Einen Tag vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 2004 in Athen sorgen die beiden Sprinter Kostas Kenteris und Katerina Thanou für den vielleicht absurdesten Dopingskandal der Sportgeschichte.
Mit Sicherheit lässt sich nicht sagen, wie es am 12. August 2004 zum Fall der beiden griechischen Olympia-Helden Kenteris und Thanou gekommen ist. Die beiden haben in den letzten Jahren entweder geschwiegen oder die Vorwürfe dementiert. Und auch die griechische Justiz kam 2011 zu keinem einheitlichen Schluss. Zunächst wurden Kenteris und Thanou wegen Meineids auf Bewährung verurteilt, kurz darauf aber wieder freigesprochen.
Was rasch die Dimension eines Kriminalfalls erreichte, spielte sich am Abend vor der Eröffnung der Sommerspiele ab. Im olympischen Dorf hätten die beiden Sprinter einen Dopingtest absolvieren müssen, waren aber unauffindbar. Die Frist für die Urinabgabe wurde um zwei Stunden verlängert, doch anstatt sich beim Kontrolleur zu melden, verschwanden Kenteris und Thanou. Sie hätten noch persönliche Sachen bei ihrem Trainer abholen müssen, gaben sie später zu Protokoll.
Ins olympische Dorf kehrten die beiden nicht mehr zurück. Im Verlauf des Abends ging die Meldung ein, dass sie bei einem Motorradunfall verletzt worden seien. Mit dem Töff ihres Trainers sei das Unglück passiert. Im Spital hiess es, Kenteris habe leichte Kopfverletzungen und Schürfungen erlitten, Thanou sich am Oberschenkel eine Blessur zugezogen.
Ein Drama der anderen Art
Ohne die Vorgeschichte zu kennen, wurde ein sportliches Drama erahnt: Die beiden grossen heimischen Medaillenhoffnungen könnten ihre Wettkämpfe verpassen. Kenteris gewann über 200 m in Sydney genauso Gold wie bei der WM 2001 und der EM 2002. Thanou musste sich vier Jahre zuvor über 100 m nur der damaligen Dominatorin Marion Jones geschlagen geben. In ihrer Heimat genossen beide Heldenstatus, standen aber auch unter riesigem Druck, wie Kenteris einige Jahr später in einem seiner seltenen Interviews zugab. In seiner Heimatstadt Mytilini auf der Insel Lesbos trug damals schon ein Schiff und eine Strasse seinen Namen. Bei der Eröffnung der Athener Spiele wäre er wohl der letzte Fackelläufer gewesen, wenn nicht das Unglück passiert wäre.
Die Sorge um die zwei Griechen wich rasch der grossen Skepsis. Zum einen gab es viele Ungereimtheiten: Die Polizei hatte vom Unfall keine Kenntnis und wie die Verunglückten in das rund 15 Kilometer entfernte Spital gelangten, war mysteriös. Ein Kioskbesitzer in unmittelbarer Nähe des vermeintlichen Unfallortes hatte nichts mitbekommen. Zum anderen war der Ruf von Kenteris und Thanou schon zuvor beschädigt: Beide waren für Dopingtests jeweils schwer auffindbar. Kenteris, in der Heimat «Sohn des Windes» genannt, erhielt international den Übernamen «unsichtbarer Adonis», weil er fast nur an den Grossanlässen zu sehen war.
Fast Gold für Thanou
Mit bemerkenswerter Beharrlichkeit hielten Kenteris und Thanou an ihrer Version der Geschichte fest. Vier Tage verbrachten sie nach dem Unfall dank dem ärztlichen Attest in Spitalpflege. Als sie schliesslich entlassen wurden, war ein aussagekräftiger Dopingtest nicht mehr möglich. Erst sechs Tage nach dem Unfall konnten Kenteris und Thanou vom Internationalen Olympischen Komitee vernommen werden und gaben anschliessend den Startverzicht bekannt. «Im nationalen Interesse», wie Kenteris in einer unmittelbaren Stellungnahme betonte. Kurz darauf wurden bei einer Razzia im Büro ihres Trainer Christos Tsekos Dopingmittel in grossen Mengen gefunden.
Die griechische Justiz, die Anti-Doping-Behörde und der Internationale Sportgerichtshof CAS beschäftigten sich später mit dem Fall. Zwei Jahre waren die gefallenen Helden ab Dezember 2004 gesperrt. Kenteris bestritt danach keine Rennen mehr, Thanou versuchte ein Comeback. Der Start bei den Olympischen Spielen 2008 verhinderte schliesslich das IOC. Einer Goldmedaille kam Thanou aber trotzdem noch nahe. Nachdem Marion Jones der Olympiasieg von 2000 wegen Dopings aberkannt worden war, hätte eigentlich die Griechin erben müssen. Doch auch hier zeigte sich das IOC hart und beliess Thanou als Olympia-Zweite in den Geschichtsbüchern.