Krawalle in St. Gallen «Die Polizei stellt eine Generation unter Generalverdacht»

Von Gil Bieler und Lukas Meyer

9.4.2021

Am vergangenen Freitag kam es in St. Gallen zu Ausschreitungen.
Am vergangenen Freitag kam es in St. Gallen zu Ausschreitungen.
Bild: KEYSTONE

In St. Gallen hat die Polizei am Sonntag 500 Wegweisungen ausgesprochen. Die meisten Jugendlichen hielten sich an die Regeln, finden Jungparteien und die Jugendarbeit.

Von Gil Bieler und Lukas Meyer

9.4.2021

Mit scharfen Worten kritisiert die Juso St. Gallen auf ihrer Website das Vorgehen der Polizei vom vergangenen Sonntag: «Auch wir verurteilen die Gewalt und Sachbeschädigung, aber das rechtfertigt nicht, dass die Stadtpolizei nun eine ganze Generation unter Generalverdacht stellt.»

Auf Anfrage von «blue News» führt Präsidentin Anna Miotto aus: «Viele Jugendliche sind empört, dass die Polizei solch repressive Massnahmen anwendet, um die Ausschreitungen verhindern zu können. Es kann doch nicht sein, dass aufgrund von 30 bis 50 gewalttätigen Personen nun eine ganze Generation eingesperrt wird.»

Die Vorverurteilungen und der Generalverdacht machten wütend. «Viele erfuhren polizeiliche Repression ohne Grund, was auch psychisch sehr belastend sein kann», so Miotto weiter. Die Jungpartei bietet Hilfe für Personen an, die sich zu Unrecht weggewiesen fühlen. Miotto erklärt dazu: «Wir hatten Kontakt mit einigen, aber genaueres möchten wir dazu nicht sagen.»

«Ich kam mir vor wie im falschen Film»

Angehalten und kontrolliert wurde Sarah Bünter, Präsidentin der Jungen Mitte und in St. Gallen zu Hause, noch nie. Sie findet aber: «Das Vorgehen der Polizei ist nach allem, was passiert ist, gerechtfertigt.» Diese habe immer offen über ihr Vorgehen informiert, und wer finde, eine Wegweisung sei ungerechtfertigt erlassen worden, könne sich wehren. Es müsse nun aber darum gehen, weitere Gewalt und Schäden für Ladenbesitzer*innen zu vermeiden. «Denn diese müssen am Ende die Allgemeinheit tragen.»

An den Ostersonntag erinnert sich Bünter noch gut: «Ich bin mit dem Zug in St. Gallen angekommen und kam mir vor wie im falschen Film.» Die Polizei habe zwar im Voraus angekündigt, dass sie Präsenz markieren und Kontrollen durchführen werde. «Aber wenn man dann Polizisten mit Schutzschildern sieht und Polizeihelikopter am Himmel dröhnen hört, ist das schon ein spezielles Gefühl.»

Die HSG-Studentin ist enttäuscht über das Verhalten, das einige ihrer Altersgenoss*innen an den Tag gelegt haben. «Das war wirklich ein Tiefpunkt.» Auch ihr Umfeld rege sich über die Chaoten auf. «Und es ist frustrierend, dass nun alle in einen Topf geworfen werden. Dass es heisst, ‹die Jungen› machen Krawall. Denn die meisten halten sich an die Regeln.»

Dass es viele Probleme gibt, die der Klärung bedürfen, stellt Bünter nicht infrage. Die Junge Mitte hat daher zusammen mit anderen Jungparteien am Montag einen offenen Brief an den Bundesrat veröffentlicht, in dem sie in der Corona-Politik mehr Mitspracherecht für die junge Generation einfordern. «Wir warten aber noch auf eine Antwort.»

«Da hätte man eine differenzierte Lösung wählen müssen»

«Ich kenne niemanden, der diese Krawalle gutheisst», sagt auch Joel Mäder, Präsident der Jungfreisinnigen St. Gallen. «Ich verstehe zwar, dass sich in der Pandemie Frust anstauen kann, denn der Alltag ist so eintönig geworden. Aber das entschuldigt dieses Verhalten in keinster Weise.» Irritierend findet der HSG-Student vor allem, dass Ladenbesitzer*innen zur Zielscheibe der Vandalen geworden seien. «Diese leiden ja ebenfalls unter den Corona-Massnahmen.» Vom Bundesrat erhofft sich Mäder nun rasch Klarheit, wie es mit den Lockerungen weitergeht. Die Menschen bräuchten eine Perspektive.

Dass die Polizei am Ostersonntag rigoros durchgriff und Hunderte Wegweisungen aussprach, findet Mäder in Ordnung. «Die Szenen vom Karfreitag waren heftig und die Polizei hatte nur eine kurze Vorbereitungszeit.» Er versteht aber nicht, wieso gleich in allen Fällen eine Wegweisung für 30 Tage ausgesprochen wurde: «Es gab auch Leute, die am Bahnhof umsteigen mussten und nur deshalb in St. Gallen waren. Da hätte man eine differenzierte Lösung wählen müssen.»

«blue News» hat Mäder an der Universität St. Gallen erreicht. Wird er am Abend in der Stadt unterwegs sein? «Nein, dann bin ich schon zu Hause in Goldach», sagt der Jungfreisinnige.

«Grosse Mehrheit will sich von Gewalt distanzieren»

Die Offene Jugendarbeit der Stadt St. Gallen dagegen geht in die Stadt, wie Abteilungsleiter Donat Richiger schildert: «Am Wochenende sind wir auf den Plätzen präsent, auf welchen sich die Jugendlichen aufhalten, und werden ihre Gefühlslage und Bedürfnisse abholen.» Man werde sie darauf hinweisen, das Stadtzentrum zu meiden: «Denn Zuschauer*innen vermitteln das Bild einer grossen Masse und geben den gewalttätigen Jugendlichen das Gefühl von Unterstützung.»

Zudem habe man die Solidaritätsaktion #takeastandsg ins Leben gerufen, wobei den Jugendlichen auch Buttons mit einem Peace-Zeichen verteilt werden. Damit könnten Jugendliche ein Statement für eine friedliche Stadt abgeben.

«Soweit wir dies mitbekommen, möchte sich die grosse Mehrheit der Jugendlichen von der Gewalt distanzieren», schildert Richiger seine Eindrücke. «Sie verurteilen diese und möchten nicht mit der Gewalt in Verbindung gebracht werden.»