Vom Regisseur zum Volunteer «Für mich gibt es jetzt keine guten Russen mehr»

Von Redaktion blue News

28.8.2022

«Ich möchte eine Komödie über den Krieg machen»

«Ich möchte eine Komödie über den Krieg machen»

Vom Film zur Freiwilligenarbeit: Seit Kriegsbeginn sammelt der Regisseur Dmitro Avdeev alle möglichen Hilfsgüter für die Menschen in der Ukraine. Er erkennt inmitten der Tragik aber auch immer noch Komisches.

26.08.2022

Vom Filmset zur Freiwilligenarbeit: Seit Kriegsbeginn sammelt der Kiewer Regisseur Dmitro Avdeev alle möglichen Hilfsgüter für die Menschen in der Ukraine. Er erkennt inmitten der Tragik aber auch immer noch Komisches.

Von Redaktion blue News

Ich möchte mit dem schmerzhaftesten für alle Ukrainer beginnen, dem 24. Februar. Wie hat dieser Tag für Sie begonnen?

Es ist sehr schwer für mich, mich an diesen Tag zu erinnern. Ich war in Kiew mit meiner Familie. Um fünf Uhr rief mich eine Freundin vom Flughafen an, die die Explosionen als Erste gehört hatte. In nur 15 Minuten waren meine Frau und mein Kind im Auto. Unser Koffer war sicher schon ab dem 16. bereit. Ich versuchte noch, einige Dokumente und Habseligkeiten einzupacken. Dann hörte ich Explosionen und die Fenster wackelten, da wurde mir bewusst, dass ich rausmuss.

Das war das Einzige, was ich denken konnte: Dass wir hier rausmüssen. Niemand verstand zu diesem Zeitpunkt, was da geschah. Niemand konnte glauben, dass der Krieg begonnen hatte und sogar, wenn wir die Nachrichten lasen, konnten wir es nicht begreifen.

Wie ist Ihre Organisation «Volunteers of Culture» entstanden?

Zur Person

Dmytro Avdeev arbeitete vor dem Krieg als Filmregisseur in Kiew. Später wandte er sich seiner Filmgemeinde zu und gründete zusammen mit einem Kollegen in der Region Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine die Freiwilligenorganisation «Volunteers of Culture». Die Stiftung sammelt Spenden für ukrainische Militärangehörige, aber auch Zivilisten, die Hilfe benötigen. Die Organisation berichtet auf ihrem Telegram-Kanal über ihre Aktivitäten.

Ich wusste zu Beginn nicht, wo ich anfangen soll. Ein ehemaliger Lehrer inspirierte mich dazu, mich an meine Community zu wenden. Da ich eine Reiseshow gedreht habe und viel um die Welt gereist bin, hatte ich viele Freunde von Lateinamerika bis Europa, in den Staaten und sogar Singapur. Also stellte ich Videos auf Englisch auf die sozialen Medien, um sie auf den Krieg aufmerksam zu machen. Alle meine Freunde waren gegangen, ausser einer. Er war Konzertdirektor des ukrainischen Sängers Ivan Dorn und wie ich im kulturellen Bereich tätig. Darum nennen wir uns «Volunteers of Culture» (Deutsch: Ehrenamtliche der Kultur). Wir hatten nie einen konkreten Plan, alles hat sich einfach ergeben. Jetzt sind wir eine offizielle Stiftung und arbeiten mit ausländischen Organisationen zum Beispiel aus Belgien und Frankreich zusammen und leisten humanitäre Hilfe in der ganzen Ukraine. Zwar arbeiten offiziell immer noch nur wir zwei für die Stiftung, aber es gibt ungefähr 15 Leute, die uns jeden Tag helfen.

Wie kamen Sie an die ersten Spenden?

Die erste Spende, die wir erhalten haben, waren 800 Griwna (ca. 21 Franken, Anm. d. Red.) von Bekannten. Wir wussten nicht wirklich, was wir davon kaufen sollten. Aber meine Freunde aus den Niederlanden riefen mich an und sagten mir, dass sie mir vertrauen und bereits Kleidung und Lebensmittel sammeln würden, um uns zu helfen. So begann unsere Tätigkeit.

Spenden die Menschen nur Geld oder auch Waren?

Zu Beginn haben die Ukrainer*innen noch eher Geld gespendet, jetzt wird es weniger. Aber die Menschen versuchen, mit Sachspenden zu helfen, zum Beispiel mit zehn T-Shirts für die Armee. Und auch im Ausland sind Sachspenden beliebt. Ich war in Berlin und habe einen Aufruf gemacht. Aus ganz Berlin brachten mir Leute Kleider. Am Ende waren es genug Kleider, um 50 Rucksäcke zu packen.

Wo gehen die Rucksäcke hin?

