Nur das Zweitbeste?Viele Europäer zweifeln am Astrazeneca-Impfstoff
dpa/uri
15.2.2021 - 08:14
Mit der Zulassung des Corona-Vakzins von Astrazeneca können zahlreiche jüngere Europäer nun schneller geimpft werden. Doch viele hätten lieber einen anderen Impfstoff und fühlen sich benachteiligt.
In Polen sind seit Freitag Lehrerinnen und Lehrer an der Reihe. Bei den Corona-Impfungen gibt es für sie das Vakzin von Astrazeneca. Viele haben sich vormerken lassen, auch in der Schule von Ewelina Jankowska in Wilanow im Süden Warschaus – nicht alle aber sind glücklich mit ausgerechnet diesem Impfstoff.
Niemand in ihrer Schule sei begeistert darüber, sagt Direktorin Jankowska. Die Lehrkräfte hätten sich einen der beiden anderen in der EU zugelassenen Impfstoffe von Pfizer oder Moderna gewünscht, die bei der Wirksamkeit beide mit etwa 95 Prozent an der Spitze stehen. Aber sie nähmen jetzt alles, was irgendwie Schutz gegen das Coronavirus verspreche. «Ich fürchte die Krankheit mehr als das Astrazeneca-Vakzin», erklärt Jankowska, die bereits im November an Covid-19 erkrankt war und sich nur langsam erholt hat.
Der Impfstoff des britisch-schwedischen Unternehmens Astrazeneca, entwickelt in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford, ist mittlerweile in mehr als 50 Ländern zugelassen. Doch die Einführung geht mit Unsicherheiten und Kritik einher. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beziffert die Wirksamkeit gegen symptomatische Covid-19-Verläufe nach den beiden vorgesehenen Impfdosen auf rund 63 Prozent.
Experten raten zu Zurückhaltung
Experten raten jedoch zu Zurückhaltung bei einem direkten Vergleich mit den weit höheren Zahlen von Pfizer und Moderna, da die Studien nicht unter gleichen Bedingungen und zum gleichen Zeitpunkt erfolgt seien. Ausserdem hätten sich alle drei Impfstoffe als hochwirksam erwiesen, wenn es darum geht, schwere Verläufe und Todesfälle zu verhindern.
Für Irritationen beim Astrazeneca-Vakzin sorgt indes auch die Frage, ob es für ältere Menschen wirklich so geeignet ist. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat es zwar für alle Erwachsenen empfohlen, doch manche EU-Länder weichen davon ab und haben die Empfehlung auf Menschen unter 65 Jahre eingegrenzt, andere Länder haben gar eine Grenze von 55 Jahren gesetzt. Der Grund: Nur ein geringer Anteil der Probanden in der Astrazeneca-Wirksamkeitsstudie war älter, sodass für diese Altersgruppe zu wenig Daten über eine Impfeffektivität vorlägen.
Zusätzlich werfen erste Untersuchungen nun noch Fragen über die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen die südafrikanische Mutation des Coronavirus auf. Den Vakzinen von Pfizer und Moderna hat der Impfstoff von Astrazeneca aber voraus, dass er einfacher gelagert werden kann und nicht die extrem tiefen Temperaturen wie die beiden anderen braucht. Und billiger ist er auch.
Zweifel bleiben
«Ist er vollkommen? Nein, er ist nicht perfekt», sagt Astrazeneca-Chef Pascal Soriot über seinen Impfstoff, «aber er ist grossartig.» Covid-19-Impfstoffe seien knapp, erklärt Soriot, und das Astrazeneca-Vakzin biete starken Schutz gegen eine schwere Erkrankung. Das sei die wichtigste Richtgrösse im Kampf gegen ein Virus, das weltweit schon mehr als 2,3 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. «Wir werden Tausende Leben retten», betont Soriot, «und deshalb kommen wir jeden Tag zur Arbeit.»
Jeder der zugelassenen Impfstoffe sei sicher, bekräftigt der Infektionsexperte Peter Piot, Direktor der London School of Hygiene and Tropical Medicine. «Wenn Sie irgendeinen der zugelassenen Impfstoffe angeboten bekommen, nehmen Sie an», appelliert er an die Bevölkerung. «Impfstoffe sind der Weg für die Welt zurück zu einem Stück Normalität.»
Für viele Europäer unter 65 bedeutet die Zulassung des Astrazeneca-Impfstoffs, dass sie nun schneller geimpft werden können als zunächst vorgesehen. Doch die Zweifel, ob es sich nicht doch nur um die zweitbeste Wahl handelt, sind weit verbreitet. In einigen Ländern haben Gewerkschaften protestiert, dass ihre Mitglieder den Astrazeneca-Impfstoff erhalten sollen, darunter Polizisten und Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen.
Kritik auch von der Lehrergewerkschaft
Manche verweigern sich auch direkt dem Vakzin. «Ich bin kein Astrazeneca-Impfgegner», sagt Paolo Mezzana, Arzt für Plastische Chirurgie in Rom und Mitverwalter einer Facebook-Gruppe von Medizinern. Aber Mitarbeiter im Gesundheitswesen, also eine Bevölkerungsgruppe, die einem grossen Risiko ausgesetzt sei, sollten nicht benachteiligt werden, betont Mezzana.
In Polen kam Kritik gegen den Astrazeneca-Impfstoff auch vonseiten der grössten Lehrergewerkschaft – was wiederum von der Regierung als unverantwortliche Verunsicherung der Lehrerschaft zurückgewiesen wurde. Die Skepsis aber können die Gesundheitsbehörden nur schwer ausräumen: «Ich habe das Gefühl, dass wir Lehrer etwas schlechter behandelt werden», sagt etwa Patrycja Swistowska in der Schule von Wilanow. «Sie haben uns nicht die Impfstoffe angeboten, die Ärzte und andere Berufsgruppen erhalten.»
Sie sei verunsichert, räumt die 39-Jährige ein. «Und mir geht es nicht gut damit. Wir werden schon schlechter bezahlt, und das ist wieder ein Beispiel dafür, wie wir auf unsere Plätze verwiesen werden.»
Anders sieht es Agnieszka Grabowska, Leiterin eines Warschauer Kindergartens. Für sie ist die frühe Impfung eine Chance. «Es ist eine grosse Erleichterung», sagt die 48-Jährige, als sie an die Reihe kommt. «Ich habe das ganze Jahr lang auf diesen Moment gewartet.»
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