Pille gegen HIV Dass Krankenkassen Sex ohne Kondom berappen, erregt die Gemüter

aru

5.12.2023

Im Gegensatz zu Prep bieten Kondome auch Schutz vor anderen Geschlechtskrankheiten.
Im Gegensatz zu Prep bieten Kondome auch Schutz vor anderen Geschlechtskrankheiten.
Peter Endig/dpa-Zentralbild/dpa

Bald bezahlt die Krankenkasse die Prep-Pille, die vor einer HIV-Infektion schützt. Doch ist es wirklich Aufgabe der Krankenkasse, für Sex ohne Kondom zu bezahlen? Die Politik ist sich uneinig.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Krankenkasse übernimmt ab Sommer 2024 die Kosten für die HIV-Präventionspille Prep.
  • Vertreter*innen der Krankenkassen üben Kritik an diesem Entscheid und appellieren an die Eigenverantwortung der Risikopersonen.
  • Auch die Politik ist sich nicht einig. Während die SVP eine Ausweitung des Leistungskatalogs kritisiert, finden die Grünen die Neuerung sinnvoll.
  • Expert*innen gehen davon aus, dass sich die Kostenübernahme der Pille auch langfristig rentiere.

Ab kommendem Sommer übernimmt die Krankenkasse die Kosten für die Prep-Pille. Dabei handelt es sich um ein Medikament, das vor einer Ansteckung mit dem HI-Virus schützt. 

Auf den Entscheid des Bundesrats reagiert Santésuisse, einer der Dachverbände der Krankenkassen, empört: «Es kann nicht sein, dass die Prämienzahler teure Medikamente finanzieren, obwohl sich eigentlich jeder selber schützen kann», sagte der stellvertretende Direktor Christoph Kilchenmann zur «NZZ am Sonntag».

Wie die Zeitung schreibt, übernimmt die Krankenkasse auch dann die Kosten für die Pille, wenn Männer ins Bordell gehen und dort kein Kondom anziehen wollen.

Bei Prep handelt es sich um ein relativ neues Medikament, das vorwiegend von Homosexuellen genutzt wird, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen. Eingenommen werden muss es einige Tage vor und nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr, damit es seine Wirkung entfaltet. In der Schweiz nehmen zwischen 5000 und 8000 Menschen Prep, eine Monatspackung kostet 65 Franken. Die «NZZ am Sonntag» rechnet vor, dass bei 8000 Nutzern rund 6 Millionen Franken Kosten pro Jahr entstünden.

SVP kritisiert den Ausbau des Leistungskatalogs

Die Meinungen von Politiker*innen zum Thema gehen auseinander. Einerseits finde sie sämtliche Möglichkeiten, sich vor HIV zu schützen, gut, sagt SVP-Nationalrätin Martina Bircher zu «20 Minuten». Schlecht finde sie aber einen weiteren Ausbau des Leistungskatalogs der Krankenkassen.

Dass die Allgemeinheit nun dafür bezahlen solle, dass Männer Sex ohne Kondom haben, sei nicht in Ordnung, findet Bircher: «Der Bund hat grosse Anstrengungen unternommen, um gegen sexuell übertragbare Krankheiten mit Kondomen vorzugehen. Das Medikament könnte dem entgegenwirken.» Denn es gebe ja nicht nur HIV, sondern auch andere sexuell übertragbare Krankheiten, gegen die nur das Kondom gut schütze.

Martina Bircher sitzt für die Aargauer SVP im Nationalrat und ist hinsichtlich eines Ausbaus des Leistungskatalogs der Krankenkassen skeptisch.
Martina Bircher sitzt für die Aargauer SVP im Nationalrat und ist hinsichtlich eines Ausbaus des Leistungskatalogs der Krankenkassen skeptisch.
KEYSTONE

Kondom bleibt weiterhin wichtig

Anders sieht dies die Zürcher Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber: «Männer, die ihre Verantwortung nicht übernehmen wollen, gibt es leider immer. Es ist immer noch besser, wenn sie das Medikament nehmen, als dass sie dann HIV bekommen.» Daher unterstütze sie den Entscheid des Bundesrates. Wegen der anderen sexuell übertragbaren Krankheiten bleibe das Kondom aber weiterhin wichtig.

Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber begrüsst den Entscheid des Bundesrats.
Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber begrüsst den Entscheid des Bundesrats.
KEYSTONE

Ebenfalls für die Neuerung sind mehrere Fachstellen, etwa Aidshilfe Schweiz, Sexuelle Gesundheit Schweiz oder Procore, das nationale Netzwerk zur Verteidigung der Interessen von Sexarbeitenden.

«Wir müssen weiterhin gute Aufklärungsarbeit leisten, gratis Schutzmittel zur Verfügung stellen und die Gesundheitsversorgung für Sexarbeitende sicherstellen. Die Befürchtung, dass jetzt hordenweise Männer auf Kondome verzichten und sich stattdessen Prep verschreiben lassen, zielt aber ebenfalls völlig an der Realität vorbei», sagt Rebecca Angelini, Geschäftsleiterin von Procore.

Barbara Berger ist Geschäftsleiterin von Sexuelle Gesundheit Schweiz und sagt zu «20 Minuten»: «Die Aussage, man bezahle so für Männer, die Sex ohne Kondom haben, ist mir zu moralisch.» Fakt sei: Seit 40 Jahren werde darüber aufgeklärt, dass beim Sex ein Kondom zwingend sei. «Und trotzdem gibt es noch HIV-Ansteckungen. Also funktioniert das offensichtlich nicht bei allen. Und genau dort setzte man jetzt mit der Kostenübernahme für Prep an.»

Die Rechnung gehe auf

Auch hinsichtlich der Kosten ergebe die Neuerung durchaus Sinn. Denn jährlich würden sich zwischen 300 und 400 Menschen in der Schweiz mit HIV infizieren, sagt Berger. Pro Patient kostet die lebenslange Behandlung rund eine Million Franken. Bei angenommenen jährlichen Ausgaben von rund 6 Millionen Franken gehe die Rechnung auf: «Schon mit sechs verhinderten Ansteckungen hat sich die Investition also gelohnt. Und das Ziel ist, bis 2030 gar keine Infektionen mehr zu haben.»

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