Kommentar Die BVB-Bosse scheinen vergessen zu haben, welche Philosophie man verfolgt

Von Jan Arnet

14.12.2020

Lucien Favre wurde am Sonntag als BVB-Coach entlassen.
Lucien Favre wurde am Sonntag als BVB-Coach entlassen.
Bild: Keystone

Lucien Favre ist nicht mehr Trainer von Borussia Dortmund. Seine Entlassung hat sich in den letzten Monaten angedeutet, letztlich kommt sie aber dennoch überraschend. Ein Kommentar.

Am Sonntag um 15:15 Uhr verkündet der BVB auf seiner Webseite, dass Lucien Favre nicht mehr Trainer sei. Die «Bild»-Zeitung hatte schon zuvor von der Entlassung berichtet – und damit endlich, ist man versucht zu sagen, Recht. Seit Favres Amtsantritt im Sommer 2018 musste der Waadtländer in den deutschen Medien immer wieder unten durch, sein Ende wurde zig Mal prophezeit und die «Bild» fuhr eine regelrechte Kampagne gegen den Dortmund-Coach.



In den letzten 15 Monaten wurde Favre gefühlt nach jeder Niederlage wieder angezählt. Doch die BVB-Bosse um Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc hielten stets zum Trainer, der den Klub zwar nicht zum langersehnten Meistertitel führen konnte, aber den BVB als klare Nummer 2 in Deutschland hinter den scheinbar übermächtigen Bayern etablieren und aus jungen Spielern wie Erling Haaland (20), Jadon Sancho (20) oder Giovanni Reyna (18) das Maximum herausholen konnte.

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Ausserdem gehört Favre, obwohl er «nur» einen Supercup-Titel holen konnte, mit seinem Punkteschnitt von 2,01 zu den erfolgreichsten BVB-Trainern aller Zeiten. Auch der schmerzlich vermisste Jürgen Klopp (1,90) konnte dem Schweizer nicht das Wasser reichen, seit den 70er-Jahren hatte nur Thomas Tuchel (2,12) einen besseren Schnitt als Favre.

Doch nach der 1:5-Klatsche zu Hause gegen Stuttgart haben Watzke und Zorc die Geduld verloren. Man sei «der Meinung, dass das Erreichen unserer Saisonziele aufgrund der zuletzt negativen Entwicklung in der gegenwärtigen Konstellation stark gefährdet ist und wir deshalb handeln müssen», wird Sportdirektor Zorc zitiert.



Was meint Zorc bloss damit? Okay, der BVB steht in der Liga derzeit nur auf Platz 6, aber mit sechs Punkten Rückstand auf Leader Leverkusen sind die Chancen auf den ersten Meistertitel seit 2012 durchaus intakt. Zumal die Bayern in dieser Saison auch nicht mehr unschlagbar wirken, wie man beim 2:3 aus BVB-Sicht beim Direktduell Anfang November beobachten konnte. Der BVB zog zudem als Gruppensieger in der Champions League in die K.o.-Phase ein, auch im Pokal ist man noch vertreten.

Was Favre allerdings nie abstellen konnte, waren die Ausrutscher gegen die vermeintlich kleinen Teams. Ein 0:2 bei Augsburg zu Saisonbeginn, das 1:2 zu Hause gegen Abstiegskandidat Köln vor zwei Wochen und nun die Blamage gegen Aufsteiger Stuttgart. Diese Ausrutscher dürften dem 63-Jährigen am Ende den Kopf gekostet haben.

Kaum einer kann besser mit Jungen als Favre

Natürlich hat Borussia Dortmund einen grossen Namen und sehnt sich Trophäen. Doch die Klubführung scheint vergessen zu haben, welche Philosophie man verfolgt und dass es mit dieser Fülle an jungen Talenten einfach Zeit braucht, bis die Früchte reifen. Neben Haaland und Sancho, die bereits in ihrem jungen Alter absolute Leistungsträger im Team sind, hat es Favre in den letzten Monaten auch geschafft, die Teenager Gio Reyna, Jude Bellingham und Youssoufa Moukoko in die Mannschaft zu integrieren.

Alles junge Spieler mit einem enormen Entwicklungspotenzial. Und mit Lucien Favre stand genau der Richtige an der Seitenlinie: Ein Trainer, der den Jungen vertraut und bestens mit ihnen umzugehen weiss. Einer rosigen Zukunft stand kaum etwas im Weg. Doch dass sich die Wege eher früher als später trennen würden, wurde in den letzten Monaten immer mehr ersichtlich. Reporterfragen zu Favres 2021 auslaufendem Vertrag gingen die Vereinsbosse stets aus dem Weg. 



Mit der Entlassung des Westschweizers stellen sich Watzke und Zorc nun aber selber ein Bein. Sie müssen nun wieder einen Fussballlehrer suchen, der mit den zahlreichen Talenten umzugehen weiss und gleichzeitig die hohen Erwartungen erfüllen kann. Und wohl ganz nebenbei noch die Eigenschaften von Jürgen Klopp mitbringen soll. Der bisherige Co-Trainer Edin Terzic wird die Mannschaft bis zum Saisonende übernehmen. Der 28-jährige Kroate gilt als Heisssporn, der seine Spieler emotional aufladen kann – so wie das eben auch Klopp kann. 

Und was, wenn das mit Terzic in die Hose geht? Die «Bild» sieht Gladbach-Coach Marco Rose als Favorit auf die Nachfolge. Er hat offenbar für den Sommer eine Ausstiegsklausel im Vertrag. Und Favre? Der könnte dann seinerseits wieder bei Gladbach wieder zum Thema werden, wo er nach wie vor einen ausgezeichneten Ruf geniesst.

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