Wimbledon Göttliche, Könige, Bomben, Tränen und Triumphe

sda

7.7.2022 - 10:01

In diesem Jahr wird der legendäre Centre Court in Wimbledon 100 Jahre alt. Er hat viel erlebt in diesem Jahrhundert: von Königen – royaler und sportlicher Art – über Bomben bis Tränen und Triumphen.

Keystone-SDA, sda

Nach dem Ersten Weltkrieg boomte der Tennissport in England. Die alte Anlage an der Worple Road in Wimbledon genügte nicht mehr. Am 22. Juni 1922 weihte der damalige König George V deshalb etwa drei Kilometer entfernt die neue Anlage an der Church Road mit einem Centre Court für damals rund 10'000 Zuschauer ein, wo noch heute gespielt wird. Wie sich das gehört für England mit rund einer Stunde Verspätung wegen Regens. Seither hat dieser Platz viel erlebt.

1922: Suzanne Lenglen, die Göttliche

Die ersten Sieger hiessen Gerald Patterson aus Australien und Suzanne Lenglen aus Frankreich. Die Pariserin, wegen ihres eleganten Stils und der extravaganten Kleidung «Die Göttliche» genannt, gewann das Turnier sechsmal und verlor auf dem neuen Centre Court keine Partie.

1936: Perry gewinnt in 40 Minuten

Den kürzesten Männerfinal gewann Fred Perry, später durch seine Kleiderlinie bekannt, in 40 Minuten 6:1, 6:1, 6:0 gegen den Deutschen Gottfried von Cramm. Die kurze Dauer erklärt sich auch dadurch, dass erst 1975 Stühle zum Absitzen bei den Seitenwechseln eingeführt wurden. Es sollte 77 Jahre dauern, ehe wieder ein britischer Mann triumphierte. Perry ist aber bis heute der letzte Sieger aus England.

1940: Bomben auf den Centre Court

Im Zweiten Weltkrieg fiel eine deutsche Fliegerbombe auf den Centre Court und zerstörte rund 1200 Zuschauerplätze. In den Kriegszeiten diente die Anlage des All England Lawn Tennis Clubs dem Militär.

1947: Erster Sieger in kurzen Hosen

Der Amerikaner Jack Crawford war der erste Sieger, der in Shorts spielte.

1957: Queen ehrt erste dunkelhäutige Siegerin

Die Kleiderordnung in Wimbledon besteht bis heute aus «mehrheitlich weiss», und Tennis ist lange Jahre der Sport der weissen Oberschicht. 1957 schrieb die 29-jährige Amerikanerin Althea Gibson Geschichte, als sie als erste dunkelhäutige Spielerin den Titel gewann. Sie erhielt die Siegerschale aus den Händen von Queen Elizabeth II, die das Turnier in ihrer bisher 70-jährigen Amtszeit viermal – 1957, 1962, 1977 und 2010 – besuchte. Gibson stellte später fest: «Die Hand der Königin von England zu schütteln ist schon etwas ganz anderes, als im Bus gezwungen zu werden, ganz hinten in der Sektion für die Farbigen Platz zu nehmen.» Bei den Männern folgte 1975 Arthur Ashe als erster dunkelhäutiger Champion.

1976 – 1980: Frauenschwarm Björn Borg

Björn Borg läutete die Ära des Tennis als Massenphänomen ein. Von 1976 bis 1980 gewann der kühle und coole Schwede fünf Mal in Folge. Vor allem die Frauen waren hin und weg, wie bei Rockkonzerten wedelten manche sogar mit dem BH von der Tribüne.

1981: McEnroes «You Cannot Be Serious»

Das pure Gegenteil von Borg war John McEnroe. Zu Beginn der 1980er-Jahre wurde der New Yorker Heisssporn und dreimalige Wimbledonsieger mit brillantem Tennis, aber noch mehr mit seinen Wutausbrüchen berühmt. «You Cannot Be Serious» (Das kann nicht dein Ernst sein) tobte er 1981 und erklärte dem Schiedsrichter, dass da doch eindeutig Kreide aufgestoben sei. Er erhielt prompt einen Punktabzug, gewann aber das Turnier und ist heute als TV-Experte gern gesehener Gast.

