Wanderunfälle auf dem Alpstein Experte läuft es angesichts der Mängel «kalt den Rücken runter»

aru

2.8.2022

Das Kult-Lokal Aescher am Alpstein ist sehr beliebt. Das zieht auch Wanderer*innen an, die ohne viel Erfahrung im Rucksack anreisen.
Das Kult-Lokal Aescher am Alpstein ist sehr beliebt. Das zieht auch Wanderer*innen an, die ohne viel Erfahrung im Rucksack anreisen.

Innert weniger Wochen starben vier Menschen im Alpstein-Wandergebiet. Während Experten drastische Mängel an den Wegen sehen, bleiben Behörden untätig. Der Staatsanwaltschaft sind die Hände gebunden.

aru

2.8.2022

Die Unfälle im Alpstein häufen sich: Vor zwei Wochen verunfallten zwei Personen an ein und derselben Stelle im Wandergebiet zwischen Kult-Restaurant Aescher und Seealpsee. Heute verunfallte eine Mutter mit ihrer fünfjährigen Tochter tödlich zwischen Aescher und Altenalp. Sind die Wander*innen selbst schuld oder das anspruchsvolle Terrain?

Im Wandergebiet treffen enge Wege auf steile Abstiege. Für Patricia Cornali, Sprecherin des Verbands Schweizer Wanderwege, ist das Alpsteingebiet jedoch nicht gefährlicher als andere Wandergebiete, wie sie auf Anfrage von blue News erklärt. «Es ist jedoch nachvollziehbar, dass dies so wahrgenommen wird: Bei Wanderinnen und Wanderer sowie ausländischen Gästen ist die Region besonders beliebt.» Besonders bei Tourist*innen würden die Anforderungen an Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Fitness oftmals nicht ausreichend erfüllt.

Wandern ist Volkssport

Trotz Meldungen von Bergunfällen erfreut sich Wandern grosser Beliebtheit. 2019 wanderten 57 Prozent der Schweizer Bevölkerung über 15 Jahren regelmässig. Laut Patricia Cornali vom Verband Schweizer Wanderwege waren es sieben Jahre zuvor noch zwölf Prozent weniger. Das hat Folgen: «Wir beobachten, dass es verhältnismässig auch mehr unerfahrene Wanderinnen und Wanderer gibt, die nicht über das notwendige Wander-Know-how verfügen.»

Doch liegt es tatsächlich in der alleinigen Verantwortung der Wander*innen? Wanderexperte Ruedi Spiess sagt Nein. Denn für das «St. Galler Tagblatt» analysierte er den baulichen Zustand des Wegs. Spiess habe bereits tausend Kilometer Wanderweg auf ihre Sicherheit geprüft und führt Kurse zu Bau und Unterhalt von Wanderwegen durch.

«Wenn so oft Unglücke passieren, kann das nicht allein die Schuld der Wanderer sein. Da muss mehr dahinter stecken», sagt er zur Zeitung.

Der Fachmann untersuchte einzelne Passagen des Wanderwegs und sah mehrfach sofortigen Handlungsbedarf. So weise der Weg viele Stolperfallen, wie lose Steine, herausragende Armierungseisen und lose Tritt-Elemente auf. Der Zahn der Zeit habe den baulichen Elementen deutlich zugesetzt, sagt der Experte weiter. Dies, besonders bei Wegpassagen, wo es wenige Meter nebenan rund 100 Meter in die Tiefe gehe. «Da läuft es mir kalt den Rücken runter.»

Bezirksrat sieht keinen Handlungsbedarf

Bereits die Signalisation sei problematisch. Denn beim berühmten Berggasthaus Aescher, das durch die sozialen Medien weltweite Bekanntheit erlangt hat, ist eine gelbe Signalplatte für Wanderweg angebracht. Der Weg sei aber ein weiss-rot-weisser Bergwanderweg. Die Behörden müssten mit baulichen Massnahmen den Weg entschärfen und zu einem harmlosen, gelben Wanderweg zu machen.

Der für den Weg verantwortliche Bezirksrat Sepp Manser sieht aber keinen Handlungsbedarf. «Natürlich ist jeder Unfall auf unseren Wanderwegen ein Unfall zu viel. Doch soll dieser Bergwanderweg meiner Meinung nach ein Bergwanderweg bleiben. Betonieren kommt gar nicht infrage», sagt er zur Zeitung.

Auch das Anbringen von Geländern, wie es der Experte oberhalb der Felswand bei Düschrennen empfiehlt, hält Manser für keine Option. «Wenn wir diesen Weg so absichern, denken die Touristen am Ende noch, alle Bergwanderwege im Alpstein wären so leicht zu begehen – und das sind sie halt einfach nicht.»

Staatsanwaltschaft sieht keine Mängel

Stirbt ein Mensch bei einem Bergunfall, ermittelt die Staatsanwaltschaft automatisch nach den Gründen für den Tod. Wären schlechte Wanderwege der Grund für die Unfälle, könnten die Betreiber*innen – also die Gemeinden – strafrechtlich verfolgt werden. Tatbestände der fahrlässigen Tötung oder schweren Körperverletzung kommen dabei infrage.

Der Appenzeller Staatsanwalt Roland Klinger sagt zu blue News, dass er zu den laufenden Ermittlungen der jüngsten Todesfälle keine Auskunft geben könne. «Bei abgeschlossenen Ermittlungen kamen wir bislang nicht zum Schluss, dass Unfälle auf unsichere Wanderwege zurückzuführen waren.»

Dennoch: «Die exakte Ursache bei Unfällen im Alpstein kann selten geklärt werden, zumal selten objektive Beweise wie Aufnahmen oder direkte Augenzeugen vorhanden sind», sagt Klinger. Stürzte die Person, weil es ihr körperlich nicht gut ging, weil sie das falsche Schuhwerk trug, oder stolperte sie über die eigenen Füsse? «Diese Fragen bleiben in der Regel unbeantwortet.»

Laut «St. Galler Tagblatt» will der Bezirksrat am 18. August mögliche Massnahmen besprechen. Wanderweg-Experte Spiess könne das zögerliche Verhalten nicht verstehen.