Nachschub aus Westen Putin weiss, woher Kiews Waffen kommen – wann greift er ein?

Von Philipp Dahm

5.3.2022

Nach Wladimir Putins Angriff strömen nun Waffen aus dem Westen in die Ukraine, doch Moskau könnte den Nachschub bald schon abwürgen. Kiew fordert derweil Flugzeuge, bekommt allerdings vorerst nur Drohnen.

Von Philipp Dahm

5.3.2022

Wladimir Putins Krieg hatte sich deutlich abgezeichnet, und doch war die Ukraine relativ unvorbereitet. Erst einen Tag vor Moskaus Angriff hat Kiew mobilisiert.

Um dem Kreml keinen Vorwand für einen Einmarsch zu liefern, verzichtete Wolodymyr Selenskyj, zeitig Truppen auszuheben und einzugraben. Hätten nicht Staaten wie die USA, Grossbritannien, die Niederlande, Polen und aus dem Baltikum kurz vor Beginn der Feindseligkeiten Material teilweise sogar eingeflogen, stünden die ukrainischen Verteidiger nun klar schlechter da. 

Arbeiter entladen am 25. Januar auf einem Flughafen bei Kiew ein Flugzeug, das militärisches Gerät aus den USA bringt.
Arbeiter entladen am 25. Januar auf einem Flughafen bei Kiew ein Flugzeug, das militärisches Gerät aus den USA bringt.
Keystone

Doch an der Nachschub-Front gab es seither eine «Zeitenwende», betonen vor allem deutsche Politiker. Kein Wunder: Berlin will nicht nur selbst 100 Milliarden Euro in die eigene Rüstung stecken, sondern nun auch der Ukraine Rüstungsgüter liefern.

Erst werden 1'400 Panzerfäuste 3 und 500 Stinger freigegeben, nun will die Bundeswehr nicht weniger als 2'500 Flugabwehrraketen vom Typ Strela aus DDR-Beständen abgeben, wobei unklar ist, wie gut sie in Schuss sind. Für Deutschland bedeutet das eine Abkehr von der Nachkriegszeit, insgesamt ist Berlins Beitrag nur eine von vielen Waffenlieferungen.

Südlicher Korridor in Gefahr

Selbst neutrale Länder sind dabei: Schweden schickt unter anderen 5'000 Panzerabwehrraketen, Russlands Nachbar Finnland spendet 2'500 Sturmgewehre und 1'500 Raketen. Zusammen mit Waffen aus Nato-Staaten sowie von Ausrüstung, Munition und Treibstoff entsteht ein ganzer Strom von Rüstungsgütern, der in die Ukraine fliesst.

Ukrainische Soldaten üben im Dezember 2021 in der Donezk-Region den Einsatz von US-Panzerabwehrraketen von Typ Javelin.
Ukrainische Soldaten üben im Dezember 2021 in der Donezk-Region den Einsatz von US-Panzerabwehrraketen von Typ Javelin.
AP

Dass diese nicht mehr direkt in die Hauptstadt geflogen werden können, ist klar: Die Routen ins Kriegsgebiet liegen samt und sonders im Westen, doch die Auswahl wird Schritt für Schritt kleiner werden. Die nächste Nachschub-Linie, die Moskau kappen dürfte, ist diejenige im Südwesten der Ukraine.

Hier liegt mit Odessa die drittgrösste Stadt des Landes, hier können die ohnehin schon unterbrochene Versorgung durchs Schwarze Meer und der südliche Korridor nach Rumänien kontrolliert werden. Im östlichen Grenzgebiet von Moldawien befindet sich zudem die moskautreue autonome Republik Transnistrien: Dort käme kein Nato-Nachschub durch.

Versorgung übers Schwarze Meer abschneiden – Odessa hat südwestlich der Stadt zudem einen Zugang nach Rumänien.
Versorgung übers Schwarze Meer abschneiden – Odessa hat südwestlich der Stadt zudem einen Zugang nach Rumänien.
Google Earth

Kreml könnte Nachschublinie unterbrechen

Der britische «Telegraph» zeigte gerade Bilder, die zeigen, wie russische Landungsschiffe aufgereiht vor der Küste Odessas liegen: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der russische Angriff beginnt. Nachschub wird übrigens auch nicht über die ukrainisch-ungarische Grenze kommen: Premier Viktor Orbàn hat einen Transit tödlicher Waffen durch sein Land untersagt.

