Todesfälle 2022 Expert*innen rätseln über rekordhohe Übersterblichkeit

smi

28.10.2022

2022 könnte das Jahr mit den meisten Todesfällen in der Geschichte der Schweiz werden.
2022 könnte das Jahr mit den meisten Todesfällen in der Geschichte der Schweiz werden.
KEYSTONE

2022 sind in der Schweiz ungewöhnlich viele Menschen gestorben. Eine schlüssige Erklärung gibt es dafür nicht. Ein Epidemiologe vermutet, dass das Coronavirus trotz tiefer Infektionszahlen dafür verantwortlich sein könnte.

smi

28.10.2022

2022 könnte das Jahr werden, in dem in der Schweiz mehr Menschen sterben als je zuvor. In 24 der bisher 41 Wochen dieses Jahres ist die Zahl der Todesfälle höher als im langjährigen Durchschnitt. Die Expert*innen haben bislang keine Erklärung dafür, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt.

Für die Übersterblichkeit verantwortlich sind die über 65-Jährigen. Corona allein erklärt das Phänomen nicht, hat aber sicher einen Einfluss. 2022 ist die Zahl der Covid-19-Verstorbenen im Vergleich zu den Vorjahren tief. Der Epidemiologe Martin Röösli bezweifelt aber, dass die Zahlen des BAG seit Mai die Situation realistisch abbilden. Viele könnten ohne Diagnose als Folge einer Corona-Infektion gestorben sein.

In den Jahren 2020 und 2021 kehrten die Zahlen der wöchentlichen Todesfälle immer wieder in den Durchschnittsbereich (graues Band) zurück. Anfang 2021 gab es sogar unterdurchschnittlich viele Todesfälle. 2022 liegen die Zahlen mehrheitlich darüber.
In den Jahren 2020 und 2021 kehrten die Zahlen der wöchentlichen Todesfälle immer wieder in den Durchschnittsbereich (graues Band) zurück. Anfang 2021 gab es sogar unterdurchschnittlich viele Todesfälle. 2022 liegen die Zahlen mehrheitlich darüber.

Auch das BAG vermutet gemäss Tages-Anzeiger «eine Abnahme der Melde-Compliance» und dass es sein könne, dass weniger getestet werde. Seit Omikron die dominierende Variante ist, sterben gemäss BAG weniger Menschen im Spital an einer Corona-Infektion. Gut möglich also, dass einige zu Hause Verstorbene eigentlich Corona-Todesfälle sind, aber nicht als solche in die Statistik eingingen.

Fordert das Coronavirus unerkannt weiter Opfer?

Röösli führt aus, dass Covid-19 Menschen auch nach der Genesung anfälliger für andere Krankheiten machen, insbesondere Herz-Kreislauf-Beschwerden. Die anhaltende Hitze dieses Sommers sei sicher eine weitere Ursache.

Der Epidemiologe des Schweizerischen Tropeninstituts vermutet, dass auch die Kombination von Covid mit weiteren gesundheitlichen Herausforderungen eine Rolle spiele. So könnte die durchgemachte Infektion dazu geführt haben, dass Senior*innen die Hitze nicht verkrafteten oder empfindlicher auf Infekte und andere Ereignisse reagierten.

Selbst der Mangel an Pflegepersonal und die schlechtere medizinische Versorgung könnten gemäss Röösli zu der Übersterblichkeit beigetragen haben.

In der Schweiz werden laut «Tages-Anzeiger» keine Zahlen erhoben, die den Zusammenhang mit Corona-Infektionen zeigen könnten. Es ist aber plausibel, dass das Virus auch hierzulande massgeblichen Anteil an der erhöhten Mortalität hat. Seit Beginn der Corona-Pandemie steigt und sinkt die Sterblichkeit parallel zu den Infektionswellen.

Booster-Impfung könnte Todesfälle verhindern

In Singapur zeigt die Statistik, dass die dortige, aktuelle Übersterblichkeit ausschliesslich von Covid-Kranken ausgelöst wird – sei es, dass sie an der Krankheit selber gestorben sind oder an einer ihrer Folgen.

Es ist allgemein bekannt, dass ein aktueller Impfschutz die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs und damit die nachhaltige Schädigung der Gesundheit vermindert. Laut BAG haben im Herbst 2022 33 Prozent der über 80-Jährigen und 16 Prozent der Menschen über 70 ihre Impfung aufgefrischt.

Die Frage ist also, wie viele Todesfälle sich in der Schweiz mit mehr Booster-Impfungen hätten verhindern lassen und ob nicht eine Intensivierung der aktuellen Kampagne angezeigt wäre.

Martin Röösli kritisiert, dass die aktuelle Übersterblichkeit in der Schweiz nicht breiter diskutiert wird. Wären die genaue Todesursache und Impfstatus bei allen Verstorbenen bekannt, liesse sich die Ursache für die Häufung der Todesfälle erkennen und damit bekämpfen.