Geschichte einer Insel Wie Nauru erst deutsch, dann reich und schliesslich fett wurde

Von Philipp Dahm

17.4.2023

Nauru aus der Luft: Von Pleasant Island ist nicht mehr viel übrig.
Nauru aus der Luft: Von Pleasant Island ist nicht mehr viel übrig.
Bild: Keystone

Vor 135 Jahren macht das Deutsche Reich Nauru zur Kolonie – und rettet die Pazifik-Insel damit vor dem Untergang. Nach der Unabhängigkeit steigt Nauru zum reichsten Land der Welt auf, um dann spektakulär zu verarmen.

Von Philipp Dahm

17.4.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am 16. April 1888 wird Nauru deutsche Kolonie.
  • Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird besonders reines Phosphat auf der Pazifik-Insel entdeckt.
  • Ab 1914 hat Australien dort das Sagen. 1968 wird die Insel unabhängig.
  • In den 70ern gehört Nauru zu den reichsten Ländern der Welt.
  • Nauru hat das Geld verprasst. Heute sind die Vorkommen fast erschöpft. Die Bevölkerung leidet immer noch unter Fettleibigkeit.

Die Bekanntmachung am 16. April 1888 ist nüchtern: «Auf Befehl und im Namen Seiner Majestät des Deutschen Kaisers wird hierdurch die Insel Pleasant Island zum Schutzgebiet des Deutschen Reiches erklärt», teilt der Kaiserliche Kommissar mit, der fortan das Sagen auf jener Insel hat, die wir als Nauru kennen. Die Deutschen kommen und sie räumen auf auf dem Pazifik-Eiland. Und das ist auch gut so.

Rückblende: Mit der Besiedelung Australiens vermehrt sich auch der Schiffsverkehr in der Region. 1798 stolpert der Entdecker John Fearn über die Insel, die er ob ihrer Erscheinung Pleasant Island tauft. Der Brite geht nicht an Land, doch das Volk kommt ihm auf Booten entgegen, um ihn mit Früchten und Kokosnüssen zu beschenken.

So abgelegen liegt Nauru: Die Marshallinseln im Norden sind rund 770 Kilometer entfernt, die Salomonen im Süden gut 1100 Kilometer und die Gilbert Islands im Osten 700 Kilometer.
So abgelegen liegt Nauru: Die Marshallinseln im Norden sind rund 770 Kilometer entfernt, die Salomonen im Süden gut 1100 Kilometer und die Gilbert Islands im Osten 700 Kilometer.
Bild: Google Earth

Fearn schliesst aus ihrer Zahl von etwa 300 Menschen darauf, dass die Insel fruchtbar ist und offenbar viele Menschen ernährt. Es scheint ihm, als hätten sie bereits Kontakt zu Weissen gehabt, doch er geht als europäischer Entdecker in Naurus Geschichte ein.

Fortan machen immer wieder Walfänger dort Halt, um ihren Proviant aufzufrischen. Nicht selten haben sie Ausbrecher aus Strafkolonien an Bord, die bleiben. Sie bringen sowohl Krankheiten als auch krankes Verhalten mit: Zusammen mit der Einfuhr von Feuerwaffen und steigendem Alkoholkonsum vergiftet das die Gesellschaft der Insel.

Berlin räumt auf

Diese teilt sich in zwölf Stämme, die ab 1878 Bürgerkrieg führen, der die Bevölkerung von 1400 Personen auf 900 Bewohner schrumpfen lässt. Der Ruf nach Hilfe wird laut – aber wer ist eigentlich zuständig? Die britische Krone? Ursprünglich schon, doch London verhandelt mit Berlin: Die beiden Grossmächte stecken 1886 ihre kolonialen Interessen auch im Pazifik ab.

Teilung der Einflusssphären im «Westlichen Stillen Ozean» zwischen England und dem Deutschen Reich 1886.
Teilung der Einflusssphären im «Westlichen Stillen Ozean» zwischen England und dem Deutschen Reich 1886.
Bild: Gemeinfrei

Damit fällt Nauru unter deutsche Herrschaft – und die greift durch: Noch am Tag der Besitznahme wird die Einfuhr von Waffen und Sprengstoff verboten. Mit dem Alkoholverbot wartet der Kaiserliche Kommissar noch, bis am 1. Oktober das Kanonenboot SMS Eber eintrifft. An Bord sind 87 Matrosen und geflohene Missionare und Europäer. 

