gewesen sein und mit der Staatsanwaltschaft konspiriert haben soll.

Furcht vor verschärfter Gewalt

Seine Stimme gab Lula am Sonntag in São Bernardo do Campo ab, einem bedeutenden Standort der Schwerindustrie im Staat São Paulo, wo er einst Gewerkschaftsführer war. Vor Reportern erinnerte Lula danach daran, dass er vor vier Jahren ins Gefängnis gekommen sei und nicht habe wählen gehen können. Nun wolle er versuchen, das Land in die Normalität zurückzuführen und dafür zu sorgen, dass sich das Land wieder um sein Volk kümmere.

Amtsinhaber Bolsonaro erklärte nach seiner Stimmabgabe in Rio de Janeiro, dass «saubere Wahlen respektiert werden» müssten. Es werde auf den ersten Wahlgang ankommen. Als er gefragt wurde, ob er das Ergebnis anerkennen würde, reckte er nur einen Daumen hoch und ging davon.

Im Wahlkampf säte Bolsonaro wiederholt Zweifel am elektronischen Wahlsystem und erklärte, es sei für Betrug anfällig. Einmal gab er auch an, dafür Beweise zu haben, legte sie aber nie vor, obwohl das Wahlamt ihm dafür eine Frist gesetzt hatte. Erst kürzlich sagte der Präsident zudem, sollte er in der der ersten Runde nicht gewinnen, müsse irgendetwas «abnormal» sein.

Beobachter befürchten, dass es in der aufgeheizten Stimmung im Vorfeld der Stichwahl zu verschärfter Gewalt in der viertgrössten Demokratie der Welt kommen könnte. Schon im Wahlkampf hatte es tödliche Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des rechten und linken Lagers gegeben.