Nahost Erneut Raketenalarm in Tel Aviv  – über 80 Tote in Gaza

sda/dpa/toko

13.5.2021 - 16:46

Der Gaza-Konflikt schaukelt sich immer weiter hoch. In Tel Aviv heulen erneut Sirenen. Israel greift nun gezielt Hamas-Symbole im Gazastreifen an.

In der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv ist am Donnerstag erneut Raketenalarm ausgelöst worden. In der Stadt waren heulende Warnsirenen und Explosionen zu hören. Es war die fünfte Angriffswelle seit Dienstagabend. Die Küstenmetropole — Israels Wirtschaftszentrum — wurde in der Nacht zum Mittwoch so heftig mit Raketen beschossen wie nie zuvor.

Unterdessen hat die israelische Armee nach eigenen Angaben mehrere Gruppen von Hamas-Kämpfern beschossen, die Panzerabwehrraketen abfeuern wollten. Bis Mittag seien insgesamt vier militante Trupps aufgespürt und angegriffen worden, teilte das Militär am Donnerstag mit. Zudem hätten Streitkräfte ein Militärgelände mit drei Vorrichtungen zum Abschuss von Panzerabwehrraketen auf einem Gelände der Hamas getroffen.

Nach Darstellung der israelischen Cogat-Behörde beschoss die Hamas mit einer Rakete versehentlich eine Stromleitung in Gaza. Nach Angaben der israelischen Armee gingen seit Montagabend insgesamt rund 400 Raketen noch im Gazastreifen nieder und erreichten Israel nicht. 230'000 Menschen seien ohne Strom.

Auch Leitungen von Kläranlagen sollen nach Angabe der Behörde beschädigt worden sein. Zudem hat die Hamas demnach eine Entsalzungsanlage abgeschaltet. Eine Viertelmillion Menschen soll deshalb von der Wasserversorgung abgeschnitten sein. Weitere Details nannte die Behörde nicht. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig prüfen. Die Cogat-Behörde ist für die für Verbindungen Israels mit der palästinensischen Seite zuständig.

Keine Entspannung in Sicht

Nach der Eskalation im Gaza-Konflikt zeichnet sich vorerst kaum Beruhigung ab. Militante Palästinenser im Gazastreifen setzten auch rund 70 Stunden nach Beginn der Raketenangriffe am Beschuss Israels fest. Das israelische Militär setzte am Donnerstag seine massiven Angriffe auf das Küstengebiet fort. Einem Armeesprecher zufolge wurden in Israel bislang sieben Menschen durch Beschuss getötet. Im Gazastreifen starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums 83 Menschen seit der Eskalation der Gewalt.

Israelische Soldaten stehen in aufgewirbeltem Staub, nachdem ein Artilleriegeschütz auf Ziele im Gazastreifen gefeuert hat.
Israelische Soldaten stehen in aufgewirbeltem Staub, nachdem ein Artilleriegeschütz auf Ziele im Gazastreifen gefeuert hat.
Yonatan Sindel/AP/dpa

Wie Armeesprecher Jonathan Conricus weiter mitteilte, wurden seit Montagabend mehr als 1600 Raketen auf Israel abgefeuert. Rund 400 davon seien noch in dem Küstengebiet niedergegangen. Nach Ansicht des Militärs könnte dies Opfer zur Folge haben. Die Erfolgsquote des Abfangsystems Eisenkuppel («Iron Dome») betrage weiterhin im Schnitt rund 90 Prozent. Zur Grösse des Raketenarsenals der militanten Palästinenser äusserte er sich nicht. Sie hätten einen sehr grossen Bestand gehabt. Noch immer verfügten sie über eine beträchtliche Menge. Conricus sagte weiter, das israelische Militär habe bislang rund 600 Ziele im Gazastreifen beschossen.

In der vergangenen Nacht und am frühen Morgen verstärkten israelische Kampfflugzeuge ihre Angriffe auf Einrichtungen der Hamas und der militanten Gruppe Islamischer Dschihad. Nach Armee-Angaben wurde erneut ein mehrgeschössiges Gebäude beschossen. Im Vergleich zu früheren israelischen Einsätzen waren die Zerstörungen der vergangenen Tage im Gazastreifen sehr gross.

