Verborgene Orte der Schweiz Hinter Gefängnis-Gittern: Im Deo-Roller wird Cannabis geschmuggelt

Von Silvana Guanziroli

27.6.2018

So ist der Alltag hinter Zürcher Gefängnismauern

So ist der Alltag hinter Zürcher Gefängnismauern

Der Blick nach draussen ist durch Gitter versperrt, der Tagesablauf auf die Minute geregelt. Hinter den Mauern des Gefängnisses in Affoltern am Albis ZH sitzen 65 Männer ihre Strafe ab. Es sind Räuber, Betrüger oder Drogendealer. In der Reporter-Serie «Verborgene Orte» blickt «Bluewin» hinter die Zellentür in den Knast-Alltag – und trifft auf unerwartet viele Freiheiten.

26.06.2018

Der Blick nach draussen ist durch Gitter versperrt, der Tagesablauf auf die Minute geregelt. Hinter den Mauern des Gefängnisses in Affoltern am Albis ZH sitzen 65 Männer ihre Strafe ab. Es sind Räuber, Betrüger oder Drogendealer. In der Reporter-Serie «Verborgene Orte» blickt «Bluewin» hinter die Zellentür in den Knast-Alltag – und trifft auf unerwartet viele Freiheiten.

Die graue Mauer ist hinter grossen Bäumen versteckt, das unscheinbare Gebäude fällt beim Passieren kaum auf. Wer nicht weiss, dass mitten im zürcherischen Affoltern ein Gefängnis steht, würde es wohl schlichtweg übersehen. Für 65 Insassen ist der Strafvollzug aber harte Realität. Für ihre Vergehen oder Verbrechen sitzen sie die Haftzeit ab, die ihnen ein Richter aufgebrummt hat.

Das Gefängnis Affoltern am Albis liegt im Zentrum der Stadt, mitten in einem Wohnquartier. Zwischen Gefängnis und Bevölkerung gibt es kaum Berührungspunkte. Ausser, wenn die Insassen auf dem Spazierhof zu laut waren, gab es schon Reklamationen.
Das Gefängnis Affoltern am Albis liegt im Zentrum der Stadt, mitten in einem Wohnquartier. Zwischen Gefängnis und Bevölkerung gibt es kaum Berührungspunkte. Ausser, wenn die Insassen auf dem Spazierhof zu laut waren, gab es schon Reklamationen.
 Bluewin

«Wir haben Insassen, die Betäubungsmitteldelikte begangen haben, aber auch Täter im Bereich von Diebstahl, Einbruch oder Raub», erklärt Gefängnisleiter Christian Klein. Seit drei Jahren leitet der 41-jährige Familienvater das reine Männergefängnis. Wer nach Affoltern muss, der kommt direkt aus der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft – in Handschellen und von Polizisten begleitet.

Im Gefängnis Affoltern sind die Männer entsprechend untergebracht, denn hier gilt der geschlossene Vollzug. Das heisst: Die Häftlinge leben und arbeiten innerhalb der Gefängnismauern. Der einzige Moment unter freiem Himmel ist der, wenn sie in den abgeschirmten Spazierhof dürfen. «Wir haben im geschlossenen Vollzug einen Ausländeranteil von 90 Prozent», erklärt Klein. «Fluchtgefahr ist einer der Hauptgründe für diese Vollzugsform. Und das gilt für viele Insassen, die eben keinen festen Wohnsitz in der Schweiz haben.»

In der Strafvollzugsanstalt kümmern sich 26 Mitarbeiter um den reibungslosen Ablauf. Die meisten von ihnen sind Aufseher und Betreuer. «Der Verteilschlüssel liegt bei 0,3. Auf einen Aufseher kommen also drei Insassen», so Klein. 

Schwierigkeiten, das nötige Personal zu finden, hat die Gefängnisleitung nicht. «Es ist tatsächlich so, dass wir auf ein Stelleninserat Bewerbungen im dreistelligen Bereich bekommen», so der gebürtige Deutsche. Natürlich sei nicht jeder für die anspruchsvolle Funktion geeignet. «Wir wünschen uns Mitarbeiter, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und nicht mit dem ersten Lufthauch nach hinten umkippen. Die Insassen spüren sehr genau, ob eine Person unsicher und manipulierbar ist.» Zudem sei eine abgeschlossene Berufsausbildung wichtig und die Mitarbeiter müssten mindestens 25 Jahre alt sein. 

Auf der Zelle gibt es kaum Privatssphäre

Andreas Fäh gehört zu Kleins Team. Er arbeitet als Aufseher und Betreuer im dreistöckigen Gebäude. Eine typische Zelle ist in Affoltern doppelt belegt und elf Quadratmeter gross. «Eingerichtet ist sie neben dem Kajütenbett mit einem Schrank für die Kleidung, einem Nassbereich mit Toilette und Brünneli, einem Fernseher, einem Ventilator, einem Wasserkocher, einem Aschenbecher und einem Wecker.»

