Nikita Ducarroz fand dank BMX Freestyle in ihrem Leben zum Flow zurück. An den Olympischen Spielen in Tokio führte ihre Reise aus der Depression zu Olympia-Bronze.
Nikita Ducarroz spricht gerne vom «Flow». Diesem im Leben der BMX-Freestyler so wichtigen Faktor, der darüber entscheidet, wie flüssig und leicht eine Athletin ihre Tricks in den Park legt und sie miteinander verknüpft. Die einzelnen Trick-Elemente der BMX-Cracks sollen nach Ansicht der Punktrichter möglichst schwierig sein – Saltos und Drehungen beinhalten. Das komplette Programm muss derweil trotz aller Schwierigkeit flüssig bleiben, Trick und Fahrer im Einklang bleiben.
Ducarroz ist eine Meisterin, wenn es darum geht, ihre Tricks spielend miteinander zu verbinden, zuweilen wirkt es, als lebe sie in Symbiose mit ihrem BMX-Rad. In Tokio reichte ihr diese Verbindung bei der olympischen Premiere ihrer Sportart zu Bronze, allerdings nur ganz knapp. 0,70 Punkte trennten die 24-jährige Genferin letztlich vom 4. Platz der Amerikanerin Perris Benegas, erst nach langer Konsultation rangen sich die Punktrichter zum Entscheid zugunsten der in den USA lebenden Schweizerin durch. «Sie haben sich etwas länger Zeit genommen, als üblich. Ich hatte richtig Angst», gab Ducarroz zu.
Richtiger Sport
Angst und Panik begleiten Ducarroz seit vielen Jahren. Nur dank dem BMX-Sport fand sie einen Ausweg aus den Depressionen, traute sich überhaupt wieder aus dem Haus. Über ihre mentalen Probleme spricht sie offen wie es wenige Sportlerinnen tun, auch wenn das Thema durch Simone Biles in Tokio gerade Hochkonjunktur erlebt. Die beste Kunstturnerin aller Zeiten verzichtete wegen mentaler Probleme in Tokio bislang auf die Mehrzahl ihrer Wettkämpfe. Ducarroz betreibt einen Instagram-Kanal, um die Menschen zu ermutigen, über mentale Probleme zu sprechen. Sie sagt: «Ich kämpfe täglich mit Panikattacken.»
Die dunklen Gedanken verschwinden, sobald Ducarroz mit ihrem BMX-Bike in den Park fährt. Auch darum will sie dem Sport noch möglichst lang die Treue halten. «Aber er entwickelt sich gerade so schnell. Ich muss extrem viel investieren, wenn ich oben bleiben will», sagt sie. Noch wichtiger ist der WM-Zweiten von Montpellier allerdings, dass sie dem Sport etwas zurückgeben kann, der den Flow zurück in ihr Leben gebracht hat. «Ich hoffe, dass jetzt alle gesehen haben, dass wir echten Sport betreiben», so Ducarroz. Freuen würde es sie, wenn die BMX-Freestyle-Szene in der Schweiz nach ihrem Erfolg neben Zuspruch auch Zuwachs erhalten würde.
In den Kampf um Olympia-Gold zwischen der überraschenden Britin Charlotte Worthington, der ein Zauberlauf glückte, und der geschlagenen Topfavoritin aus den USA, Hannah Roberts, vermochte Ducarroz am Sonntag nicht einzugreifen. Über acht Punkte fehlten ihr im Vergleich zu Olympiasiegerin Worthington. Dennoch sagt sie: «Heute war mein Tag!» Dank ihrem BMX-Rad begann er fast so, wie er endete: mit einem Lächeln im Gesicht.