Niemand kennt ihn «Indio aus dem Loch» harrt seit 22 Jahren allein im Dschungel aus

AP

23.7.2018

Die Aufnahmen des Mannes stammen aus dem Jahr 2011. 
Die Aufnahmen des Mannes stammen aus dem Jahr 2011. 
Uncredited/Brazil's National Indian Foundation/dpa

Während Bauern und Holzfäller immer tiefen in die Amazonaswälder Brasiliens vordringen, versuchen Angehörige einheimischer Stämme ihre traditionelle Lebensweise fortzusetzen. Einer von ihnen schlägt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten ganz allein durch.

Der Mann hat seit Ewigkeiten keinen Kontakt zur Aussenwelt: Der Brasilianer lebt wohl seit 22 Jahren allein im Amazonasgebiet Brasiliens. Niemand kennt seinen Namen, keiner weiss, wo er herkommt. Wahrscheinlich sei er der letzte Überlebende seines Stammes, erklärt die Regierungsbehörde Funai, die indigene Bewohner des Landes schützt.

Jetzt veröffentlichte sie einige seltene Filmaufnahmen des Mannes, der im Staat Rondônia lebt: Auf verwackelten Bildern sieht man durch das Urwaldlaub, wie der Mann einen Baum fällt. Die Schläge seiner Axt hallen durch den Urwald, Vogelschreie sind zu hören. Die Aufnahmen stammen aus dem Jahr 2011. Zuvor hatte eine Zeitung berichtet, die einzigen Bilder des Einsiedlers habe ein Dokumentarfilmer in den 90er Jahren gemacht.

Eremit weckt Neugier

Die Funai versichert, es gebe weiter Lebenszeichen, Fussspuren etwa oder gefällte Bäume. Die letzten hätten Mitarbeiter im Mai entdeckt. Die Behörde habe lange gezögert, den Film zu veröffentlichen, sagt Koordinator Altair Algayer. Man habe ihn nicht um sein Einverständnis bitten können.

Andererseits könnten solche Bilder auf die Lage sogenannter unerreichbarer Menschen aufmerksam machen, die im Dschungel versuchen, Abstand zur Aussenwelt zu wahren. «Viele Menschen suchen dieses Video. Sie wollen wissen, was das für einer ist, wie man ihn sehen kann, ob er noch am Leben ist», sagt Algayer in einem Telefoninterview. «Ich denke, letzten Endes hilft es, das Gebiet zu schützen».

Behörde beobachtet Indio seit 1996

In Brasilien gibt es eine ganze Reihe «unerreichbarer» Menschen, die ebenso wie indigene Gruppen immer stärker von der wirtschaftlichen Erschliessung des Amazonasgebietes bedroht werden. Im vergangenen Jahr seien bei Auseinandersetzungen um Landbesitz 71 Menschen getötet worden, erklärt die brasilianische Weidelandkommission. Das seien so viele gewesen wie seit 2003 nicht mehr.

Die Funai beobachtet den Einsiedler in Rondonia seit 1996. Schon damals habe er allein gelebt, sagt Algayer. Er nimmt an, dass Übergriffe und Attacken von Bauern und Holzfällern den Stamm des Mannes seit den 1980er Jahren dezimiert haben. Seine letzten Angehörigen seien offenbar 1995 oder 1996 getötet worden.

Kontakt unerwünscht

«Wir wissen nicht, zu wem er gehört», sagt Algayer. Die Funai-Mitarbeiter, die den Urwaldbewohner beobachten, hätten ihm den Namen «Indio aus dem Loch» gegeben, weil er sich ein ungewöhnlich tiefes Loch gegraben habe. Der Mann sei wohl 55 bis 60 Jahre alt und bei guter Gesundheit. Das Gebiet, in dem er lebt, ist unter Schutz gestellt. Seit Jahren habe es kein Fremder mehr betreten, versichert die Funai.

Die Behörde hatte zunächst versucht, mit dem Waldbewohner Kontakt aufzunehmen, weil sie glaubte, er sei in Gefahr. Der Mann habe aber deutlich zu verstehen gegeben, dass er keinen Kontakt wolle, sagt Algayer. Deswegen habe die Funai ihre Versuche 2005 aufgegeben und lasse ihn in der Isolation leben.

Behördenvisite alle zwei Monate 

Etwa alle zwei Monate kommt ein Funai-Team in sein Territorium und sucht nach Lebenszeichen, um zu sehen, wie es ihm geht. Oft bekommen die Mitarbeiter ihren Schützling gar nicht zu Gesicht. Das letzte Mal haben sie ihn 2016 gesehen. Sie lassen ihm Werkzeuge und Samen da und können sehen, dass er Mais, Kartoffeln, Papayas und Bananen anbaut – ein Zeichen dafür, dass er noch am Leben ist.

Algayer sagt, der Mann habe bewiesen, dass er allein im Dschungel überleben könne und sich der modernen Gesellschaft nicht anschliessen müsse, selbst nachdem er alles verloren habe – seinen Stamm und einen grossen Teil seiner Kulturpraxis. «Ich glaube, er ist viel besser dran, als wenn er damals Kontakt aufgenommen hätte», sagt Algayer.

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