So beengt, gibt es für die Insassen kaum Privatssphäre. Die Toilette wird vom Schlafbereich lediglich durch einen Vorhang getrennt. Die Unterbringung der Gefangenen kostet den Steuerzahler pro Tag und Platz rund 200 Franken. Im Hochsicherheitsbereich ist sie mit 650 Franken am teuersten.

Obwohl es sich bei einem Gefängnis um ein öffentliches Gebäude handelt, ist Rauchen auf der Zelle und im Spazierhof erlaubt. «Deshalb mischen wir nie Raucher mit Nichtrauchern. Da wäre der Konflikt vorprogrammiert», so Fäh.

Die Mehrheit der Insassen sitzt in Zweierzellen ein. Hier gibt es nur wenig Privatsphäre. Der WC-Bereich ist nur durch einen Vorhang abgetrennt.
Die Mehrheit der Insassen sitzt in Zweierzellen ein. Hier gibt es nur wenig Privatsphäre. Der WC-Bereich ist nur durch einen Vorhang abgetrennt.
Bluewin/gusi

Der Knastalltag in Affoltern ist auf die Minute genau geregelt. Aufschluss der Zellen ist morgens um 7.45 Uhr. Zwischen acht und elf Uhr müssen die Männer arbeiten, dann haben sie drei Stunden frei, um zwei Uhr geht es für zwei Stunden erneut zur Arbeit. Um 18 Uhr werden sie wieder eingeschlossen. 

Trotz strenger Regeln haben die Insassen in ihrem Tagesablauf auch viele unerwartete Freiheiten: So können sich die Männer während des Zellenaufschlusses im Gebäude frei bewegen. Sie dürfen die Duschen, den Fitnessraum, die Bibliothek und das Telefon benützen. «Wir sind hier weit weg vom amerikanischen Prinzip. Wir wollen keinen verschärften Strafvollzug, der auf Machtausübung beruht», so Klein. «Unsere Philosophie ist die soziale Sicherheit.»

Damit meint Klein eine Balance zwischen Nähe und Distanz. «Der Freiheitsentzug ist die Strafe, wir müssen die Insassen nicht noch mit fixen Duschzeiten gängeln.»

Die Zellen sind auf drei Stockwerke verteilt. Während der drei Freistunden über Mittag können sich die Insassen frei im Zellentrakt bewegen. Sie können in den Fitnessraum oder in die Bibliothek gehen, telefonieren oder duschen. Wer wann an der Reihe ist, müssen die Insassen selber klären.
Die Zellen sind auf drei Stockwerke verteilt. Während der drei Freistunden über Mittag können sich die Insassen frei im Zellentrakt bewegen. Sie können in den Fitnessraum oder in die Bibliothek gehen, telefonieren oder duschen. Wer wann an der Reihe ist, müssen die Insassen selber klären.
Bluewin

Bei massivem Regelverstoss gibt es einen Arrest

Grosse Probleme oder gar Ausschreitungen kommen trotz liberalerem Strafvollzug nicht vor, versichert Klein. Doch einzelne schwarze Schafe gäbe es auch hinter Gittern. «Bei einem massiven Regelverstoss haben wir die Möglichkeit des Arrests.» Zwei entsprechende Zellen befinden sich im Kellergeschoss. Sehen Sie im Video, wie extrem sich diese Form des Strafvollzuges darstellt. 

Strafvollzug extrem: Die Arrestzelle

Strafvollzug extrem: Die Arrestzelle

Wer sich innerhalb der Gefängnismauern nicht regelkonform verhält, dem droht der Arrest. In der dafür vorgesehenen Zelle gibt es nur das nötigste. Keine Bücher, keinen Fernsehen und keine Ablenkung.

26.06.2018

Im Kanton Zürich hat ein Gefangener Anrecht auf eine Stunde Besuch pro Woche. Das gilt auch für die Insassen in Affoltern. Und hier kommt es immer wieder vor, dass versucht wird, Gegenstände reinzuschmuggeln. «Ein klassisches Versteck ist der Deo-Roller», erzählt Aufseher Fäh. «Die Kugel ist relativ einfach herausnehmbar, dann wird etwas Cannabis reingeschoben und der Verschluss wieder zugemacht. Doch wir Röntgen die Gegenstände und auf dem Röntgenbild ist das genau ersichtlich.»

Wer erwischt wird, muss damit rechnen, für weitere Besuche gesperrt zu werden. Oder er darf den Insassen nur noch in einem speziellen Besucherraum mit Trennscheibe treffen. Das gilt übrigens auch für Paare, die sich beim Besuch zu nahe kommen. Im Gefängnis Affoltern am Albis ist mehr als der Begrüssungskuss nicht erlaubt. Gefängnisleiter Klein: «Angesichts der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von wenigen Monaten ist dies als vertretbar zu erachten.»

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