Korruption in Brüssel Marokko soll EU-Abgeordnete noch mehr als Katar geschmiert haben

Von Andreas Fischer

30.12.2022

Eigentlich nicht ungewöhnlich Eva Kaili nahm als damalige Vizepräsidentin des EU-Parlaments im Oktober in der marokkanischen Hauptstadt Rabat an einer Pressekonferenz teil. 
Eigentlich nicht ungewöhnlich Eva Kaili nahm als damalige Vizepräsidentin des EU-Parlaments im Oktober in der marokkanischen Hauptstadt Rabat an einer Pressekonferenz teil. 
Keystone

Schon Jahre vor Katar hat Marokko augenscheinlich systematisch und mit viel Geld EU-Abgeordnete beeinflusst. Der Brüsseler Korruptionsskandal erreicht eine ganz neue Dimension.

Von Andreas Fischer

30.12.2022

Das Geld aus Katar? Das war nur das vorläufige Ende. Im Korruptionsskandal im Europaparlament ist der Golfstaat wohl nur ein Trittbrettfahrer gewesen: Aufgebaut und jahrelang betreut hatte das Netzwerk von korrupten Politikern einem Bericht des «Spiegel» zufolge ein anderes Land. Marokko spielt demnach eine viel grössere Rolle in der Affäre als bisher bekannt.

Wie das Nachrichtenmagazin unter Berufung auf vertrauliche Ermittlungsdokumente berichtet, war unter anderem der marokkanische Auslandsgeheimdienst DGED auf höchster Ebene an der Beeinflussung von Europaabgeordneten beteiligt. Ziel war die Bestechung von «Personen in Schlüsselpositionen», um die Arbeit europäischer Institutionen zu beeinflussen, zitiert der «Spiegel» aus Erkenntnissen der belgischen Staatssicherheit VSSE und weiterer Geheimdienste von EU-Staaten.

Katar war nur die «Spitze des Eisberges»

Schon 2019 habe der DEGD demnach den ehemaligen EU-Abgeordneten Pier Antonio Panzeri, dessen Assistenten Francesco Giorgi und den EU-Abgeordneten Andrea Cozzolino rekrutiert. Die Männer stehen zusammen mit Eva Kaili, der abgesetzten Vizepräsidentin des EU-Parlaments, im Mittelpunkt der Korruptionsaffäre, die sich bislang in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem um die Einflussnahme Katars auf EU-Entscheidungen drehte.

Dass auch Marokko seit Jahren versucht, das EU-Parlament zu beeinflussen, namentlich die sozialdemokratische Fraktion, blieb bislang unter dem Radar. Manon Aubry, Co-Vorsitzende der Linken im EU-Parlament, befürchtet, dass «Katar-Gate» nur die «Spitze eines Eisbergs» sind, wie sie dem «Tagesspiegel» sagte.

Für die Führung des Korruptionsnetzwerkes soll der derzeitige marokkanische Botschafter in Polen zuständig gewesen. Laut dem «Spiegel» habe Abderrahim Atmoun den Verdächtigen etwa Umschläge voller Bargeld überreicht.

Zudem hätten die drei Italiener auch direkten Kontakt zum Generaldirektor des Geheimdienstes DGED gehabt. Aus belgischen Regierungskreisen war zu vernehmen, dass Marokko sich zuletzt bei Themen wie Fischereirechten und der grösstenteils von Rabat kontrollierten Westsahara – ein Konfliktherd in Nordafrika – in Brüssel sehr engagiert zeigte.

Erste Kontakte zu Marokko schon 2011

Die «Süddeutsche Zeitung» befürchtet, dass «Marokko-Gate» für die EU «mindestens so schmerzlich ist wie die katarische Spur». Dieser Teil des Skandals sei älter und reiche möglicherweise tiefer ins EU-Parlament hinein. Schon 2011 hätten sich Atmoun und der damalige EU-Abgeordnete Panzeri kennengelernt: Der Marokkaner stand in seinem Heimatland einer Kommission für die Beziehung zur EU vor, der Italiener leitete die Maghreb-Delegation des EU-Parlaments.

Auch nachdem Panzeri 2019 nicht mehr gewählt wurde, seien sie in Kontakt geblieben. Die Leitung der Mahgreb-Delegation übernahm Andrea Cozzollino: Panzeri brachte bei seinem ehemaligen Fraktionskollegen auch seinen Assistenten Francesco Giorgi unter, den Lebensgefährten von Eva Kaili. Alle drei sitzen derzeit in Untersuchungshaft. Ihnen werden «die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Korruption und Geldwäsche» vorgeworfen.

Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und dpa.

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