Dennoch bliebe noch eine ausreichend lange Landgrenze zwischen der Ukraine und den Nato-Staaten Polen, Slowakei und Rumänien – sollte man meinen. Doch andererseits wissen natürlich auch Moskaus Militärs, dass nur noch von dort der Nachschub fliessen kann: Eine Offensive unter Beteiligung von Truppen aus Belarus, die vom Norden her Lwiw in der Westukraine abschneidet, wäre für den ukrainischen Nachschub eine enorme Gefahr.

Knotenpunkt in der Westukraine: Lwiw, das frühere Lemberg, liegt rund 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt.
Knotenpunkt in der Westukraine: Lwiw, das frühere Lemberg, liegt rund 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt.
Google Earth

Eine andere Gefahr droht den Versorgungslinien natürlich aus der Luft, und das ist mit ein Grund für die fast schon gebetsmühlenartigen Forderungen Kiews nach der Einrichtung von Flugverbotszonen. Die Nato winkt ab: Würde sie eine solche durchsetzen müssen, drohe «eine Weltkatastrophe», warnt der altgediente Luxemburger Aussenminister Jean Asselborn.

Diese Flugzeuge könnten Kiew helfen

Sein lettischer Amtskollege Edgars Rinkēvičs wies zudem darauf hin, dass ein Nato-Einsatz eine im Konsens getroffene Entscheidung aller 30 Mitgliedstaaten erfordern würde und dass es ein Land brauchen würde, das zur Durchsetzung der Flugverbotszone in der Lage sei. Damit spielte er wohl auf die USA an, die ein Eingreifen kategorisch ausgeschlossen haben.

Eine Su-25 der ukrainischen Luftwaffe: Exemplare aus Bulgarien könnten Kiew helfen, gegen russische Varianten sollen Mig-29-Jäger zum Einsatz kommen.
Eine Su-25 der ukrainischen Luftwaffe: Exemplare aus Bulgarien könnten Kiew helfen, gegen russische Varianten sollen Mig-29-Jäger zum Einsatz kommen.
EPA

Wolodymyr Selenskyj gibt indes nicht auf: Wenn der Westen kein Flugverbot aussprechen wolle, solle er anders helfen, fordert der ukrainische Präsident. «Wenn ihr nicht die Stärke und den Mut habt, das zu tun, gebt mir wenigstens Flugzeuge», appelliert er. Weil die ukrainischen Piloten jedoch nicht einfach so einen Eurofighter Typhoon bedienen könnten, sind die Möglichkeiten eingeschränkt.

Die Einzigen, die helfen könnten, sind jene Staaten, in denen noch Mig-29-Jäger oder Erdkampfflugzeuge vom Typ Su-25 geflogen werden. In der Slowakei gibt es noch 12, in Polen 30 und Bulgarien 15 Mig-29-Jets. Die Su-25 ist etwa das Pendant zur amerikanischen A-10 Warthog und wird noch in Bulgarien geflogen, wo angeblich 14 Exemplare im Einsatz sind.

Drohnen und Satelliten

Polen, Bulgarien und die Slowakei haben jedoch öffentlich dementiert, der Ukraine Flugzeuge abgeben zu wollen. Ganz im Gegensatz zur Türkei, Ankara will Kiew weitere Kampfdrohnen vom Typ Bayraktar TB2 liefern. Erst am 2. März seien wieder neue Exemplare im Kriegsgebiet eingetroffen, will die «Eurasian Times» wissen. Sie waren zuvor in einem A-400M nach Polen geflogen worden.

Angeblicher Angriff einer ukrainischen Baykraktar-Drohne. Hinweis: Der Inhalt kann nicht überprüft werden.

Die Bayraktar TB2 ist im Feld erstmals von Aserbaidschan im Krieg um Bergkarabach 2020 gegen armenische Einheiten erfolgreich eingesetzt worden, bevor sie in Libyen und Syrien zum Zuge kam. Die Ukraine will ebenfalls mehrere Panzer mit der Drohne vernichtet haben – darunter auch diverse Flugabwehrsysteme.

Zum Schutz der Nachschublinien gehört nicht zuletzt auch der Schutz vor russischer Aufklärung: Hacker aus dem Umfeld von Anonymous haben zwischenzeitlich anscheinend die Kontrolle über einige von Moskaus Satelliten übernommen. Auch das russische GPS wird angeblich   immer wieder gestört. Der Kreml bestreitet entsprechende Meldungen.