Playstation war gestern Der moderne Fussball-Star ist ein sozialer Mensch

Von Arne Richter, Jens Mende und Klaus Bergmann, dpa

23.6.2021 - 14:17

Erling Haaland und seine norwegischen Teamkollegen macht zum Auftakt der WM-Qualifikation auf die Menschenrechtslage in Katar (WM-Gastgeber 2022) aufmerksam.
Erling Haaland und seine norwegischen Teamkollegen macht zum Auftakt der WM-Qualifikation auf die Menschenrechtslage in Katar (WM-Gastgeber 2022) aufmerksam.
Bild: Keystone

Der Fussballer als politischer Mensch? Diese Vorstellung war lange ziemlich absurd. Mittlerweile stellen sich immer mehr Profis bewusst und selbstbewusst gesellschaftlich schwierigen Fragen. Sie könnten damit Vorbilder für die unverändert unbeholfenen Verbände sein.

23.6.2021 - 14:17

Jassen war vorgestern. Die Playstation allein macht Fussballer auch nicht mehr glücklich. Die intensive Debatte um eine Regenbogen-Beleuchtung der Münchner Arena beim EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn hat eine schon durch die Corona-Pandemie verstärkte Entwicklung im Profi-Fussball offensichtlicher gemacht.

Eine neue Spielergeneration von Leon Goretzka und Joshua Kimmich bis zu Ungarns Torwart Peter Gulacsi, dem Spanier Juan Mata oder dem Engländer Marcus Rashford mischt sich selbstbewusst in brennende soziale Fragen ein. Sie verstecken sich nicht hinter Karten oder Konsolen.

Während die grossen Verbände vom chronisch taumelnden DFB bis zur FIFA und der beim eigenen Turnier massiv in die Kritik geratenen UEFA trotz bemühter Good-Will-Kampagnen in ihren wirtschaftlichen Interessen und politischen Zwängen verhaftet bleiben, hebeln viele Profis das überholte Dogma vom unpolitischen Sport einfach selber aus. «Wir sind uns bewusst, dass wir eine grosse Reichweite haben», sagte Bayern-Profi und DFB-Star Kimmich. Und er will sie nutzen.



Corona-Hilfsfond, Slogans für Menschenrechte als Verbal-Attacke auf WM-Gastgeber Katar, der Kniefall gegen Rassismus und nun das klare Bekenntnis zu Vielfalt und zur Freiheit auf sexuelle Selbstbestimmung – und sei es nur mit der Regenbogen-Binde von DFB-Kapitän Manuel Neuer. Mehrfach haben die als satte Millionarios mit perfekten Marketingstrategien verschrienen Profis bewiesen, dass ihre privilegierte Stellung einen öffentlichen Effekt haben kann, den sich die grossen Verbände nicht zu nutzen trauen.

«Ich finde, dass das eine sehr positive Entwicklung ist, dass sich viele ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind», sagte der deutsche Nationalspieler Mats Hummels vor dem letzten EM-Gruppenspiel am Mittwochabend in München. Die Partie gegen Ungarn wurde zum Exempel der politischen Belastbarkeit der Profisport-Blase im Spannungsfeld zwischen liberalen Wertvorstellungen im alten Westeuropa und der homophoben Politik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban.

Ungarn-Goalie Gulacsi kritisiert die eigene Regierung öffentlich

Umso mutiger ist das Eintreten für Schwulen- und Lesbenrechte von RB Leipzigs ungarischem Torwart Peter Gulacsi zu bewerten. Er trat öffentlich gegen Stigmatisierung und Gängelung von Homosexuellen in seiner Heimat ein. Den Grenzen der öffentlichen Meinungsäusserung bei der EM entzog sich der 31-Jährige geschickt. «Das ist eine Entscheidung der UEFA. Wir Spieler können da nichts machen, wir haben da nichts zu sagen», bewertete er die Münchner Regenbogen-Causa. Um anzufügen: «Jeder weiss, wie ich über die Welt denke.»

Kundgetan hatte er seine Meinung für eine breite Öffentlichkeit im Internet. Auch Hummels meint, dass Social Media in der Sache hilft. Er glaube, dass durch die besonders von jüngeren Menschen genutzten Plattformen «Sportler oder bekannte Persönlichkeiten einen noch grösseren Einfluss nehmen können und sich viele dieser Rolle bewusst sind und da Positives bewirken wollen», sagte der Dortmunder. Ein Trickle-Down-Effekt bis hinunter zu den Dorfsportplätzen wird somit gerade für junge Fussball-Fans beschleunigt, so die Hoffnung.

Rashford erntet Lob von Obama

In England wurde Manchester-United-Star Marcus Rashford, selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen, zur Symbolfigur mit seinem Engagement für sozial benachteiligte Kinder. Er wurde dafür als hoch bezahlter Jungstar, der seiner Mutter ein schickes Haus kaufte, auch angefeindet und der Doppelmoral bezichtigt. Aber er blieb in der Sache standhaft und von der Königin in einen Ritterorden aufgenommen.



Sogar vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der mit Rashford sprach, gab es Lob: «Viele der jungen Leute, die ich treffe – so auch Marcus – sind mir weit voraus, wenn ich bedenke, wo ich mit 23 Jahren war. Sie verändern bereits etwas und bringen positive Energie in ihre Gemeinden.»

Erntet für sein soziales Engagement viel Lob: Marcus Rashford.
Erntet für sein soziales Engagement viel Lob: Marcus Rashford.
Bild: Getty

Goretzka ist mit klugen Einlassungen der Prototyp des denkenden Fussballers. Der Bayern-Star kann erklären und differenzieren. Und er bleibt bei seinen sozialpolitischen Prinzipien. Es sei durchaus wichtig, dass es bei der UEFA und dem DFB Regeln und Richtlinien gebe, betonte der Mittelfeldspieler. Der Sport dürfe sich nicht von politischen Interessen instrumentalisieren lassen. Dennoch «wäre es völlig absurd, wenn wir uns dafür entschuldigen müssten, weil es klar ist, wofür es steht. Wir werden genauso weiterhandeln», sagte er zur Regenbogen-Agenda der DFB-Stars.

Die Zeiten sind vorbei, in denen das Aussenbild der Sportler auf stammtischgleich Kartenspielende oder der Playstation verfallene Einfaltspinsel reduziert war. Ein Foto wie vom ersten Fussball-Revoluzzer Paul Breitner mit Porträts von Che Guevara und Mao Tse-tung an der Wand in den 70er Jahren würde heute zwar ziemlich viral gehen und die Reflexe der Social-Media-Welt mit Likes und Shitstorm provozieren. Es wäre aber kein grundsätzlicher gesellschaftlicher Tabubruch mehr.

Hummels meint, dass die Entwicklung keine Altersfrage, sondern einem generellen Wechsel im Mindset geschuldet sei. «Ich glaube, dass das nichts mit der neuen Generation zu tun hat, sondern generell mit einem neuen Bewusstsein», sagte der 32-Jährige. «Da können wir sehr glücklich sein, wie viele von den Jungs in der Nationalmannschaft über den Tellerrand hinausschauen.»

Von Arne Richter, Jens Mende und Klaus Bergmann, dpa