Verborgene Orte der Schweiz Verborgen im Untergrund: Zürich hat eine U-Bahn

von Silvana Guanziroli

23.5.2018

Zürichs Untergrund: Die City hat eine U-Bahn

Zürichs Untergrund: Die City hat eine U-Bahn

Sie liegt etwa 30 Meter unter dem Boden und führt von Zürich Oerlikon bis zum Universitätsspital. Was kaum jemand weiss: Zürich hat eine U-Bahn. Bluewin konnte mit dem Bähnli im Fernwärme-Stollen der Stadt eine Runde drehen.

11.05.2018

Sie rattert in bis zu 80 Metern Tiefe durch den Züriberg. Mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 10 Stundenkilometern. Von wegen Zürich hat keine U-Bahn: Hier ist der Beweis. In der Reporter-Serie «Verborgene Orte» steigt «Bluewin» hinab in den Untergrund der grössten Schweizer Stadt – und der ist nichts für empfindliche Nasen.

Dass kaum jemand von dieser Bahn weiss, hat mit ihrem Standort zu tun. Der Eingang zu Zürichs U-Bahn liegt verborgen auf dem Areal des Kehrichtheizkraftwerks Hagenholz in Zürich-Nord.

Im hintersten Winkel, versteckt hinter Anlieferstellen und den grossen Brennöfen, führt der Weg zu einer blauen Türe mit der Überschrift «Fernwärme». Und dieser Begriff gibt eine erste Idee, warum die Bahn in den 1970er Jahren überhaupt gebaut wurde.

Der Zug ist Teil eines Fernleitungskanals. Hier geht es um Energie und Wärme. Tatsächlich spürt man das sofort, wenn man in den Stollen hinuntersteigt. Oder anders gesagt: Die Hitze trifft einen wie der Schlag. Im Stollen steigen die Temperaturen bis über 50 Grad.

Marco Nieth, Produktionsassistent bei der Fernwärme Zürich, erklärt, warum das so ist: «Durch den Fernleitungskanal werden Rohre geführt, in denen wir Heisswasser und Dampf zu unseren Kunden transportieren.» Und diese Rohre strahlen die Hitze ab.

Der Stollen ist eng, die Rohre strahlen Hitze ab. Bei über 50 Grad ist der Aufenthalt im Fernwärmekanal nicht ganz ungefährlich.
Der Stollen ist eng, die Rohre strahlen Hitze ab. Bei über 50 Grad ist der Aufenthalt im Fernwärmekanal nicht ganz ungefährlich.
Bluewin

Die Energie dafür stammt aus dem Kehrichtheizkraftwerk. «Wir wandeln die Abwärme, die beim Verbrennen des Abfalls entsteht, in Heisswasser und Dampf um», so Nieth. Kurz: Der Abfall wird veredelt. 

Ehemalige Grubenlokomotive zieht die Bahn

Der Stollen wurde 1972 fertiggestellt und ist insgesamt sechs Kilometer lang. Er verbindet die Verbrennungsanlage mit dem Hochschulquartier am Züriberg. «Zu unseren Kunden gehört das Universitätsspital Zürich», so Nieth. «Dort werden mit unserer Energie täglich 4500 Mittagessen gekocht und das Operationsbesteck sterilisiert.» Auch das Universitätszentrum Irchel und die ETH sind an die Rohrleitungen angeschlossen. Insgesamt wird mit dem Abfall Energie für umgerechnet 170'000 Wohnungen produziert.

Marco Nieth auf seinem Kontrollrundgang im Stollen.
Marco Nieth auf seinem Kontrollrundgang im Stollen.
Bluewin

Die Bahn, ursprünglich eine Grubenlokomotive aus Deutschland, wurde zuerst für die Bauarbeiten am Stollen gebraucht. Heute steht sie für Kontrollfahrten im Einsatz. Nieth und seine Kollegen überprüfen alle zwei Wochen, ob die Rohre noch dicht sind. Die Arbeit ist für die Männer nicht ganz ungefährlich. «Wegen der Hitze ist die Tätigkeit erschwert. Wir legen deshalb regelmässig Pausen ein und trinken genug. Zudem sind wir immer zu zweit unterwegs», so Nieth. 

Die Fahrt vom Anfang bis zum Ende des Tunnels dauert rund eine Stunde. Bis jetzt kam es noch nie zu Komplikationen. Für den Ernstfall sind im Tunnel aber sechs Notausgänge eingebaut. 

Über den Dolendeckel in die Kanalisation

Gefahren gibt es auch in anderen Teilen des Zürcher Untergrunds. Raus aus dem Fernwärmestollen verschlägt es die «Bluewin»-Redaktorin in die Kanalisation. Der Weg dahin führt über einen Dolendeckel.

Bevor man den engen Schacht hinabsteigt, muss man sich umziehen. «Ohne Schutzkleidung und Helm betritt kein Arbeiter die Kanäle», sagt Daniel Eberhard, Stv. Mediensprecher von ERZ Entsorgung + Recycling Zürich. Und noch etwas trägt ein Kanalarbeiter immer mit sich. «Jeder Mitarbeiter hat ein Gaserkennungsgerät dabei. Es kann passieren, dass giftige Dämpfe auftreten. Mit diesem Gerät werden die Männer gewarnt und können den Kanal rechtzeitig verlassen.» 

Die Lebensversicherung für die Kanalarbeiter: Das Gaserkennungsgerät.
Die Lebensversicherung für die Kanalarbeiter: Das Gaserkennungsgerät.
Bluewin

Heute suchen Pedro da Silva und Mahmoud Ouf in einem Kanal in der Nähe des Schweizer Fernsehens nach Bruchstellen im Beton. Was die Kanalarbeiter überhaupt nicht mehr wahrnehmen, ist für ungeübte Nasen nicht ganz einfach: Neben dem trockenen Tunnel fliesst ein brauner Fluss – es ist das, was wir alle die Toilette hinabspülen. Und das stinkt auch dementsprechend.

«Durch die Abwasserkanäle fliesst natürlich das Abwasser aus den Toiletten. Und hier gehören auch nur die Fäkalien, der Urin und das Toilettenpapier rein», so Eberhard. Doch die Männer der Abwasserreingung stossen regelmässig auf Unerwünschtes. «Immer wieder finden wir Hausratsabfälle wie Spaghetti, Gemüse oder Salat. Doch das ist nicht gut, es lockt Ungeziefer an.»

Ratten-Nester unter den Privathäusern

Gibt es in der Zürcher Kanalisation Ratten? «In den öffentlichen Kanälen finden wir relativ wenig Tiere», erklärt Eberhard. «Wegen der Speiseabfällen kann es aber sein, dass Ratten in den Kanälen unterhalb der Privathäuser ihre Nester anlegen.»

Das Zürcher Kanalisationsnetz ist insgesamt 1000 Kilometer lang und hängt an einem Stück. Das ganze Abwasser fliesst bis ins Klärwerk Werdhölzli in Altstetten. Spätestens drei Stunden, nachdem man in Zürich die Toilettenspülung betätigt hat, kommt das Abwasser im Klärwerk an.

Pedro da Silva und Mahmoud Ouf unter Tage.
Pedro da Silva und Mahmoud Ouf unter Tage.
Bluewin

ERZ Entsorgung + Recycling Zürich reinigt das Abwasser vierfach: mechanisch, biologisch, chemisch und durch Filtration. Das saubere Wasser fliesst dann in die Limmat.

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