Lagebild Ukraine Eingefrorene Frontlinie? Am Dnjepr kommt Kiew voran

Von Philipp Dahm

9.11.2023

USA: Schlimme Konsequenzen für Ukraine ohne Freigabe weiterer Mittel

USA: Schlimme Konsequenzen für Ukraine ohne Freigabe weiterer Mittel

Die USA sind der wichtigste Unterstützer der Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg. Doch eine weitere Unterstützung ist wegen eines innenpolitischen Streits zwischen Demokraten und Republikanern im US-Parlament blockiert. Jetzt warnt die US-Regierung vor schwerwiegenden Konsequenzen für die Ukraine, sollte der Kongress nicht schnell neue finanzielle Mittel bewilligen.

09.11.2023

An der Front in der Ukraine gibt es derzeit wenig Bewegung – mit Ausnahme des rechten, östlichen Dnjepr-Ufers: Hier konnte die ukrainische Armee überraschend Boden gutmachen und taktische Erfolge feiern.

Von Philipp Dahm

9.11.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Angriff auf Flughafen und Werft: Die ukrainischen Angriffe auf die Krim in den letzten Tagen haben nachhaltige Effekte.
  • Die ukrainische Armee hat ihre Brückenköpfe am rechten, östlichen Dnjepr-Ufer verstärkt und rückt nach Osten vor.
  • Dort halten sich nun über 300 Soldaten auf, die von amphibischen Fahrzeugen versorgt und geschützt werden.
  • Vom linken, westlichen Ufer, das erhöht liegt, decken Artillerie und Panzer den Brückenkopf. Sehr viele Drohnen jagen russische Kräfte.
  • Die Schacht um Awdijwka hält an: Im Norden der Stadt rückt russische Infanterie langsam vor.

Die letzten ukrainischen Angriffe auf die Krim zeigen Wirkung. Zum einen hat Kiews Armee am 7. November den Flugplatz von Tuganrog ins Visier genommen: Die Hafenstadt liegt am Asow'schen Meer im russischen Oblast Rostow. Hierher waren Kampfhelikopter verlegt worden, nachdem zuletzt deren Basen in Berdjansk und Luhansk beschossen worden sind.

Nun müssen sie noch weiter von der Front weggebracht werden und brauchen deutlich länger bis zu ihren Einsatzorten. Dass russische Einheiten auf der Krim nicht sicher sind, hat zudem der Angriff auf die Zaliv-Werft nahe Kertsch gezeigt, der dank kluger Planung von Erfolg gekrönt war

Der Rückzug der russischen Kampfhelikopter nach Tuganrog hat der russischen Armee nichts genützt.
Der Rückzug der russischen Kampfhelikopter nach Tuganrog hat der russischen Armee nichts genützt.

Die Attacke auf die Werft beginnt mit dem Aufstieg ukrainischer Su-24M-Jets, was für die Russen eine Vorwarnung ist, dass Scalp- oder Storm-Shadow-Marschflugkörper abgeschossen werden. Moskau ordnet deshalb am 5. November an, die Kertsch-Brücke zu vernebeln, falls die Raketen die wichtige Verbindung nach Russland anvisieren, und lässt Jets aufsteigen.

Klug koordinierte Werft-Attacke

Mit den Abfangjägern hat Kiew jedoch gerechnet. Deshalb werden aus Richtung Odessa Marschflugkörper vom Typ R-360 Neptune abgefeuert. Die russischen Kampfflugzeuge drehen deshalb ab und wenden sich dieser Gefahr zu. Aus Cherson werden gleichzeitig Täuschkörper und Raketen für die elektronische Kriegsführung gestartet.

Neptune-Marschflugkörper sowie Täusch- und Stör-Raketen ebnen Scalp- und Storm-Shadow-Marschflugkörpern den Weg, um die Zaliv-Werft bei Kertsch zu treffen.
Neptune-Marschflugkörper sowie Täusch- und Stör-Raketen ebnen Scalp- und Storm-Shadow-Marschflugkörpern den Weg, um die Zaliv-Werft bei Kertsch zu treffen.

So ist die russische Luftabwehr zu beschäftigt, um die drei Treffer an der «Askord» zu verhindern, die die Korvette schliesslich zerstört: Eine Reparatur des Kriegsschiffes erscheint teurer als ein Neubau. Weil die Askord auch Oniks- und Kalibr-Raketen verschiessen kann, ist der Angriff mit Blick auf den Winter und drohende Raketen-Salven auf kritische ukrainische Infrastruktur doppelt wichtig.

(Im Video: Dreimal schlagen Marschflugkörper in der Korvette ein.)

Für Moskau wird es nicht nur schwer, die brandneue Korvette zu ersetzen. Auch beschädigte Helikopter sind für den Kreml ein grosses Problem: Der Antrieb vieler Hubschrauber wurde in der Ukraine gebaut. Deshalb wendet sich Russland nun an die Kunden seiner Rüstungsindustrie.

Selenskyjs Armee rückt am Dnjepr-Ufer vor

Wie das «Wall Street Journal» berichtet, hat Moskau bei Ländern wie Belarus, aber auch Ägypten, Brasilien und Pakistan nach Ersatzteilen nachgefragt. An der Front am Dnjepr sind sie aber nicht im Einsatz. Der Grund: Die ukrainische Armee hat ihre Luftverteidigung nach am westlichen Ufer platziert, berichtet Military Lab.

