Heuschnupfen schon im Februar? Eine jüngste Studie in Nordamerika hat ergeben, dass sich die Erderwärmung auch auf die Pollensaison auswirkt. Wer jährlich an Allergien leidet, bekommt sie jetzt früher.
Als Dr. Stanley Fineman seine Arbeit als Allergie-Spezialist in der US-Stadt Atlanta begann, riet er seinen Patienten, ab Mitte März ihre Medikamente zu nehmen. Denn ungefähr dann war sie im Anflug – die Pollensaison mit ihren unangenehmen Folgen wie tränende Augen, Schniefnasen und Niesanfälle. Das war vor etwa 40 Jahren. Heute empfiehlt der Arzt, Mitte Februar mit den Arzneien zu starten, und das hat anscheinend seinen guten Grund.
In den USA und Kanada setzt die Pollensaison mittlerweile 20 Tage früher ein als vor Jahrzehnten, und die Pollenbelastung ist 21 Prozent höher als 1990 – das alles zu einem grossen Teil wegen des Klimawandels, wie aus einer jüngsten Studie hervorgeht.
Nun ist es an sich keine neue Erkenntnis, dass die Heuschnupfensaison in Nordamerika immer länger und schlimmer wird. Aber Experten zufolge basieren die Ergebnisse dieser Studie, die in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins «Proceedings of the National Academies of Sciences» veröffentlicht wurden, auf der bislang umfassendsten Sammlung und Auswertung von Daten. Und sie ist demnach die erste mit den detaillierten Berechnungen, die erforderlich sind, um eine Verbindung zum von Menschenhand verursachten Klimawandel aufzeigen zu können.
«Es ist ein glasklares Beispiel dafür, dass der Klimawandel da ist – und in jedem Atemzug, den wir tun», formuliert es der leitende Autor der Studie, Bill Anderegg, ein Biologe und Klimaforscher an der University of Utah – der selbst, so sagt er, «wirklich schlimme Allergien» hat.
Chris Downs in St. Louis leidet schon jetzt an Nasennebenhöhlen-Problemen, Kopfschmerzen und brennenden roten Augen, und seine Facebook-Freunde sagen, dass es ihnen genauso geht. Seine Allergien, die vor 22 Jahren begannen, setzen normalerweise im März ein, wie der 32-Jährige schildert. Aber in diesem und im vergangenen Jahr seien sie schon Anfang Februar spürbar gewesen, im Zuge von Baum- und Blumenblüten draussen. «Als Kind habe ich nie etwas im Februar blühen gesehen, aber jetzt erlebe ich (gleich) ein paar solcher Jahre», sagt Downs.
Mehr Blütenstaub durch mehr CO2
Je wärmer die Erde wird, desto früher beginnt der Frühling für die Pflanzen, insbesondere jene, die Pollen freisetzen. Hinzu kommt, dass Bäume und kleinere Pflanzen mehr Blütenstaub erzeugen, wenn sie höheren Kohlendioxid-Konzentrationen ausgesetzt sind, wie es in der Studie heisst. «Dies hier hat klar damit zu tun, dass wärmere Temperaturen und mehr Kohlendioxid mehr Pollen in die Luft abgeben», sagt Anderegg. Bäume setzen dem Experten zufolge die allergieerzeugenden Partikel früher frei als Gräser, aber Wissenschaftler sind sich nicht sicher, warum das so ist.
Texas zählt nach Andereggs Angaben zu den Regionen mit den grössten Veränderungen. Im Süden und südlichen Mittleren Westen der USA beginne die Pollensaison jedes Jahr ungefähr 1,3 Tage früher, während es im Westen 1,1, im nördlichen Mittleren Westen 0,65 und im Südosten 0,33 Tage seien. In Kanada, Alaska und dem US-Nordosten haben die Forscher keinen statistisch bedeutenden Trend entdeckt.
Sein Team habe bei den Untersuchungen berücksichtigt, dass Parks und Pflanzen in Städten grüner würden, erläutert Anderegg. Sie hätten detaillierte Standardberechnungen vorgenommen, von Wissenschaftlern entwickelt, um etwaige Verbindungen zwischen Veränderungen in der Natur und einer Zunahme der von Menschen verursachten Treibhausgase feststellen zu können. Die derzeitigen Entwicklungen seien mit Computersimulationen einer Erde ohne von Menschen erzeugter Erwärmung und einem Anstieg von Kohlendioxid in der Luft verglichen worden.
Anderegg zufolge kann die früher beginnende Pollensaison seit 1990 ungefähr zur Hälfte auf den Klimawandel zurückgeführt werden, zumeist aufgrund der wärmeren Temperaturen, aber auch wegen der Zunahme des Kohlendioxids in der Luft, das die Pflanzen ernährt. Seit den 2000er Jahren aber könne der frühere Beginn zu 65 Prozent der Erwärmung zugeschrieben werden. Ungefähr acht Prozent der angestiegenen Pollenbelastung seien auf den Klimawandel zurückzuführen.
«Pollen folgen wirklich der Temperatur»
Das mache Sinn und passe zu dem, was er sehe, pflichtet Allergologe Fineman bei, der nicht an der Studie beteiligt war. «Pollen folgen wirklich der Temperatur. Das ist keine Frage», sagt der ehemalige Präsident des American College of Allergy, Asthma and Immunology im US-Staat Illinois.
Wissenschaftler versprechen sich von den jüngsten Erkenntnissen unter anderem die Fähigkeit zu Schätzungen, wie viele Allergien und Asthma-Fälle mit dem Klimawandel zu tun haben könnten. Es geht dabei um mehr als Schnupfen. Pollen seien ein wichtiger Risikofaktor für allergische Krankheiten wie etwa Asthma, sagt Amir Sapkota, ein Professor für Umweltgesundheit an der University of Maryland.
«Asthma kostet die US-Wirtschaft schätzungsweise 80 Milliarden Dollar im Jahr, was Behandlungen und Produktivitätsverluste betrifft», so der Experte. «Eine längere Pollensaison stellt somit wirkliche Bedrohungen sowohl für Personen mit Allergien als auch für die US-Wirtschaft dar.»
Sapkota war ebenfalls nicht an der Studie beteiligt, hat aber kürzlich eine Verbindung zwischen früherem Frühlingsbeginn und einer Zunahme des Risikos von Krankenhausaufenthalten wegen Asthma entdeckt. Und Blütenstaub kann sich auch auf das geistige Leistungsvermögen auswirken: Eine Untersuchung hat Anderegg zufolge ergeben, dass Studenten wegen Pollenbelastungen schlechter bei Prüfungen abschneiden.