Leerstehende Wohnungen Oft wird dort gebaut, wo keiner wohnen möchte

Von Gil Bieler

5.10.2020

In städtischen Räumen ist der Wohnungsmarkt gemäss Bund angespannt. (Symbolbild)
In städtischen Räumen ist der Wohnungsmarkt gemäss Bund angespannt. (Symbolbild)
Bild: Keystone

In der Coronakrise ächzen viele Mieter unter dem Mietzins. Der Mieterinnen- und Mieterverband fordert deshalb einen besseren Kündigungsschutz. Gleichzeitig stehen immer mehr Wohnungen leer. 

Während der Coronapandemie wachsen die finanziellen Sorgen bei Mieterinnen und Mietern hierzulande. So gaben in einer Umfrage des Mieterinnen- und Mieterverbands (MV) 43,6 Prozent der Teilnehmer an, sie hätten seit Beginn der Krise mehr Mühe, ihre Miete zu bezahlen.

Grund hierfür seien vor allem Einkommenseinbussen aufgrund der Pandemie, wie der MV am Montag mitteilte – etwa wegen Kurzarbeit oder einer (vorübergehenden) Schliessung des Geschäfts.

Der MV nennt die Ergebnisse der im September durchgeführten Online-Umfrage «beunruhigend». Es brauche nun einen verbesserten Kündigungsschutz – besonders für jene, die ihre Miete wegen Folgen der Pandemie nicht mehr bezahlen könnten. Eine solche Kündigung solle als unrechtmässig eingestuft werden. Auch brauche es ein Moratorium bei Wohnungsräumungen, solange die «besondere Lage» gelte.

Beim MV überlegt man derzeit, wie diese Forderungen durch parlamentarische Vorstösse eingereicht werden können – das sagt Natalie Imboden, Generalsekretärin Verbandes, auf Anfrage von «blue News».

«Für Vermieter ist das Risiko von Ausfällen sehr gross»

Beim Hauseigentümerverband (HEV) hält man dagegen: Die gesetzlichen Anforderungen für eine Kündigung wegen ausgebliebener Zahlungen seien bereits heute «streng und sehr formalistisch», erklärt Monika Sommer, stellvertretende Direktorin des Haus HEV, auf Anfrage.

«Bis ein Mieter, der seinen Mietzins nicht mehr bezahlt, die Wohnung tatsächlich verlässt, vergehen mindestens einige Monate. Für Vermieter ist daher in solchen Fällen das Risiko von Ausfällen sehr gross.» Für Sommer steht daher fest: «Eine weitere Erschwerung des Kündigungsrechts beim Ausbleiben der Mietzinszahlung wäre für Vermieter nicht zumutbar.»

Umfrage
Konnten Sie die Wohnungsmiete schon einmal nicht bezahlen?

Dass die Coronasituation für viele Mieterinnen und Mieter zum Problem wird, hielt auch das Bundesamt für Wohnungswesen in einem im Juli veröffentlichten Bericht fest: «Fast ein Viertel der Haushalte in der Schweiz lebt in einer unbefriedigenden Wohnsituation, (…) weil die Wohnkosten sie zu arg belasten oder weil die Wohnung Defizite aufweist», heisst es in dem Bericht. Arbeitslosigkeit erhöhe das Risiko, in eine solche unbefriedigende Wohnsituation abzurutschen, um 40 Prozent. 

Angespannter Wohnungsmarkt in den Städten

Gleichzeitig steigt die Zahl leerstehender Wohnungen weiter: Im Vergleich zum Vorjahr sind weitere 3'449 Wohnungen unbewohnt – das zeigen die heute Montag vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten Zahlen. Anfang Juni 2020 zählte das BFS schweizweit 78'832 Leerwohnungen. Dies entspricht 1,72 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes (einschliesslich Einfamilienhäuser). Die Unterschiede sind regional jedoch sehr ausgeprägt. 

Zum selben Schluss kommt das Bundesamt für Wohnungswesen im erwähnten Bericht. Auf Anfrage erklärt Lukas Walter, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Amt: «In Kantonen wie Genf, Zug oder Zürich liege die Leerwohnungsziffer immer noch unter 1,0 Prozent, was auf einen angespannten Wohnungsmarkt schliessen lässt.» Dagegen stünden in den Kantonen Solothurn, Tessin, Aargau und Jura über 2,5 Prozent der Wohnungen leer, was auf ein Überangebot hinweise. Der schweizerische Durchschnittswert von 1,7 Prozent stehe aber «eigentlich für einen gut funktionierenden Wohnungsmarkt».



Dass immer mehr Wohnungen leer stehen, ist für Natalie Imboden ein Zeichen dafür, «dass an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigebaut wird». Statt günstiger Wohnraum in den Städten werde im hohen Preissegment und eher ländlich gebaut. «In allen Städten herrscht Wohnungsnot.»

In der Coronakrise komme hinzu, dass viele Menschen nicht umziehen wollten oder könnten – respektive, dass niemand mehr von ennet der Grenze in die Schweiz ziehe. Imboden kritisiert, dass gerade Pensionskassen Immobilien als Anlagemöglichkeit sähen. Es werde zu selten für die realen Bedürfnisse der Menschen gebaut.

Wo die Nachfrage gross ist, gibt es kein Bauland

Als einen Grund für die steigende Zahl von leerstehenden Wohnungen nennt man beim HEV «die nach wie vor rege Bautätigkeit, namentlich im Mietwohnungsbereich». Wegen der tiefen Zinsen würden Investitionen in den Mietwohnungsbau als attraktiver angesehen als alternative Investitionsformen. Für Mieterinnen und Mieter habe das den Vorteil, dass sie mehr Wohnungen zur Auswahl hätten.

Jedoch heisst es auch beim HEV: «Teilweise werden Wohnungen dort gebaut, wo die Nachfrage nicht vorhanden ist.» Was aber auch daran liege, dass dort, wo die Nachfrage am grössten sei, der Bau neuer Wohnungen nicht oder nur erschwert möglich sei, erklärt Monika Sommer – weil es kein freies Bauland gebe oder aufgrund von Bauvorschriften.

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