Juden in der Schweiz«Der Blick nach Deutschland macht schon Angst»
Von Philipp Dahm
19.5.2021
Nachdem der Nahost-Konflikt in Europa zu antisemitischen Zwischenfällen geführt hat, sind die jüdischen Gemeinden in der Schweiz zwar wachsamer – doch die Lage ist hierzulande besser. Warum, erklären sie hier.
Von Philipp Dahm
19.05.2021, 23:30
20.05.2021, 10:08
Philipp Dahm
Mit dem Konflikt im Nahen Osten ist in Europa auch der Antisemitismus wieder aufgeflammt. Und die Brennpunkte sind dort, wo grosse muslimische Minderheiten gibt.
In London ziehen Demonstranten durch jüdische Viertel und fordern dazu auf, die Töchter der dort Lebenden zu vergewaltigen: «Tut es für die armen Kinder von Gaza», pöbelt die Menge. Zwei Personen sind in dem Zusammenhang mittlerweile festgenommen worden, berichtet «BBC». Auch aus Wien und Paris wurden Zwischenfälle gemeldet, ergänzt die «New York Times».
Zu antisemitischer Hetze ist es auch bei Demonstrationen in Deutschland gekommen: Obwohl die Regierungen in London und Berlin versichern, die Täter hart zu bestrafen, dürften derlei Vorfälle nicht die letzten dieser Art gewesen sein – ganz abgesehen von Ausgrenzungen im Alltag, von denen wir nicht aus der Presse, sondern nur aus den sozialen Medien erfahren.
Offenbar hatte er meine Kette mit dem Davidstern-Anhänger entdeckt. Nachdem ich völlig perplex mit „Bitte?!“ reagiert habe, hat er nur gelacht und ist ausgestiegen. Auf dem Weg von der Bahn zu meiner Wohnung bin ich an einem Hakenkreuz vorbeigelaufen. 2/7
befeuern diesen Antisemitismus gerade. Antisemitismus ist mittlerweile gesellschaftsfähig, wenn man ihn nur brav in „Israelkritik“ verpackt…und die einen sprechen von „Kindermörder Israel“und die anderen sagen einfach direkt „Juden hier raus“, am Ende kommt gleiches bei raus 4/7
über mich gemacht wurden, ich kann also nicht sagen, dass ich das nicht kenne. Es hat nur mittlerweile ein neues, nicht mehr auszuhaltendes Level erreicht.Also überlegt vielleicht nochmal, ob es wirklich nötig ist, irgendwelche Posts zu teilen, weil es gerade cool ist, obwohl 6/7
Wer am vergangenen Wochenende die Grosse Synagoge in Basel besucht hat, könnte sich gefragt haben, ob diese Antisemitismus-Welle auch in die Schweiz überschwappt: Besucher der Israelitischen Gemeinde mussten nach einem Gottesdienst eine Viertelstunde ausharren, weil zwei Verdächtige kontrolliert wurden, berichtet das Magazin tachles.
Natürlich vorsichtiger
Muss sich die Schweiz um ihre jüdischen Mitbürger*innen Sorgen machen? «Ich wüsste nicht, dass es einen konkreten Vorfall gab», sagt Bernhard Korolnik von der Israelitische Religionsgesellschaft Zürich. «Ich kann aber nur für meine Gemeinde sprechen, nicht für die ganze Schweiz oder Europa. An anderen Orten sieht das anders aus.»
In Basel werden Jüdinnen & Juden davor gewarnt, auf den Barfüsserplatz zu gehen. In EU gibt es übelste antisem. Vorfälle. Die CH-Politik schweigt, beides muss ich meinen Kindern erklären. Bitte sende ein Herz, damit wir wissen, dass wir nicht alleine sind #SayNoToAntisemitism
Doch auch wenn es keine verbalen oder gar tätlichen Angriffe gegeben hat, ist Korolnik nicht unbedarft: «Wir sind vorsichtiger und halten die Augen doppelt und dreifach offen.«Die Zusammenarbeit mit den Behörden sei «ausgezeichnet», lobt der Anwalt. Ins selbe Horn stösst Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes: «Der Kontakt zu den Behörden ist eigentlich immer gut. Wir fühlen uns ernst genommen.»
Das sei aber auch nichts Neues: «Es ist ja leider traurige Realität, dass wir – nicht erst seit gestern – mehr Sicherheit benötigen.» Geändert habe sich das Sicherheitsgefühl der Gemeinde nicht, sagt Kreutner: «Wir sind als jüdische Gemeinschaft aber verstärkt aufmerksam und alarmiert. Natürlich ist man in einer Situation, in der in Israel so ein Konflikt herrscht oder wenn man sieht, was in Deutschland passiert, auch ein bisschen vorsichtiger.»
Warum es in der Schweiz anders läuft
Die Kontrolle in Basel sei in dem Zusammenhang «Routinemassnahme»: «Das macht man immer. Insofern sind die Massnahmen auch dieselben wie immer, aber gleichzeitig ist man natürlich schon aufmerksamer.» Im Vergleich stehe die Schweiz aber noch gut da: «Der Blick nach Deutschland macht einem schon ein bisschen Angst.»
Kreutner konkret: »Dass Leute nicht differenzieren zwischen dem Konflikt im Nahen Osten und jüdischem Leben in Deutschland und jüdischen Menschen dort den Tod wünschen, ist erschreckend. Diese Juden haben keinen Einfluss auf diesen Konflikt und können nichts ausrichten. Sie werden in Geiselhaft genommen, weil sie Freunde und Familie in Israel haben. Sie werden auf übelste Art mit Antisemitismus eingedeckt und Synagogen werden angegriffen. Das ist wirklich sehr bedenklich.»
Warum funktioniert das Zusammenleben der Konfessionen hierzulande so viel besser? «In der Schweiz haben wir schon vor langer Zeit zum Dialog zwischen Juden und Muslimen aufgerufen», erklärt sich Kreutner die Unterschiede. «Wir wollen nicht, dass der Konflikt im Nahen Osten unsere Beziehungen stört. Glücklicherweise gab es bisher keine Ausfälligkeiten, glücklicherweise wurde die Beziehung bisher nicht überschattet und wir wollen auch nicht, dass das hier passiert – und dafür werden wir uns auch einsetzen.»