Fakten vor Emotionen Vergleich mit Hitzfeld zeigt: Petkovic muss sich nicht verstecken

Patrick Lämmle

12.9.2018

Ottmar Hitzfeld und Vladimir Petkovic: Die statistisch gesehen erfolgreichsten Nati-Trainer.
Ottmar Hitzfeld und Vladimir Petkovic: Die statistisch gesehen erfolgreichsten Nati-Trainer.
Getty Images

Nach der WM lancierte der Boulevard eine regelrechte Hetzkampagne gegen Vladimir Petkovic – wie schon zu Beginn seiner Amtszeit. Statistisch gesehen hat der bis anhin erfolgreichste Schweizer Nati-Coach mehr Respekt verdient.

Mit Ottmar Hitzfeld betreute von 2008 bis 2014 einer der grössten Trainer überhaupt die Schweizer Nati. Er hat die Mannschaft weiter gebracht, da sind sich alle einig. Niemand hätte es gewagt, den Deutschen an den Pranger zu stellen, auch nicht, nachdem er mit der Schweizer Auswahl die EM 2012 verpasst hatte. Zu imposant war der Palmarès des zweifachen Weltclubtrainers (1996 und 2000), der unter anderem sieben Mal die Deutsche Meisterschaft und zweimal die Champions League gewonnen hatte.

Vergleicht man Hitzfelds Ausbeute als Nati-Coach mit jener seines Nachfolgers Vladimir Petkovic, so wird schnell klar: Der aktuelle Selektionär muss sich im direkten Vergleich nicht verstecken. Im Schnitt hat Petkovic in seinen 46 Spielen als Nati-Coach 1,93 Punkte pro Spiel gewonnen, unter Hitzfeld waren es in 61 Spielen 1,77. Damit bewegt sich Petkovic in den Regionen der ganz Grossen. Weltmeister-Coach Didier Deschamps etwa hat in 85 Spielen einen Schnitt von 2,09 Punkten pro Spiel vorzuweisen. Mit einem Sieg gegen England hätte Petkovic die 2-Punkte-pro-Spiel-Marke knacken können.

Natürlich sind das Zahlenspielereien, die nur bedingt aussagekräftig sind. Schauen wir deshalb genauer hin:

Die Schweizer Nati unter Hitzfeld

WM-Quali 2010: Alles andere als souverän
Im ersten Testspiel unter Hitzfeld gewinnt die Schweiz 4:1 gegen Zypern. Als es dann drei Wochen später in der WM-Quali erstmals ernst gilt, verspielt die Nati auswärts in Irsael eine 2:0-Führung und holt nur einen Punkt. Vier Tage später folgt die historische 1:2-Heimpleite gegen Luxemburg. Die Schweiz qualifiziert sich am Ende trotzdem für die WM 2010 in Südafrika, obwohl man drei Runden vor Schluss in Lettland nur 2:2 spielt und zum Schluss 0:0 gegen Israel.

WM 2010: Auf den historischen Sieg folgt die Ernüchterung
An der WM in Südafrika gewinnt die Schweiz zum Auftakt sensationell gegen den späteren Weltmeister Spanien – nie zuvor hatte eine Schweizer Auswahl gegen Spanien gewinnen können. Nach der 0:1-Niederlage gegen Chile und dem 0:0 gegen Honduras ist das WM-Aus besiegelt.

EM-Quali 2012: Kläglich gescheitert
Die Schweiz landet hinter England und dem krassen Aussenseiter Montenegro auf Platz 3 und verpasst somit die Endrunde in Polen und der Ukraine. Hitzfeld sitzt trotzdem sicher im Sattel, Zweifel am Coach gibt es zwar vereinzelt, doch die Mehrheit steht hinter ihm.

