Vorbote von «El Niño»? Die Weltmeere sind so warm wie noch nie

AP/toko

30.4.2023 - 19:31

Die Weltmeere waren 2022 so warm wie noch nie. (Archivbild)
Die Weltmeere waren 2022 so warm wie noch nie. (Archivbild)
KEYSTONE/EPA/NIC BOTHMA

Die Oberflächentemperatur der Ozeane hat einen neuen Höchstwert erreicht. Forschende sehen darin einen Vorboten des Wetterphänomens «El Niño» – doch womöglich steckt noch mehr dahinter.

30.4.2023 - 19:31

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  • Innerhalb weniger Wochen hat die Oberflächentemperatur der Ozeane einen Höchstwert erreicht.
  • In der Wissenschaft herrscht bislang Unklarheit über den Grund des starken Anstiegs. Unter anderem könnte der starke Anstieg auf die Rückkehr von «El-Niño» zurückzuführen sein.

Die Wissenschaft ist alarmiert: Die Weltmeere haben sich in den vergangenen Wochen plötzlich ungewöhnlich stark erhitzt. Die Werte liegen deutlich über den Rekordmarken. Forschende versuchen nun herauszufinden, was das bedeutet und ob die Entwicklung auf einen Anstieg der Erderwärmung hindeutet.

Manche führen die höheren Meerestemperaturen auf ein wärmebringendes «El-Niño»-Wetterphänomen zurück, das sich in möglicherweise grosser Stärke zusammenbraut, sowie einen Rückstoss nach drei Jahren des kühlenden Gegenstücks «La Niña». Beides verstärkt die ständige globale Erwärmung, die das Wetter in grösserer Tiefe erhitzt. Falls die Annahme zutrifft, könnten die Rekord-Temperaturen der Ozeane in diesem Monat von vielen weiteren übertroffen werden.

«Riesige» Abweichung

Laut der renommierten Plattform Climate Reanalyzer der University of Maine stieg die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Weltmeere seit Anfang März um fast zwei Zehntel Grad Celsius. Das mag wenig klingen. Doch für die Ozeane weltweit, die 71 Prozent der Erdoberfläche bedecken, ist der Anstieg in der Kürze der Zeit «riesig», wie der Klimawissenschaftler Kris Karnauskas von der University of Colorado sagt: «Das ist eine unglaubliche Abweichung von einem schon ursprünglich warmen Status.»

Fachleute tauschen sich untereinander und in sozialen Medien über die Daten aus. Manche, darunter Michael Mann von der University of Pennsylvania, sehen keinen allzu grossen Grund zur Besorgnis: Nach ihrer Ansicht handelt es sich lediglich um einen zunehmenden «El-Niño»-Effekt in Kombination mit der kontinuierlichen menschengemachten Erwärmung.

Wärmer geworden ist das Meer vor allem vor der Küste von Peru und Ecuador, wo vor den 1980er-Jahren die meisten El-Niño-Phänomene begonnen hatten. Bei dem Effekt handelt es sich um die natürliche Erwärmung von Teilen des äquatornahen Pazifiks, die weltweit das Wetter verändert und die Temperaturen steigen lässt. Bis März stand die Welt drei Jahre lang unter dem Einfluss der kühlenden Gegenspielerin «La Niña», die ungewöhnlich stark und langanhaltend war und Extremwetterereignisse verursachte.

«Das ist ein enormes, enormes Signal.»

Andere Klimaforschende, darunter Gregory C. Johnson von der US- Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA, ist überzeugt, dass «El Niño» nicht der alleinige Grund für die Erhitzung der Meere ist. Unter anderem passten Erwärmungen im nördlichen Pazifik nahe Alaska sowie vor der Küste Spaniens nicht ins Bild, erklärt der Ozeanograf.

Ähnlich äussert sich Klimawissenschaftler Gabe Vecchi von der Princeton University. «Das ist ein ungewöhnliches Muster», sagt er. «Das ist ein Extremereignis im globalen Ausmass», das nicht nur auf «El Niño» zurückzuführen sei. «Das ist ein enormes, enormes Signal.»

Um zunächst zu erkennen, wo der plötzliche Anstieg am höchsten ist, zog Experte Karnauskas von den Anomalien bei den Temperaturen an der Meeresoberfläche die durchschnittlichen Temperaturanomalien in den vorherigen Monaten ab. Das Ergebnis: Die weltweite Erwärmung ging zu einem grossen Teil auf einen langen Streifen quer durch den Äquator von Südamerika nach Afrika zurück, der sowohl den Pazifik als auch den Indischen Ozean umfasst. Dieses Gebiet erwärmte sich innerhalb von nur zehn bis 14 Tagen um vier Zehntel Grad, was höchst ungewöhnlich sei, sagt Karnauskas.

Letzter «El Niño» liegt sieben Jahre zurück

In Teilen der Gegend ist eindeutig ein stärker werdender «El Niño» im Anzug, was sich in den kommenden Monaten wissenschaftlich bestätigen könnte, wie der Forscher erklärt. Doch die Region im Indischen Ozean sei anders: Entweder könne es sich um einen zufällig gleichzeitigen, unabhängigen Anstieg handeln oder mit einem möglichen Super-«El-Niño» in Verbindung stehen. «Wir starten schon auf einem stark erhöhten Niveau, einem Ausgangswert von wirklich warmen globalen Meerestemperaturen, darunter im tropischen Pazifik und im Indischen Ozean», sagt Karnauskas. «Und plötzlich kommt ein sich entwickelnder El Niño hinzu, und jetzt haben wir Werte, die quasi unsere Darstellungen sprengen.»

Das letzte «El-Niño»-Phänomen liegt etwa sieben Jahre zurück, und es war gewaltig. Die Welt hat sich in diesen sieben Jahren erwärmt, vor allem die Meere in grösseren Tiefen. Diese absorbieren bei weitem die meiste Hitzeenergie von Treibhaus-Gasen, wie Meereskundlerin Sarah Purkey von der Scripps Institution für Ozeanografie erläutert. Jedes Jahr erreichen die Temperaturen neue Rekordhöhen, unabhängig davon, was an der Oberfläche passiert.

Zusätzlich zur Aufheizung der Tiefsee hat die Welt an der Oberfläche infolge von «La Niña» drei Jahre lang eine aussergewöhnliche Abkühlung erlebt. Diese funktionierte nach Angaben von Forschenden wie ein Deckel auf einem wärmer werdenden Topf – und nun ist dieser Deckel weg. Ein Ergebnis davon waren im März 2023 die zweithöchsten Durchschnittstemperaturen an der Oberfläche weltweit, die je in einem März aufgezeichnet wurden, wie der NOAA-Meereswissenschaftler Mike McPhaden sagt: «Was wir jetzt sehen, ist nur der Auftakt zu bevorstehenden weiteren Rekorden.»

AP/toko