Selenskyj spricht im Bundestag «Herr Scholz, zerstören Sie diese Mauer!»

Von Maximilian Haase

17.3.2022

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht per Video zu den Abgeordneten im Deutschen Bundestag.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht per Video zu den Abgeordneten im Deutschen Bundestag.
Michael Kappeler/dpa

In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag hat der ukrainische Präsident Selenskyj um mehr Hilfe gebeten, aber auch Kritik geübt. Mit Bezügen auf den Zweiten Weltkrieg und die Berliner Mauer appellierte er an die historische Verantwortung der Deutschen.

Von Maximilian Haase

17.3.2022

Nach seiner viel beachteten Rede vor dem US-Kongress am Mittwoch sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nun per Videoschalte auch vor dem Deutschen Bundestag. In einer emotionalen Ansprache bat er um mehr Hilfe für sein Land, übte mit Verweis auf die historische Verantwortung Deutschlands aber auch Kritik.

Ein Überblick über die wichtigsten Punkte seiner Rede.

Schilderung der Situation

In seinem Land seien nun Zivilisten und Soldaten wahllos Ziel russischer Angriffe, schilderte Selenskyj vor dem Bundestag. «Russland bombardiert unsere Städte und zerstört alles, was in der Ukraine da ist. Das sind Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kirchen, alles. Mit Raketen, mit Luftbomben, mit Artillerie. In drei Wochen sind sehr viele Ukrainer gestorben, Tausende. Die Besatzer haben 108 Kinder getötet, mitten in Europa, bei uns im Jahr 2022», sagte Selenskyj laut Übersetzung.

Dank, Kritik und Forderungen

Vor den deutschen Abgeordneten bedankte sich Selenskyj für die bislang erfolgte Hilfe. Er sei allen «sehr dankbar, die uns unterstützen», insbesondere auch Privatpersonen sowie jenen Firmen, die «Moral über Profit» stellten. Zugleich kritisierte er, dass er lange vergeblich um Hilfe gebeten und die Forderung nach einem Nato-Beitritt der Ukraine erfolglos gewesen sei. Er sprach die Politikerinnen und Politiker direkt an: «Und auch jetzt zögern Sie noch beim Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union.»

Die Ukrainerinnen und Ukrainer würden nicht nur ihr eigenes Land verteidigen, sondern auch «die Werte, von denen in Europa so viel gesprochen wird», so Selenskyj. Abermals forderte er die Schaffung einer Flugverbotszone in der Ukraine. Humanitäre Konvois würden die eingekesselten Menschen in der belagerten Stadt Mariupol nicht erreichen.

Selenskyj im Deutschen Bundestag: «Bitte, helfen Sie uns»

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Verweis auf den Zweiten Weltkrieg

Wie in seiner Rede vor den US-Abgeordneten, bei der Selenskyj den Angriff auf Pearl Harbor 1945 erwähnte, bezog er sich auch vor dem Deutschen Bundestag auf die Geschichte. Mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg appellierte der ukrainische Präsident an die historische Verantwortung der Deutschen: Jedes Jahr wiederholten die Politiker «Nie wieder» – nun sehe man Selenskyj zufolge, «dass diese Worte nichts wert sind»: «In Europa wird ein Volk vernichtet», so der ukrainische Präsident, der auch auf das Massaker von Babyn Jar 1941 verwies.

Jedes Jahr würden deutsche Politiker ihre historische Verantwortung auch gegenüber der Ukraine bekräftigen, betonte Selenskyj. Nun gelte es, der Ukraine zu helfen, damit «nicht etwas passiert, wofür man wieder so eine lange Aufarbeitung braucht». Städte wie Charkiw und Tschernihiw würden, wie schon im Zweiten Weltkrieg, nun aufs Neue zerstört. Er spreche, so Selenskyj, auch im Namen der älteren Ukrainerinnen und Ukrainer, die die Zeit vor 80 Jahren noch erlebt hätten.

Zudem solle Deutschland an die Luftbrücke denken, die von den westlichen Alliierten während der Berliner Blockade Ende der 40er-Jahre errichtet wurde. Selenskyj betonte: «Wir können keine Luftbrücke bauen, denn von unserem Himmel fallen nur russische Bomben. Die russischen Truppen unterscheiden nicht zwischen zivilen und militärischen Objekten.»

Das Motiv der Mauer

Auch ein weiterer historischer Bezug zog sich durch Selenskyjs Rede: Mit dem Motiv der Mauer spielte er auf die Berliner Mauer an, die Deutschland bis 1989 geteilt hatte. Die russische Invasion habe eine «Art neuer Mauer» in Europa entstehen lassen, so der ukrainische Präsident. Diese «neue Mauer inmitten von Europa» trenne die Freiheit von der Unfreiheit, wie Selenskyj sagte.

Es gehe nun darum, diese Mauer einzureissen und den Krieg zu stoppen: «Sie befinden sich irgendwie wieder hinter der Mauer, nicht Berliner Mauer, aber mitten in Europa, wo es Freiheit gibt. Und diese Mauer ist stärker, mit jeder Bombe, die auf unseren Boden in der Ukraine fällt.»

Direkter Appell an Olaf Scholz

«Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie die diese Mauer», richtete Selenskyj seine Worte direkt an den deutschen Regierungschef – und verwies damit auf die andere historische Rede von US-Präsident Ronald Reagan (ebenfalls ein Ex-Schauspieler, wie Selenskyj betonte), der den damaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow aufforderte, die Berliner Mauer niederzureissen. 

«Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient, damit Ihre Nachfahren stolz sind auf Sie», so der ukrainische Präsident weiter in Richtung Olaf Scholz. «Stoppen Sie diesen Krieg, helfen Sie uns, diesen Krieg zu stoppen.»

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und Vizekanzler Robert Habeck lauschen im Deutschen Bundestag der Rede von Wolodymyr Selenskyj.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und Vizekanzler Robert Habeck lauschen im Deutschen Bundestag der Rede von Wolodymyr Selenskyj.
Bild: Keystone

Mit Material von dpa und AFP