Neue Corona-Karte des BAG Abwasser lügt nicht, sagt aber auch nicht die ganze Wahrheit

Von Lia Pescatore

8.7.2022

Die Überwachung des Abwassers ist eine effektive Variante, um kostengünstig und breit die Verbreitung des Virus zu analysieren. (Symbolbild)
Die Überwachung des Abwassers ist eine effektive Variante, um kostengünstig und breit die Verbreitung des Virus zu analysieren. (Symbolbild)
Keystone/CHRISTIAN BEUTLER

Das Abwasser gilt als sicherer Detektor für die Verbreitung des Coronavirus – das BAG hat die Methode ausgebaut und veröffentlicht die Werte neu auf ihrer Website. blue News erklärt, was man aus den Zahlen einfach herauslesen kann – und was man lieber den Experten überlässt.

Von Lia Pescatore

8.7.2022

Seit einem Monat steigen die Infektionszahlen stetig an: Wurden Anfang Juni noch rund 15'000 Infektionen innerhalb zwei Wochen gemeldet, stiegen die Fallzahlen bis am letzten Tag des Monats bereits auf das Vierfache an. Auch die Positivitätsrate der durchgeführten Tests ist hoch und liegt über 40 Prozent. Wegen der hohen Dunkelziffer ist das wirkliche Ausmass schwer abschätzbar.

Bio-Statistikerin und Ex-Taskforce-Chefin Tanja Stadler prognostizierte vor rund zwei Wochen, dass sich in der Sommerwelle 15 Prozent der Bevölkerung, rund eine Million Menschen, mit dem Coronavirus infizieren könnten.

Einen Anhaltspunkt, wie es um die Verbreitung des Virus steht, liefert aber auch die Überwachung des Abwassers. Wer sich mit Corona infiziert hat, scheidet kleinste Bausteine des Virus über seinen Stuhl wieder aus. Diese Teilchen lassen sich dann im Abwasser nachweisen, auch schon in kleinsten Mengen: Laut Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ist das Virus feststellbar, wenn es nur zu zehn Infektionen auf 100'000 Einwohner kommt. Auf kostengünstige Weise kann also über die Wasserproben in den Reinigungsanlagen ein umfassendes Bild der pandemischen Situation generiert werden.

BAG baut nationales Überwachungssystem auf

Ein sicherer Wert, auf dem immer mehr Länder ihr Überwachungssystem aufbauen – auch die Schweiz: Seit dem Februar 2021 hat das BAG sein Netz von sechs beteiligten Anlagen auf knapp 100 ausgebaut, weitere sollen folgen. Das Ziel: alle Kantone sowie einen möglichst grossen Teil der Bevölkerung abzudecken, zudem auch die grössten Tourismusgebiete, um neue Corona-Varianten zeitnah zu entdecken. Am Schluss sollen etwa 70 Prozent der Bevölkerung durch die ausgewählten Anlagen abgedeckt sein.

99 Anlagen sind bereits im System integriert – seit dieser Woche sind neben den Fallzahlen, Hospitalisationen und Impfraten auch diese Messwerte auf dem offiziellen Corona-Dashboard des Bundes einsehbar. Dabei wird die Virenlast, die in den verschiedenen Anlagen gemessen wird, im Schnitt der vergangenen Woche dargestellt.

Die Karte zeigt die relative Virenlast im Sieben-Tage-Schnitt, die an den 99 beteiligten Abwasser-Anlagen gemessen wurde.
Die Karte zeigt die relative Virenlast im Sieben-Tage-Schnitt, die an den 99 beteiligten Abwasser-Anlagen gemessen wurde.
BAG

Im dunkelsten Blau zeigen sich so zum Beispiel die Gebiete rund um die Anlagen in Aire GE und Grindelwald BE: 100 Prozent Virenlast steht da. Also ist jeder in diesem Einzugsgebiet infiziert? Nein, so einfach sind die Werte nicht interpretierbar. Der Prozentsatz gibt wieder, wie stark die Viruslast im Vergleich zum letzten in dieser Anlage gemessenen Höchstwert gestiegen ist.

Das heisst am Beispiel Grindelwald: Die aktuelle Messung vom 1. Juli hat den bestehenden Höchstwert vom 6. Juni erreicht oder sogar überschritten, erklärt das BAG. Oder anders gesagt: An dieser Anlage wurde noch nie eine höhere Virenlast gemessen als am 1. Juli. «Bei der nächsten Messung wird dieser Wert dann als neuer historischer Höchstwert verwendet», erklärt das BAG weiter. 

Die Virenlast in Grindelwald hat die 100-Prozent-Marke überschritten. Das heisst: Eine höhere Virenlast wurde in dieser Anlage seit Messbeginn noch nicht gemessen.
Die Virenlast in Grindelwald hat die 100-Prozent-Marke überschritten. Das heisst: Eine höhere Virenlast wurde in dieser Anlage seit Messbeginn noch nicht gemessen.
BAG

Grindelwald und Aire sind – zum Glück – die Ausnahme: Bei den meisten der 99 Anlagen liegt der letzte gemessene Höchstwert im März oder April dieses Jahres und wurde seither auch nicht mehr annähernd überschritten.

Das Abwasser bestätigt den Trend der Fallzahlen

Ein direkter Vergleich der in den verschiedenen Anlagen gemessenen Werten ist schwer: Während die Anlage im Genfer Aire eine Wohnbevölkerung von über 450'000 Personen abdeckt, sind es in Grindelwald nur rund 4'000 Personen. «Schlüsse auf das Infektionsgeschehen in der Gesamtschweiz sind deshalb mit Vorsicht zu behandeln», schreibt das BAG weiter. Die Abwasserwerte eignen sich vor allem dafür, regional Ansteckungsherde effektiv zu erkennen, um dann gezielt Massnahmen ergreifen zu können. Der Vorteil: Eine Dunkelziffer gibt es bei dieser Methode hier nicht.

Doch was sagen die Zahlen denn über die gesamtschweizerische Situation aus? «Das Bild deckt sich mit dem der Fallzahlen», schreibt das BAG. Wie auch die Fallzahlen steigt die Virenlast im Abwasser zurzeit in den meisten Regionen.