Dank einer phänomenalen Vorstellung im Santiago Bernabeu schafft eine junge Ajax-Mannschaft das Unmögliche. Sie werfen das grosse Real Madrid trotz Niederlage im Hinspiel aus der Champions League. Wie sie das geschafft haben, ist ein kleines Rätsel.
In der 95. Minute ist die Sensation perfekt: Schiedsrichter Felix Brych pfeift die Partie im Santiago Bernabeu ab, Ajax Amsterdam schlägt Real Madrid dank einer überragenden Leistung mit 4:1 und steht im Viertelfinale der Champions League. Die Spieler des holländischen Rekordmeister liegen sich in den Armen und lassen sich von den unzähligen Gästefans feiern. Von den elf Herren, die unten auf dem Rasen stehen, sind übrigens sechs noch keine 23 Jahre alt.
Kleines Budget – grosser Auftritt
Nicht nur das Alter ist bei den Holländern tief, auch das Gehalt ist nicht besonders hoch. Zumindest nicht im Vergleich mit dem gestrigen Gegner. «Bale verdient so viel wie unsere ganze Mannschaft», wird Ajax-Sportdirektor Marc Overmars von holländischen Medien vor dem Spiel zitiert. Demnach soll bei Ajax Amsterdam die erste und zweite Mannschaft zusammen mit dem Nachwuchsteam insgesamt 28 Millionen Euro kosten. So viel erhält bei Real Madrid Gareth Bale alleine. Das «weisse Ballett» als Ganzes verdient laut Overmars über 630 Millionen Euro pro Jahr.
Weisses Ballett bekam der Zuschauer im Santiago Bernabeu gestern Abend allerdings nicht zu sehen. Es war nämlich für einmal nicht das Heimteam, das zauberte, sondern der Gast aus den Niederlanden. Mit Einlagen, wie derer von Dusan Tadic vor dem 2:0 – oder von David Neres in der 13. Minute – begeisterte die Elf aus Amsterdam die gesamte Fussballwelt.
Spektakuläre Tore
Aber nicht nur die hübschen Tricks waren sehenswert, auch bei den Toren blieb dem Zuschauer der Mund offen stehen. Besonders die Treffer zum 3:0 und 4:1 werden noch einige Zeit in Erinnerung bleiben. Zuerst war es der überragende Dusan Tadic, der den Ball mit seinem starken Linken in die hohe Torecke zimmerte. Danach durfte Real-Keeper Curtois gleich noch ein zweites Mal zuschauen, als Lasse Schöne das Leder auf der anderen Seite per Freistoss unter die Latte knallte.
Für Ex-Schweizer-Nationaltorhüter und Teleclub-Experte Pascal Zuberbühler war Schönes Freistoss kein Torwartfehler. «Der Ball ist so gut getreten, der Spieler hat das einfach nur hervorragend gemacht».
Den Ball wollte der 32-jährige allerdings gar nicht so treten. «Ob der so hätte reinfliege sollen? Nein, eigentlich nicht, da kann ich nicht lügen», sagte der Freistossspezialist gemäss der Zeitung «Bold».
Ausbildungsverein der europäischen Top-Klubs
Es ist ein kleines Rätsel, wie es Ajax Amsterdam dieses Jahr schafft, den grossen europäischen Top-Vereinen ein Bein zu stellen. Real Madrid ist nicht das erste Opfer. Bereits in der Gruppenphase spielten die Holländer Fussball auf allerhöchstem Niveau. Unter anderem bekam dies auch Bayern München zu spüren. Kein Wunder also, dass erneut halb Europa grosses Interesse an den jungen Spielern aus Amsterdam zeigt.
Wie schon in den Jahren zuvor, wird das Team von Erik ten Hag auch diesen Sommer wieder einige grosse Namen verlieren. Neben Frenkie de Jong, dessen Wechsel zu Barcelona bereits bekannt gegeben wurde, stehen auch Spieler wie Matthijs de Ligt, Hakim Ziyech oder Kasper Dolberg auf der Verkaufsliste. Nicht weil die Holländer verkaufen wollen, sondern weil die Spieler schlicht viel zu stark sind, um bei einem Team mit einem Salär-Budget von 28 Millionen Euro zu bleiben.
Einer der trotzdem an Bord bleibt ist Dusan Tadic. Der Serbe hofft, dass mit ihm auch noch einige andere Teamkollegen dem holländischen Rekordmeister die Treue halten. «Ich werde versuchen, die Jungen davon zu überzeugen, zu bleiben. Dann können wir noch bessere Spiele bestreiten. Ich werde sowieso bleiben nächste Saison, hundert Prozent», wird der 30-Jährige von «AD» zitiert. Ob seine begehrten Teamkollegen seiner Bitte nachkommen, bleibt abzuwarten. Sollten in dieser Champions-League-Saison aber noch weitere Auftritte wie gestern Abend folgen, dürfte es sehr, sehr schwierig werden, solche Spieler zu halten. Und trotzdem darf man sich beim holländischen Traditionsverein wieder Hoffnung machen, dass in den nächsten Jahren – wie in den früheren Glanzzeiten – eine starke Mannschaft auf dem Platz stehen wird.