Kommentar Danke, Marokko! Ihr seid alles, was wir am Fussball lieben

Von Sandro Zappella

15.12.2022

Marokkos Team nach dem Aus im Halbfinal gegen Frankreich.
Marokkos Team nach dem Aus im Halbfinal gegen Frankreich.
AFP via Getty Images

Marokko hat an der Fussball-WM ein Märchen geschrieben, allerdings eines ohne Happy End. Eine Hommage an ein Team, das mehr als nur unsere Herzen erobert hat.

Von Sandro Zappella

15.12.2022

Frankreich war dann doch eine Nummer zu gross. Der Titelverteidiger schlägt Aussenseiter Marokko mit 2:0 und zieht in den WM-Final ein. Für Marokko bleiben nur die Tränen und der Konjunktiv. Was, wenn Frankreich nicht der so frühe Führungstreffer gelungen wäre? Was, wenn der Fallrückzieher von Jawad El-Yamiq im Tor, statt am Pfosten gelandet wäre? Was, wenn alle Spieler gesund geblieben wären?

Fallrückzieher von El-Yamiq landet am Pfosten

Fallrückzieher von El-Yamiq landet am Pfosten

Nach Ziyech-Ecke setzt Jawad El-Yamiq zum Fallrückzieher an. Sein Schuss wird von Hugo Lloris mit den Fingerspitzen an den Pfosten gelenkt.

14.12.2022

Es sind Fragen, welche sich die Marokkaner noch Stunden, Tage und vielleicht sogar das ganze Leben lang stellen werden. Im Gegensatz zu einer Fussball-Grossnation wie Frankreich sind solche Titel-Chancen für Aussenseiter wie Marokko schliesslich einmalig.

Doch der Traum vom WM-Final ist jäh geplatzt, schon nach fünf Minuten trifft Theo Hernández. Es ist der Anfang vom Ende. Trotz der 0:2-Niederlage ist Marokko aber der grosse Gewinner dieser Weltmeisterschaft. Ich sträube mich bewusst dagegen, den Terminus «Sieger der Herzen» zu verwenden. Das würde den Leistungen dieser Mannschaft nicht gerecht.

Die Nationalmannschaft Marokkos war plötzlich nicht nur der Stolz des eigenen Landes, sondern der ganzen afrikanischen und arabischen Fussballwelt. Ein Team, das sinnbildlich für eine Fussballkultur steht, fernab von den europäischen und südamerikanischen Giganten, die den WM-Titel seit jeher unter sich ausmachen. 

Viele Fussballfans rund um den Globus haben die «Löwen vom Atlas» in ihr Herz geschlossen. Denn die Mannschaft des charismatischen Walid Regragui hat viel Stoff für einen Helden-Epos geboten.

Marokko hat als Aussenseiter eine Gruppe mit Halbfinalist Kroatien, dem ewigen Geheimfavoriten Belgien und Kanada gewonnen. Dann machte sich das Team auf, die iberische Halbinsel zu erobern und der Reihe nach die Favoriten Spanien und Portugal zu eliminieren. Sie taten das nicht, weil sie mehr Talent haben, sondern alleine mit unbändigem Willen und totaler Aufopferungsbereitschaft.

Die Spieler gingen dabei nicht nur an ihre Grenzen, sondern weit darüber hinaus. Die Belastung für die Stammspieler, die wegen mangelnder Kaderbreite überforciert wurden, war immens. Beim Einlaufen vor dem Halbfinal musste Naif Aguerd forfait geben. Nach 21 Minuten ging es auch für Captain Romain Saïss nicht mehr weiter – er ging bereits angeschlagen in die Partie. In der Pause fiel dann auch noch Bayern-Spieler Noussair Mazraoui aus. 

Am Ende fehlte Marokko also nicht die spielerische Qualität, sondern das Glück des Tüchtigen und schliesslich vor allem – beim sechsten Spiel innert drei Wochen – auch die Kraft. 

Und trotz dieser Halbfinal-Niederlage sind die Marokkaner die grossen Sieger dieser Weltmeisterschaft. Mit jeder Grätsche ging unser Herz auf, mit jeder Parade von Bono staunten wir und mit jeder Träne, die am Schluss über die Wange der Spieler lief, weinten wir mit. Marokko hat nicht nur Historisches geschafft, indem sie als erstes afrikanisches Team in einen WM-Halbfinal vorgestossen sind, sie haben uns auch gezeigt, weshalb wir diesen Sport so sehr lieben.

Und das ist doch mindestens so viel Wert, wie ein Weltmeistertitel.

Danke, Marokko!

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