StudieSchweizerinnen und Schweizer haben nur wenig Vertrauen in Impfungen
SDA/uri
11.9.2020
Einem Impfstoff dürfte im Kampf gegen die Coronapandemie entscheidende Bedeutung zukommen – bei anderen Krankheiten retten Vakzinen bereits Leben. Doch ausgerechnet in der Schweiz ist das Vertrauen in Impfungen im weltweiten Vergleich sehr gering.
Ob gegen Masern, Keuchhusten oder Grippe – Impfstoffe retten Leben. Dennoch lassen sich einige Menschen nur ungern piksen. Eine im Fachmagazin «The Lancet» publizierte Studie gibt nun ein Bild zum weltweiten Impfstoffvertrauen ab. In der Schweiz liegt das Vertrauen im globalen Vergleich nicht besonders hoch.
Für die Studie werteten die Forschenden Daten aus 149 Ländern aus. Sie beruht auf 290 Befragungen von über 284'000 Menschen, die zwischen September 2015 und Dezember 2019 gemacht worden waren. Darin ging es um die Beurteilung von Sicherheit, Wirksamkeit und Wichtigkeit von Impfstoffen. Das Ergebnis: In Europa blieb das Vertrauen in Impfstoffe im Vergleich zu anderen Regionen gering.
Doch in mehreren europäischen Ländern wie Finnland, Frankreich und Italien wuchs das Vertrauen. Die Skepsis, dass Impfstoffe sicher seien, wachse besonders in Ländern, die von politischer Instabilität und religiösem Extremismus betroffen seien, schrieben die Autoren. Als wichtigen Grund für schwindendes Vertrauen nennen sie gezielte Desinformationskampagnen in der Öffentlichkeit.
Kinderimpfungen nicht zurückgegangen
Im internationalen Vergleich reihte sich die Schweiz punkto Impfstoffvertrauen auf den hintersten Rängen ein. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheit von Impfstoffen stieg zwar von 2015 bis 2019 (von 30 auf 33 Prozent). Die Prozentzahl derer, die Impfungen als wichtig empfinden, sank hingegen von 65 auf 53 Prozent. Ebenfalls den Glauben an die Wirksamkeit von Impfstoffen verloren einige Menschen: Dieser Wert verringerte sich im untersuchten Zeitraum von 50 auf 45 Prozent.
«Diese Befunde gehen Hand in Hand mit der sinkenden Anzahl von verabreichten Grippeimpfungen», sagte Sonja Merten vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) im Gespräch mit Keystone-SDA. Sie erforscht gemeinsam mit Kollegen in einem Nationalen Forschungsprogramm unter Leitung von Philip Tarr vom Kantonsspital Baselland, warum Menschen zögern, sich impfen zu lassen. Die Anzahl von Kinderimpfungen sei jedoch generell nicht zurückgegangen.
«Opfer ihres eigenen Erfolgs»
Doch auch bei Kinderimpfungen sieht Merten ein Problem. Durch die heutigen Kombinationsimpfungen können Eltern weniger gut selber entscheiden, gegen welche Krankheiten und wann sie ihre Kinder piksen lassen wollen. Das könne negative Gefühle gegenüber Impfungen auflodern lassen.
Hinzu kommt: «Impfungen sind Opfer ihres eigenen Erfolgs», sagte sie. Viele Krankheiten seien durch das Impfen in der Schweiz verschwunden. Das könne zu einer grösseren Angst vor Nebenwirkungen als vor der Krankheit selbst führen.
Wenige vehemente Impfgegner
Eine frühere Studie von Merten und ihren Kollegen wies darauf hin, dass Ärztinnen und Ärzte nicht klar Stellung gegenüber Impfungen beziehen. Das verunsichere Patienten und könne das Vertrauen in Impfungen schwächen. «Es ist wichtig, auf die Gefühle der Patienten einzugehen – aber trotzdem klar Stellung zu beziehen», erklärte Merten.
Denn: «Die Gruppe vehementer Impfgegner ist in der Schweiz extrem klein», sagte der Soziologe Michael Deml, ebenfalls vom Swiss TPH und Wissenschaftler im Nationalen Forschungsprogramm. Viele Menschen seien in Bezug auf Impfungen bloss unentschieden oder zögerlich.
Vertrauen ist zentral
Zwei kürzlich publizierte Forschungsarbeiten widerlegten ausserdem den Stereotypen, dass Alternativ- und Komplementärmediziner ihren Patienten häufig vom Impfen abraten.
«Diese Mediziner diskutieren offen mit ihren Patienten die Risiken und Wirkungen von Impfungen», sagte Deml. Das schaffe Vertrauen, was gerade im Hinblick auf einen künftigen Covid-19-Impfstoff zentral sei.
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