1978 – 1990: Rasenkönigin Navratilova

Die unbestrittene Königin des Rasens von Wimbledon ist mit 9 Einzel- und weiteren 11 Doppel- und Mixed-Titeln Martina Navratilova. Daneben setzte die Linkshänderin aus Prag als erster offen lesbischer Sportstar auch gesellschaftlich für Akzente.

1985: Ein deutscher Star wird geboren

Mit 17 Jahren gewann der ungesetzte Boris Becker als bis heute jüngster Spieler das Turnier – und war mit einem Schlag ein deutscher Superstar.

1987: Kletterpartie auf die Tribüne

Zwei Jahre später schockte der Australier Pat Cash die distinguierten Briten, als er nach seinem überraschenden Finalsieg auf die Tribüne kletterte, um seine Angehörigen zu umarmen.

1992: Agassi in Weiss

Der Paradiesvogel Andre Agassi boykottierte Wimbledon zunächst, weil er nicht in langweiligem Weiss spielen wollte. 1991 gab er nach und feierte 1992 ausgerechnet hier seinen ersten von acht Grand-Slam-Titeln.

1993: Tröstende Herzogin

Das Bild von Jana Novotna, die bei der Siegerehrung an der Schulter der Herzogin von Kent hemmungslos weinte, geht um die Welt. Sie hatte im Final gegen Steffi Graf eine klare Führung aus der Hand gegeben. Fünf Jahre später gewann die 2017 viel zu früh an Krebs verstorbene Tschechin doch noch ihren einzigen Titel.

1997: Teenager Hingis im Zenit

Mit 16 Jahren und 278 Tagen wurde Martina Hingis zur jüngsten Einzelsiegerin seit 1887 – und zur ersten Schweizer Grand-Slam-Siegerin im Einzel. Im Doppel hatten schon Heinz Günthardt (1985 mit dem Ungarn Balazs Taroczy) und Hingis 1996 ein erstes Mal in Wimbledon triumphiert.

2009: Ein Dach für den Centre Court

Es war eine technische und gesellschaftliche Sensation: Der ehrwürdige Centre Court erhielt ein schliessbares Dach. Das über 100 Millionen Franken teure und rund 3000 Tonnen schwere Wunderwerk ist ein voller Erfolg. Der Charakter des Stadions blieb erhalten, und neu kann auch bei Regen und einbrechender Dunkelheit gespielt werden – wegen der Anwohner bis maximal 23 Uhr. Die erste volle Partie bei geschlossenem Dach verlor 2009 Stan Wawrinka gegen Andy Murray, den ersten Indoor-Final – das Dach wurde gegen Ende der Partie geschlossen – gewann Roger Federer 2012 gegen Murray. Seit 2019 verfügt auch der Court 1 über ein Dach.

2012: Wimbledon in Pink

Wimbledon und der Centre Court in Pink und mit Sponsorenwerbung statt im traditionellen grün-violett. Für die Olympischen Spiele in London verwandelte sich die Anlage. Es waren die zweiten Spiele im All England Club, 1908 war noch die alte Anlage Austragungsort. Im Final gewann Andy Murray gegen Roger Federer, ein Jahr später triumphierte der Schotte auch regulär in Wimbledon – 77 Jahre nach Fred Perry.

2003 – 2017: König Roger

Der Rekordsieger bei den Männern heisst – natürlich – Roger Federer. Von 2003 bis 2007 sowie 2009, 2012 und 2017 nahm er den Pokal mit der seltsamen Ananas-Verzierung oben drauf achtmal entgegen, dazu gewann er 1998 bei den Junioren. Daneben setzte der Basler auch modisch mit seinen speziellen Outfits beim Betreten des Platzes Akzente. In diesem Jahr fehlte er im Männerturnier erstmals seit 1998. Den Auftritt am Sonntag zu den Jubiläumsfeierlichkeiten liess er sich aber nicht nehmen. «Ich will noch einmal als Spieler hierherkommen», versprach Federer. An die Stätte seiner grössten Erfolge – und ins Beste, was der Tennissport zu bieten hat.