Die Rucksäcke senden wir ans Militär, um die zehn Rucksäcke pro Woche. Eigentlich bräuchten sie bis zu fünfzig. In einen Rucksack kommen unter anderem Unterwäsche, Socken, Sonnencreme, Deo, Mittel gegen Fusspilz, Blutstiller, Bandagen, Abbindeschläuche, insgesamt etwa im Wert von 550 Euro (ca. 530 Franken, Anm. d. Red.)

Was brauchen Sie am meisten?

Was wir jeden Tag brauchen sind Hygieneprodukte, aber es mangelt eigentlich an allem, teilweise sind die Menschen ohne Schuhe und Winterkleidung geflüchtet, es ist ein niemals endender Prozess. Man denkt, man könnte Zahnpasta und Bürste verteilen und es würde für eine bestimmte Zeit reichen, aber nein. Es ist schon passiert, dass wir einem Typen eine ganze Ausrüstung abgegeben haben und nächste Woche schrieb er: «Ich hab nur noch eine Hose und ein Maschinengewehr.» Und das war's.

Wo schöpfen Sie Kraft für das Ehrenamt?

Ich weiss nicht. Wir arbeiten jeden Tag. Aber wenn es zu chaotisch wird, organisieren wir uns einen Bürotag, um alles zu organisieren.

Organisation ist sehr wichtig, nehme ich an.

Als Regisseur bin ich auch mal ans Set gekommen mit dem Gedanken, mal schauen, was wir heute drehen, ich bin eine kreative Person. Ich hätte nie gedacht, dass ich so organisiert sein kann. Am Abend schreibe ich mir die Ziele für den nächsten Tag auf, ohne geht es nicht. In der Tat glaube ich, dass Konzertmanager, Produzenten und Regisseure die coolsten Krisenmanager sind. Durch unseren Beruf waren wir vor dem Krieg bereits ständig mit Krisen konfrontiert, zum Beispiel wenn es bei einem Dreh plötzlich anfängt zu regnen, muss man schnell eine Lösung finden. Und tatsächlich gibt es in der Ukraine viele Menschen mit solchen Berufen, die sich nun in der Freiwilligenarbeit engagieren, weil sie selbst Krisenmanager sind. 

«Viele verstehen nicht, warum wir wir uns die Sachen nicht schicken lassen, sondern sie selbst abholen.»

Wie kommen Sie an die Hilfsgüter?

Viele verstehen nicht, warum wir uns die Sachen nicht schicken lassen, sondern sie selbst abholen. Einmal haben sie versucht, es uns etwa drei Wochen lang aus Frankreich zu schicken, bis ich es selbst in zwei Tagen abgeholt habe. Für ein kleines Paket zahlen wir bis zu 200 Euro, wenn ich die Ware mit meinem Auto hole, kostet das nur 100 Euro und ich kann viel mehr transportieren. Als wir selbst noch keine Auslandreisen gemacht haben, gingen viele Hilfsgüter auf dem Postweg zu uns verloren, darunter auch wichtige Medikamente. Darum haben wir entschieden, dass wir die Prozesse besser kontrollieren müssen. Wir schicken unsere eigenen Leute nach Deutschland, Budapest oder sonst wohin und sie können dort die Güter zu normalen Preisen kaufen und mitbringen.

Und ist es einfach, Hilfe zu finden?

Ich selbst habe auf den Moment gewartet, in dem es nicht mehr weitergehen würde. Aber das Gegenteil passierte – Leute kamen und haben uns geholfen. Daher ist die Organisation dank all dieser Leute auf gutem Weg. Aber es bleibt sehr schwierig.

Was werden Sie nach dem Krieg als Erstes tun?

Ich werde einen Film drehen. Zwei Tage vor Kriegsbeginn, genau am 22. Februar, habe ich mit meinen Drehbuchautorinnen meinen Spielfilm fertiggestellt. Aber leider ist der Inhalt jetzt nicht mehr relevant, und der Film somit komplett unbrauchbar geworden. Zurück zur Frage: Ich möchte eine Komödie über den Krieg machen. Es wird um Freiwillige gehen, weil es so viele lustige und seltsame Geschichten gibt, die sich mit Freiwilligen ereignen. Das Einzige, was ich mir geschworen habe, ist, dass ich keine Dramen mehr drehen werde. Sondern Komödien mit Happy End.

Als Regisseur haben Sie mit russischen Künstlern zusammengearbeitet, richtig?

Wir haben mit einer ukrainischen Produktionsfirma zusammengearbeitet, wir haben in der Ukraine Geld verdient. Und wir haben viele Reiseshows gedreht, an denen auch russische Stars teilgenommen haben.

Wie denken Sie jetzt über sie?

Ich habe lange über diese Frage nachgedacht und konnte sie nicht abschliessend beantworten. Inzwischen finde ich: Für mich gibt es jetzt keine guten Russen mehr.

Gab es nach Kriegsbeginn Angebote aus Russland?

Nein, alles endete sofort. Obwohl: Es gab einige Shootings und Anfragen, überraschenderweise werden in Russland ukrainische Regisseure gebraucht, weil sie als die coolsten gelten.