WM-Quali 2014: Gruppensieger – aber alles andere als makellos
Auch auf dem Weg an die WM 2014 tut sich die Schweiz schwer. Nach Siegen gegen Slowenien und Albanien spielt die Nati zuhause gegen Norwegen nur 1:1. Und weil Hitzfeld dem Schiedsrichter zweimal den ausgestreckten Mittelfinger zeigt, wird er später für die beiden Spiele gegen Zypern gesperrt. Prompt gerät die Schweiz in Schieflage, spielt in Zypern nur 0:0 und zuhause gegen den gleichen Gegner gibt es ein mageres 1:0 dank eines Treffers von Haris Seferovic in der 90. Minute (Hitzfeld schaut sich das Spiel lieber im Hotelzimmer an als im Stadion). Gegen Island darf Hitzfeld dann wieder seinen gewohnten Platz an der Seitenlinie einnehmen und er sieht, wie sein Team gegen Island eine 4:0-Führung verspielt (Endstand 4:4). Am Ende qualifiziert sich die Schweiz als Gruppensieger für die WM in Brasilien. In einer Gruppe mit Norwegen, Slowenien, Albanien, Island und Zypern wäre aber auch alles andere eine herbe Enttäuschung gewesen.

WM 2014: Licht und Schatten nah beieinander
An der WM gewinnt die Schweiz zum Auftakt gegen Ecuador mit 2:1. Es folgt die 2:5-Klatsche gegen Frankreich. Im letzten Gruppenspiel gegen Honduras spielt Shaqiri gross auf und schiesst die Schweiz mit einem Hattrick ins Achtelfinale. Dort scheitert die Schweiz nach heroischem Kampf am späteren Vizeweltmeister Argentinien mit 0:1 nach Verlängerung. Es war das vielleicht beste Spiel in der Ära Hitzfeld.

Die Schweizer Nati unter Petkovic

Es war klar, dass es der Hitzfeld-Nachfolger schwer haben würde. Umso mehr als feststeht, dass er Vladimir Petkovic heisst und nicht Lucien Favre oder Marcel Koller, zwei der meistgenannten Wunschkandidaten.

EM-Quali 2016: Eindrücklicher Steigerungslauf nach Fehlstart
Als Petkovic dann gleich die ersten beiden EM-Quali-Spiele (0:2 gegen England und 0:1 in Slowenien) verliert, da sehen sich die Kritiker bestätigt. Sie fordern bereits die Entlassung. Dass Petkovic vor den beiden Ernstkämpfen nicht ein einziges Testspiel absolvieren kann, wird nicht in die Analyse miteinbezogen. Auch nicht, dass Hitzfeld als Nati-Trainer einen vergleichbar schlechten Start hatte. Von den folgenden acht Quali-Spielen gewinnt die Schweiz sieben – das Torverhältnis bei den gewonnen Spielen ist mit 24:3 mehr als überzeugend. Einzig gegen England (0:2) setzt es noch eine Niederlage ab. Platz 2 in der Gruppe bedeutete die direkte Qualifikation für die EM 2016.

EM 2016: Aus nach Elfer-Krimi gegen Polen im Achtelfinal
An der EM gewinnt die Schweiz das emotional aufgeladene Spiel gegen Albanien mit 1:0, gefolgt von einem eher enttäuschenden 0:0 gegen Rumänien. Im letzten Gruppenspiel begegnet die Schweiz dem späteren Finalisten und Gastgeber Frankreich auf Augenhöhe und holt den wichtigen letzen Punkt (0:0). Im Achtelfinale scheitert die Schweiz im Elfmeterschiessen gegen das von Superstar Robert Lewandowski angeführte Polen. Die Enttäuschung ist gross, weil man wie bereits an der WM zuvor auf bittere Art und Weise aus dem Turnier gekegelt wird. Wieder werden Stimmen laut, dass ein neuer Trainer her muss. Der Grund: Die Mannschaft sei keinen Schritt weitergekommen unter Petkovic.