Die SMS Eber nach ihrem Stapellauf 1887. Sie sinkt bereits 1889 bei Samoa in einem Zyklon.
Die SMS Eber nach ihrem Stapellauf 1887. Sie sinkt bereits 1889 bei Samoa in einem Zyklon.
Bild: Gemeinfrei

Die Truppe nimmt die Stammesführer in Gewahrsam, vollzieht eine Annexionszeremonie mit Flaggenhissung und fordert die Bewohner auf, innert 24 Stunden alle Waffen abzugeben, wenn sie ihre Häuptlinge wiedersehen wollen. Nach einem Tag häufen sich 765 Waffen und 1000 Schuss Munition an: Der Bürgerkrieg ist beendet.

Fataler Rohstoff-Segen

Auweyida, der Stammesführer der Boe, wird Oberhaupt von Nauru, während die Gesetze durch die deutsche Jaluit-Gesellschaft durchgesetzt werden, die die Verwaltung von Nauru übernimmt. Die Insel liefert Kopra, doch 1900 werden fluorhaltige Phosphatvorkommen dort entdeckt, die als «Nauruit»-Dünger von einem deutsch-britischen Konsortium weltweit verkauft werden.

Die deutsche Herrschaft endet unblutig nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges: Australien übernimmt nicht nur die Hoheit, sondern auch die Rechte über den Phosphatabbau. Im Zweiten Weltkrieg besetzen Japaner kurzzeitig das Eiland. 1968 entlässt Australien Nauru in die Unabhängigkeit.

In den 70ern gehört Nauru zu den reichsten Ländern überhaupt: Das Bruttoinlandprodukt liegt bei um die 20'000 Dollar pro Kopf. Die Insel spielt damit in einer Liga mit den Erdölstaaten im Nahen Osten. Doch der Boom ist so endlich wie das Phophatvorkommen, dessen Abbau das Eiland verwüstet.

«Dollarnoten wurden sogar als Klopapier benutzt»

Doch daran denkt auf Nauru niemand: Die Erlöse werden bedenkenlos verprasst. Die Bürger zahlen keine Steuern, sondern bekommen Geld vom Staat. Jeder hat zwei bis drei Autos, mit denen auf den wenigen Kilometern Strasse die Zeit totgeschlagen wird – die Insel ist in 20 Minuten umrundet.

Die Insel leistet sich eine Fluggesellschaft, kauft Schiffe für die staatliche Reederei und investiert wahllos in Immobilien. «Viele dumme Dinge sind passiert», gesteht Bewohner Manoa Tongamalo. «Die Leute gingen in einen Laden, kauften ein paar Süssigkeiten und bezahlten mit einem 50-Dollar-Schein, ohne das Wechselgeld zu nehmen.»

«Wir wussten einfach nicht, wie wir damit umgehen sollten», sagt ein anderer Insulaner der BBC. «Dollarnoten wurden sogar als Klopapier benutzt.» Ein anderes Beispiel: Obwohl es ein Tempolimit von 40 km/h gibt, kauft der Polizeichef einen gelben Lamborghini – nur um festzustellen, dass er zu dick ist, um sich hinters Lenkrad zu setzen.

Geschichte wiederholt sich

Das ist kein Einzelfall: Fastfood macht die Bewohner dick. 2022 sind 61 Prozent aller Erwachsenen fettleibig – Weltrekord. Im Jahr 2000 wirkte das Phosphatvorkommen so erschöpft wie die Gesundheit der Bewohner, doch 2004 finden Experten heraus, dass doch noch mehr da ist als gedacht. Die Fördermenge nimmt jedoch kontinuierlich ab.

International tritt Nauru nur noch als Steuerparadies in Erscheinung, dem immer wieder Geldwäsche vorgeworfen wird. Einen Zustupf verdient sich die Insel mit Auffanglagern für Geflüchtete, die in Australien bleiben wollten.

Von Australien deportierte Kinder aus Sri Lanka im Dezember 2003 in einem Camp auf Nauru.
Von Australien deportierte Kinder aus Sri Lanka im Dezember 2003 in einem Camp auf Nauru.
Bild: Keystone

Am 1. April blockiert Nauru zusammen mit Konzernen eine Regelung für den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee. Der Grund: Manganknollen sollen am Meeresboden geerntet werden. Die Chance besteht, dass Nauru mit dem Phosphatabbau nicht nur die eigene Insel und Bevölkerung zerstört, sondern nun auch das Meer vor der Haustür.