Hunger im Jemen Hunger im Jemen: Wie eine Mutter verzweifelt um ihren Sohn kämpft

Maggie Michael, AP

4.5.2018

Menschen leiden Hunger. 
Menschen leiden Hunger. 
Nariman El-Mofty/AP/dpa

Seit drei Jahren tobt ein Bürgerkrieg im Jemen. Lebensmittel werden immer knapper. Leidtragende sind vor allem Kinder, wie das traurige Schicksal des kleinen Fadl zeigt.

Die Beine des Babys zucken unter Schmerzen, der kleine Junge weint. Aber er ist so dehydriert, dass seine Augen keine Tränen produzieren können. Der Bauch ist aufgebläht und gespannt wie ein Ballon. Jede einzelne Rippe ist zu sehen, wenn er heftig atmet. Das Video, das ein Arzt aufgenommen hat, zeigt den acht Monate alten Fadl. Er hat keine Krankheit, sondern steht kurz vor dem Hungertod.

Seit 2015 herrscht im Jemen Bürgerkrieg. Huthi-Rebellen kontrollieren den Norden des Landes. Eine von Saudi-Arabien angeführte und von den USA unterstützte Koalition versucht vor allem mit massiven Luftangriffen, die Aufständischen zu besiegen und die jemenitische Regierung wieder an die Macht zu bringen.

Die Menschen sind in Not, Nahrung wird in vielen Teilen des Landes knapp. Etwa 400 000 Kinder leiden unter akuter Unterernährung, erkennbar an den aufgeblähten Bäuchen und den ausgemergelten Armen - ein Zeichen dafür, dass der Körper sich selbst auffrisst, weil er keine Nährstoffe und Proteine erhält. Neben den 400'000 Kindern sind etwa 2,9 Millionen Frauen und Kinder mangelernährt.

Fadls Mutter Fatma Halabi erinnert sich an das Leben vor dem Krieg. Sie wohnte in der Region Mowsa nahe der Küste am Roten Meer. Ihr Mann arbeitete als Holzfäller, das Geld reichte, damit die Familie oft Fisch und Gemüse zu essen hatte.

Mowsa war die meiste Zeit des Krieges in der Hand der Rebellen. Im vergangenen Jahr starteten die Regierungstruppen jedoch eine Offensive. Die Kämpfe und Luftangriffe vertrieben die Zivilbevölkerung und Halabi wurde in den Kriegswirren von ihrem Mann getrennt. Mit vier Kindern und zwei Ziegen machte sie sich auf den Weg durch das wüste und ausgetrocknete Grosse Tal, das zur Stadt Motscha am Roten Meer führt.

Halabi und ihre Kinder suchten in den dornigen Büschen Schutz vor den Angriffen, während sich die Front immer wieder verschob. An einem Tag im April 2017 setzten die Wehen ein. Allein brachte sie Fadl unter einem Baum zur Welt.

Ihr Mann stiess später wieder zur Familie, sie liessen sich in einer verlassenen Hütte im Tal nieder. Halabi spricht in kurzen, gehetzten Sätzen. «Mehl», antwortet sie auf die Frage, was sie gegessen habe. Immer wieder rutscht ihr das blaue Kleid von den ausgemergelten Schultern. «Wir bleiben geduldig. Wir müssen die Kinder ernähren», sagt sie. Oft ist das Frühstück die einzige Mahlzeit am Tag für sie und ihren Mann. Wenn sie Hunger bekommt, legt sie sich hin und versucht zu schlafen.

Weil sie Fadl nicht stillen konnte, gab sie ihm Ziegen- oder Kamelmilch. Der aber fehlen die Nährstoffe, die in Muttermilch oder Babynahrung enthalten sind. Immer wieder bekam Fadl Fieber und Durchfall. Mehrfach lieh sie sich Geld, um mit ihrem kleinen Jungen ins Krankenhaus nach Motscha zu fahren.

Dort wurden in den vergangenen zehn Monaten rund 600 Fälle von Mangelernährung erfasst. Doch die Vorräte sind so knapp, dass es sogar an Kopfschmerztabletten fehlt, wie ein Arzt berichtet. Keiner der Mediziner sei für den Umgang mit Unterernährung ausgebildet. Indes steigt die Zahl der Flüchtlinge in Motscha unaufhörlich.

Wenn Mangelernährung nicht behandelt wird, verliert der Körper seine Vorräte an Kohlehydraten, Fetten und Proteinen. Dem Gehirn fehlt die Energie, das Herz schrumpft, die Haut wird porös und macht den Körper anfällig für Infektionen. Leber und Niere arbeiten nicht mehr richtig, Giftstoffe breiten sich im Körper aus und führen zu einem verhängnisvollen Kreislauf.

Fadl war am 29. November das letzte Mal im Krankenhaus. Mit acht Monaten wog er 2,9 Kilo, etwa ein Drittel des Normalgewichts. Sein Oberarm hatte einen Umfang von gerade einmal sieben Zentimetern. Weil seine Eltern einen längeren Krankenhausaufenthalt nicht bezahlen konnten, nahmen sie ihn wieder mit nach Hause. Kurz darauf starb der Junge in den Armen seiner Grossmutter. Seine völlig entkräfteten Eltern schliefen gerade auf dem Boden, als er seinen letzten Atemzug tat.

Die einzigen Bilder aus Fadls kurzem, von Hunger und Schmerzen geprägten Leben sind die Videoaufnahmen, die ein Arzt im Krankenhaus von ihm gemacht hat. «Manchmal wache ich morgens auf und mir fällt ein, dass er nicht mehr da ist. Dann fange ich an zu weinen», sagt Halabi. «Wer würde nicht um seine Kinder weinen?»

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