WM-Quali 2018: 10 Spiele, 9 Siege => Barrage => Qualifikation
Auf dem Weg nach Russland trifft die Schweiz zum Auftakt auf den amtierenden Europameister Portugal – und gewinnt zuhaue 2:0. Die Schweiz leistet sich in der Folge nicht einen einzigen Ausrutscher und gewinnt auch die acht folgenden Pflichtspiele. Eine Serie, die noch keine Schweizer Nati zuvor hingelegt hat. Tat sich die Nationalmannschaft zuvor oftmals schwer gegen die sogenannt Kleinen – auch unter Hitzfeld war das so – hat sie in dieser Quali fast keine Probleme mehr gegen diese Nationen. Die erste Niederlage folgt im letzten Gruppenspiel in Lissabon. Die Schweiz verliert 0:2, muss aufgrund des schlechteren Torverhältnisses in die Barrage und trifft dort auf Nordirland. Die Nati gewinnt im Hexenkessel von Belfast mit 1:0 und spielt zuhause 0:0. Die WM-Quali ist perfekt.

WM 2018: Und wieder bedeutet das Achtelfinale Endstation
An der WM startet die Schweiz mit einem Remis gegen Brasilien. Das 1:1 fühlt sich an wie ein Sieg, die Mannschaft wird in den Medien gefeiert. Es folgt der extrem wichtige 2:1-Sieg gegen Serbien. Der Sieg wird registriert, doch die Schlagzeilen dominiert der Doppeladler. Dabei hat die Nati gerade einen riesigen Schritt in Richtung Achtelfinale gemacht. Im letzten Gruppenspiel spielt die Schweiz 2:2 gegen Costa Rica und wahrt damit unter Petkovic die Ungeschlagenheit in der Gruppenphase grosser Turniere.

Die Vorfreude auf das Achtelfinale ist riesig, zumal der Gegner nicht wie vor dem Turnier zu erwarten war Deutschland, sondern Schweden heisst. Alle rechnen mit einem Sieg, die Ausgangslage scheint günstig. Doch es sollte nicht sein, die Schweiz unterliegt Schweden mit 0:1. Das einzige Tor der Partie erzielt Unglücksrabe Akanji, der einen im Ansatz harmlosen Schuss von Forsberg unhaltbar ins eigene Gehäuse ablenkt. Der Sieg ist allerdings nicht gestohlen, die Schweden haben mehr Offensivaktionen als die blutleeren Schweizer und sind an diesem Tag schlichtweg die bessere Mannschaft.

Die Kritik an Petkovic zielt nur auf seine Person

Was dann folgt, entbehrt jeglicher Grundlage. Die Mannschaft wird durch den Dreck gezogen. Der Boulevard fährt eine regelrechte Hetzkampagne gegen Trainer Petkovic. Der Nati-Coach hat bestimmt Fehler gemacht, besonders in der öffentlichen Kommunikation hat er nicht geglänzt. Grund genug, ihm jegliche Kompetenz als Nationaltrainer abzusprechen? Stellt eine Niederlage alles in Frage? Wäre Petkovic wirklich ein anderer, ein besserer Trainer, hätte Akanji kein Eigentor erzielt und die Schweiz beispielsweise 1:0 nach Verlängerung gewonnen und das Viertelfinale erreicht? Sollte man nicht viel eher das grosse Ganze sehen?

Die Schweizer Akteure spielen unter Petkovic einen immer dominanter werdenden und oftmals attraktiven Fussball. Und sie haben schon mehrfach bewiesen, auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird, dass sie in wichtigen Spielen dem Druck standhalten können. Nicht immer, aber immer wieder. So wie auch die Deutschen, die Spanier, die Holländer, die Italiener, die Kroaten, die Argentinier, die Belgier, die Engländer, die Brasilianer, die Portugiesen, die Franzosen (...) nicht immer eine Topleistung abrufen können.

Und was sagen eigentlich all jene, die Petkovic beim Nations-League-Auftakt gegen Island (6:0) lieber nicht mehr an der Seitenlinie gesehen hätten? Hätte die Schweiz mit einem anderen Trainer 10:0 gewonnen?

Betrachtet man die sportlichen Aspekte isoliert, so kann man Petkovic wahrlich wenig vorwerfen. Wer ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter Beschuss nimmt, der kritisiert nicht den National-Trainer Petkovic, sondern ganz offensichtlich die Person Petkovic. Warum auch immer.

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