Initiative zur IndividualbesteuerungWas Gleichberechtigung mit den Steuern zu tun hat
Von Anna Kappeler
13.10.2020
Heiraten – und dann als Frau weniger arbeiten, weil sonst mehr Steuern drohen? Die FDP-Frauen wollen das ändern und fordern: Beide Ehepartner sollen einzeln besteuert werden. Was Sie dazu wissen müssen.
Romantisch ist anders: Frisch vermählt, und peng – läuft das Paar in den Hammer der Heiratsstrafe. Die FDP-Frauen stören sich an dieser Vorstellung. Im Februar 2021 werden sie deshalb eine Volksinitiative zur Einführung der Individualbesteuerung einreichen. Ein «wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung» sei das, heisst es in der Medienmitteilung.
Moment. Was haben Steuern mit Gleichberechtigung zu tun?
Das aktuelle Steuersystem geht vom Familienbild des Einverdiener-Ehepaars und somit der klassischen Familie aus. Eheleute werden gemeinsam besteuert, ihre Einkommen zusammengerechnet. Geht auch der zweite Ehepartner arbeiten, steigt das Einkommen und das Paar rutscht in eine höhere Progressionsstufe. Durch die Heirat muss es nun überproportional mehr Steuern bezahlen. Fallen zusätzlich Kinderbetreuungskosten an, schmilzt ein Grossteil des Zweiteinkommens gleich wieder weg. In der Praxis ist die zweitverdienende Person noch heute oft die Frau, weil sie in der Tendenz weniger verdient als der Mann und häufiger Teilzeit arbeitet.
Geht es nach den FDP-Frauen, braucht es eine Systemänderung hin zur Einzelbesteuerung der Ehepartner. «Es kann nicht sein, dass das Arbeitsmarktpotenzial der gut ausgebildeten Frauen in der Schweiz aufgrund negativer finanzieller Anreize nicht ausgeschöpft werden kann», so Präsidentin Susanne Vincenz-Stauffacher in der Medienmitteilung. Studien stützen diese Aussage: Bis zu 60'000 Vollzeitstellen dürften so neu besetzt werden, schreibt die «NZZ am Sonntag».
Was heisst das in Zahlen?
Mit der Individualbesteuerung würde es sich beispielsweise für rund 300’000 Frauen lohnen, ihr Pensum um 20 Prozent zu erhöhen, sagt Vincenz-Stauffacher. Das entspräche jeder siebten berufstätigen Frau. Für die FDP-Frauen-Präsidentin ist das ganz im Sinne der Gesamtwirtschaft. Diese erhalte durch die Frauen mehr Fachkräfte, ohne sie im Ausland suchen zu müssen.
Was spricht gegen die Individualbesteuerung?
Über die Art der Besteuerung für Ehepaare streitet das Parlament schon rund 15 Jahre. 2014 und 2019 lehnte der Bundesrat einen Systemwechsel zur Individualbesteuerung ab, dies in Antworten auf Vorstösse aus dem Parlament. Der Bundesrat führte als Grund etwa eine Mehrbelastung für Einverdiener-Ehepaare auf, zudem drohten Steuermindereinnahmen sowie ein administrativer Mehraufwand.
Was sagt das Parlament?
FDP, SP und Grüne setzen auf die Individualbesteuerung, die SVP und die CVP wollen an der gemeinsamen Besteuerung von Ehepaaren festhalten. Gleichwohl wurde 2004 eine Motion der FDP-Fraktion mit dem Titel «Übergang zur Individualbesteuerung» in beiden Räten angenommen. Die FDP-Frauen stören sich laut Mitteilung daran, dass weitere Schritte des Bundesrats gleichwohl ausblieben. FDP-Nationalrätin Christa Markwalder doppelte deshalb 2019 mit der Motion «Individualbesteuerung endlich auch in der Schweiz einführen» nach.
Der Bundesrat hatte kein Gehör. Seine Begründung: «Die Vorlage zur ausgewogenen Paar- und Familienbesteuerung ist zurzeit im Parlament hängig. Die eidgenössischen Räte können im Rahmen dieser Beratung über die Modellwahl bei der Ehepaarbesteuerung befinden.» Im Parlament wurde dieser Vorstoss noch nicht beraten.
Was hat die Volksinitiative der CVP zur Heiratsstrafe damit zu tun?
Zwar will auch die CVP die Heiratsstrafe abschaffen, aber eine gemeinsame Veranlagung von Ehepaaren weiterhin festschreiben. Bei Annahme der Initiative wäre eine Einführung der Individualbesteuerung ohne Verfassungsänderung nicht mehr möglich. Die Initiative der FDP-Frauen ist deshalb ein direkter Angriff auf die CVP-Initiative. Zur Erinnerung: Deren Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» scheiterte 2016 knapp an der Urne. Das Bundesgericht hat sie dann aufgrund falscher Zahlen des Bundes in einem historischen Entscheid für ungültig erklärt. Wohl ebenfalls nächstes Jahr wird erneut darüber abgestimmt.
Kritik kommt – wenig verwunderlich – von der CVP. «Die Individualbesteuerung bringt nur neue Ungerechtigkeiten», sagte deren Ständerat Pirmin Bischof der «NZZ am Sonntag». Die Individualbesteuerung diskriminiere Ehepaare mit nur einem Einkommen und bestrafe damit die klassische Familie.
«Wir teilen das Anliegen», sagte dagegen GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy der Zeitung. Sie ist Co-Präsidentin des Frauendachverbands Alliance F. Der Bundesrat habe den klaren Auftrag, eine Vorlage dazu ins Parlament zu bringen.
Bleibt die Frage: Warum kommt die Volksinitiative erst 2021?
Das ist kein Zufall. 2021 feiert die Frauenbewegung einen historischen Geburtstag. Am 7. Februar 2021 ist es 50 Jahre her, dass auch in der Schweiz für Frauen das Stimm- und Wahlrecht eingeführt wurde. Es sei dies «ein liberaler Beitrag» zu diesem Datum.