Glosse Wenn Verpacken Kunst ist, bin ich ein Banause

Nicolai Morawitz

23.12.2018

Was als raffinierte Verpackung geplant war, endete als Plastik-Papier-Klumpen.
Was als raffinierte Verpackung geplant war, endete als Plastik-Papier-Klumpen.
Bluewin/mn

Das Verpacken der Geschenke könnte ein Moment der Besinnlichkeit, erhabener Konzentration und Ausdruck unbändiger Kreativität sein. Stattdessen treibt es mich Jahr für Jahr an den Rand der Verzweiflung. Ein Protokoll des Scheiterns.

Die Geschenkidee: genial. Die Umsetzung: sogar noch besser. Doch dann liegen die Gaben schön angeordnet auf dem Wohnzimmertisch und mir wird klar: Ohne Papierhülle keine Überraschung. Es muss eine Verpackung her. Wohlige Zufriedenheit weicht kalter Angst. Es ist der 23. Dezember, wie jedes Jahr viel zu spät am Abend, und ich trage die Klebestreifenrolle in der rechten und die Schere in der linken Hand. Das Ganze könnte Tradition sein, doch es ist ein wiederkehrendes Trauerspiel.

Erbarmungslos und kaltherzig gehe ich zu den Geschenken, so wie ein Schlachter zu seinem Vieh. Doch in Wahrheit bin ich derjenige, der hier um einen Gnadenschuss bitten sollte: Die Papierrolle hat sich schnurstracks selbstständig gemacht und bedeckt den gesamten Fussboden. Der Verpackungskünstler Christo hätte seine helle Freude daran. 

Von den wogenden Papierwellen bemerke ich allerdings nicht wirklich etwas, da ich mir gerade die scharfzackigen Metallzähne der Klebestreifenrolle in den Daumen gerammt habe. Eine Frage hämmert in meinem Kopf: Was ist grösser, der Schmerz oder mein Unvermögen?

Das Unheil in Papiergestalt

Ungefähr bei jedem zehnten Versuch gelingt es mir tatsächlich, ein Stück Klebestreifen zu ergattern, das eine vernünftige Abmessung zu haben scheint. Da ich aber noch nicht Herr über das renitente Papier geworden bin, müssen die Klebestreifen einstweilen an der Tischkante eine Zwangspause einlegen. Je länger dieser Vorgang dauert, desto mehr gleicht das Wohnzimmer einer Papeterie-Handlung nach einem Bombentreffer.

Auch meine Haltung ändert sich: Aufrecht habe ich den Raum betreten, als ehrenhafter Mensch mit einem gesunden Rückgrat. Mittlerweile kauere ich jedoch auf dem Boden wie ein geschundener Hund. Anstatt einem kunstfertigen Homo Sapiens mit Dekorationsdiplom gleiche ich mehr einem windschiefen Neanderthaler mit Hüftschaden. Ich bin Edward mit den Scherenhänden und einer Verpackungsallergie. Und doch gebe ich nicht auf.

Mit einer verzweifelten Fussbewegung, die aus einem Yogalehrbuch stammen könnte, heute aber nur noch eine bemitleidenswerte Aufopferung ist, gelingt es mir die Papierrolle einzufangen. Für das kleine Taschenbuch schneide ich vorsorglich ein Quadratmeter grosses Stück Papier zurecht. Was folgt, ist keine elegante Emballage, sondern eher eine Mumifizierung. Papierschicht für Papierschicht schlinge ich um das hilflose Buch, als ob ich das Wissen und die Schönheit, die in ihm schlummern auf ewig vakuumiert vor der Umwelt verschliessen möchte. 

Ihr nennt es Elend, ich Ekstase.

Inmitten dieses wilden Papierkriegs kommen mir wieder die Klebestreifen in den Sinn. Anstatt dass ich mit ihnen beinahe unsichtbar eine filigrane Falz abdecke, wird bei mir geklotzt statt gekleckert. Doppelt hält besser und man kann nie wissen, ob das Sachbuch über den bolivianischen Befreiungskampf im Papierverlies nicht doch aufmüpfig wird. Also wird geklebt, was das Zeug hält. Das fertige 'Geschenk' sollte am Ende wasserdichter sein als eine norwegische Anglerhose. 

Mensch und Material zeigen nun starke Ermüdungserscheinungen. Die Schere, sofern sie jemals scharf war, ist stumpf, ganz so wie mein Gesichtsausdruck. Der Klebestreifen geht zur Neige und die Papierrolle ist durch sehr ungeschicktes Abschneiden nur noch zum Anfeuern des Kamins zu gebrauchen. Ein Papier-Plastik-Knäuel liegt vor mir, das man nur mit sehr viel Wohlwollen Geschenkpaket nennen kann. Dieses unförmige Rohstoffendlager würde wahrscheinlich nicht mal einen Abnehmer finden, wenn Paul McCartney darauf unterschriebe.

Mein Rücken sticht, die Augen tränen und Klebestreifen übersäen die Handrücken. Und doch ist da ein letzter Rest Hoffnung, das fahle Licht des Weihnachtssterns auf meinem Tisch zu sehen: Es bleiben nur noch sechs Geschenke zu verpacken. 

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