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist zuletzt wieder aufgeflammt. Er spitzte sich im muslimischen Fastenmonat Ramadan und nach der Absage der Parlamentswahl in den Palästinensergebieten immer weiter zu. Als Auslöser gelten etwa Polizei-Absperrungen in der Jerusalemer Altstadt, die viele junge Palästinenser als Demütigung empfanden. Hinzu kamen drohende Zwangsräumungen von Familien und daraus resultierende Auseinandersetzungen von Palästinensern und israelischen Siedlern im Jerusalemer Viertel Scheich Dscharrah sowie heftige Zusammenstösse auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Scharif). Die Anlage mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen. Der Konflikt greift zunehmend auch auf Orte im israelischen Kernland über – mit Gewalttaten von Arabern gegen Juden und umgekehrt.



Russland bemüht sich um Vermittlung

«Verschiedene Länder unternehmen Anstrengungen und nutzen ihre Kontakte, um die Parteien zur Zurückhaltung zu ermutigen — auch Russland», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag in Moskau der Staatsagentur Tass zufolge. Details nannte er zunächst nicht. Israelis und Palästinenser müssten erkennen, dass es keine Alternative zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts gebe.

Kremlchef Wladimir Putin forderte bei einem Gespräch mit UN-Generalsekretär António Guterres ein Ende der Gewalt. Die Sicherheit der Bevölkerung müsse gewährleistet werden, teilte der Kreml nach der Unterredung im Online-Format mit.

Ähnlich äusserte sich Aussenminister Sergej Lawrow. Nach seinem Telefonat mit dem ägyptischen Kollegen Samih Schukri teilte das russische Aussenministerium mit, Moskau und Kairo wollten sich eng abstimmen bei ihren Bemühungen um einen Neustart der Verhandlungen zwischen der palästinensischen und der israelischen Seite. Lawrow will etwa die Vermittlergruppe aus den USA, Russland, den Vereinten Nationen und der EU einberufen.

Israel beschliesst Ausweitung des Militäreinsatzes

Der Status Jerusalems ist seit Langem eine der zentralen Streitfragen im Nahost-Konflikt. Israel beansprucht Jerusalem als «ewige und unteilbare Hauptstadt» für sich. Die Palästinenser halten am Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines unabhängigen Staates fest.

Die im Gazastreifen herrschende, islamistische Hamas hat sich zum Verteidiger Jerusalems erklärt. Von Israel verlangte sie zu Wochenbeginn per Ultimatum unter anderem, dass alle israelischen Polizisten und Siedler den Tempelberg und Scheich Dscharrah verlassen – Israel folgte dem nicht. Die Hamas hat ihren Raketenbeschuss unter das Motto «Schwert von Jerusalem» gestellt. Israel nennt seinen Einsatz «Wächter der Mauern».

Israels Sicherheitskabinett hat zuletzt eine Ausweitung des Militäreinsatzes beschlossen. Die Armee solle gezielt «Symbole der Hamas-Herrschaft» in dem Palästinensergebiet angreifen, berichtete der Sender Kanal 12. Am Mittwoch hatte die Armee gezielt hochrangige Vertreter von Hamas und Islamischem Dschihad angegriffen. International wuchs die Besorgnis über eine weitere Eskalation des Konflikts.

Seit der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahre 2007 haben sich Israel und die radikale Palästinenserorganisation drei Kriege geliefert. Der letzte war 2014. Mit einer Dauer von zwei Monaten war er der längste. Andere Waffengänge dauerten von 48 Stunden bis einen Monat.

Israel und Ägypten halten den dicht besiedelten Gazastreifen unter Blockade und begründen dies mit Sicherheitserwägungen. Rund zwei Millionen Menschen leben dort nach Angabe von Hilfsorganisationen unter miserablen Bedingungen. Die Hamas wird von Israel, den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft. Sie hat die Zerstörung Israels zu ihrem Ziel erklärt.

sda/dpa/toko