Und es tut sich was an dem grossen Fluss: Demnach bringt Kiews Armee mit dem amphibischen Fahrzeug PTS-2 laufend Nachschub für die Brückenköpfe am linken, östlichen Ufer. Mehr als 300 Soldaten sollen diese Stellungen halten – und es werden offensichtlich immer mehr.

Unterstützt werden sie nun auch von ukrainischen Schützenpanzern vom Typ BTR-4 Bukephalos, die ebenfalls amphibisch und mit einer 30-Millimeter-Maschinenkanone bewaffnet sind. Die ukrainische Armee rückt nun von ihren Brückenköpfen aus weiter vor.

Überall Drohnen

Wolodymyr Selenskyjs Truppen ist es gelungen, Krynky einzunehmen und die wichtige Verbindungsstrasse T2206 zu unterbrechen, die an den Siedlungen am linken, östlichen Dnjepr-Ufer vorbeiführt. Deckung erhalten die Ukrainer dort weiterhin von Panzern und Artillerie, die vom rechten, westlichen Ufer aus erhöhter Position schiessen.

Die Lage am linken, östlichen Dnjepr-Ufer: Bei Krynky hat die ukrainische Armee Territorium erobert (gelb umrandet). Die T2206 ist in Weiss eingezeichnet.
Die Lage am linken, östlichen Dnjepr-Ufer: Bei Krynky hat die ukrainische Armee Territorium erobert (gelb umrandet). Die T2206 ist in Weiss eingezeichnet.

Das Gros der Angriffe führen aber ukrainische Drohnen durch, von denen es in dem Gebiet offenbar nur so wimmelt. Das legt das untenstehende Video nahe, in dem ein russischer Tanklaster unweit von Krynky attackiert wird – und zwar nicht nur von einer Drohne, sondern von drei oder vier, die sich fast schon um das Ziel zu streiten scheinen.

Wer die Frontlinie weiter nach Osten abfährt, landet bei Robotyne im Oblast Saporischschja: Hier ging in den letzten Tagen nichts mehr. Prorussische Telegram-Kanäle wie WarGonzo und Rybar berichten von ukrainischen Angriffen auf Werbowe und Novoprokopiwka, die jedoch gescheitert seien.

Der Frontverlauf bei Robotyne.
Der Frontverlauf bei Robotyne.
Karte: @noelreports

Awdijwka: Russen überqueren Bahndamm

Wir folgen der Front weiter nach Osten: Auch am Angriffsvektor bei Urozhaine gibt es keine Bewegungen, nachdem ein Angriffsversuch der Russen auf Staromajorske fehlgeschlagen ist. Auch bei Wuhledar, wo Moskau zuletzt erneut mehrere Fahrzeuge verloren hat, war es danach ruhig.

Auch bei Staromajorske und Urozhaine sowie bei Wuhledar ist die Front derzeit starr.
Auch bei Staromajorske und Urozhaine sowie bei Wuhledar ist die Front derzeit starr.

Anders sieht es im Oblast Donezk aus: Die Schlacht um Awdijwka hält an. Während es im Süden der Stadt kaum Veränderungen im Frontverlauf gibt, macht Moskau im Norden weiter Druck. Die russische Armee hat das «Feld des Todes» überwinden können und die Bahnlinie überquert.

Nördlich von Awdijwka kommt die russische Armee voran – wenn auch langsam.
Nördlich von Awdijwka kommt die russische Armee voran – wenn auch langsam.

Wo der Unterschied zum letzten Lagebild Ukraine ist? Damals waren die Vorstösse über die Zugtrasse hinaus temporär, nun haben sich Wladimir Putins Soldaten dort festgesetzt. Neu ist auch, dass der Kreml nun vor allem Infanterie in kleinen Gruppen vorpreschen lässt, anstatt dort sinnlos weiter gepanzerte Fahrzeuge zu verheizen.

Minimale russische Gebietsgewinne nördlich von Bachmut

Unbeschwert vorangehen kann die russische Armee aber nicht: Die Gegenseite probt immer wieder Angriffe von Norden her in die Flanke von Krasnohoriwka, was Truppen bindet, die das Gebiet verteidigen müssen.

Russische Truppen, die von Krasnohoriwka aus nach Westen vorrücken wollen, müssen ihre Flanke schützen.
Russische Truppen, die von Krasnohoriwka aus nach Westen vorrücken wollen, müssen ihre Flanke schützen.

Geht es irgendwo für Russland vorwärts? Ja, im Norden von Bachmut hat es Territorium erobert. Allerdings gibt es dort keine Siedlungen und wohl auch wenig Widerstand: Moskaus Kräfte sind also in eine Lücke vorgestossen, ohne dadurch taktische Vorteile zu bekommen.

Auch im Norden der Front versucht es der Kreml weiter: Auf der Linie Kupjansk-Swatowe-Kreminna gibt es aber ebenfalls keine Verschiebungen. Laut dem ukrainischen Armeesprecher Wolodymyr Fitjo hat die Gegenseite zwischen dem 1. und 6. November in dem Gebiet 22 Panzer, 54 gepanzerte Fahrzeuge und 1826 Soldaten verloren.